|   Beitrag

Talentierter Vollprofi, resoluter Macher: "Yes und andere Stories" heißt die Autobiographie von Steve Howe in deutscher Übersetzung

Einer der Gründe, weshalb der britische Progressive Rock zu Beginn der siebziger Jahre ein derart anspruchsvolles Hörerlebnis bot, ist derselbe, weshalb der parallele Glamrock ein ungemein originelles Revival ursprünglicher, tanzbarer Rockformen entfesseln konnte. Ein Großteil der Protagonisten brachte eine bemerkenswerte Vorgeschichte mit. Steve Howe konnte obendrein auf Inspirationsquellen verweisen, die kaum jemand vermuten würden angesichts der Musik, die er speziell mit Yes hervorbringen sollte.

Geboren wird Steve Howe 1947 im Londoner Norden unweit der Holloway Road. Er begeistert sich für Country Music von Tennessee Ernie Ford und Chet Atkins, den Jazz von Django Reinhardt und Wes Montgomery, die Gitarrenexperimente eines Les Paul. Seine erste Band heißt The Syndicates, die von keinem geringen als Joe Meek produziert wird. Danach geht es weiter mit In Crowd, Bodast, Canto sowie Keith West, dessen "Excerpt From 'A Teenage Opera'" ein Klassiker des britischen Psychedelic Rock ist.

Mit Tomorrow und "My White Bicycle" verbucht er selbst eine Hitsingle, jammt mit Jimi Hendrix im legendären Londoner Undergroundklub UFO, begleitet Chuck Berry auf einer Großbritannientournee, spielt bei The Nice vor, bestreitet das Vorprogramm von Pink Floyd oder auch Delaney & Bonnie, wo soeben Eric Clapton Unterschlupf gefunden hatte; Backstage schaute gelegentlich George Harrison vorbei und zupfte sein "Here Comes The Sun".

Ein unglaublicher Erfahrungsschatz, der Steve Howe zur Verfügung stand, als er 1970 Yes beitrat und dort dann an herausragenden Alben wie "The Yes Album", "Fragile", "Close To The Edge", "Tales Of Topographic Oceans" oder "Relayer" beteiligt war.

Diese und weitere Fakten lassen sich genauso gut bei Wikipedia abrufen, dort sogar zuzüglich aufschlussreicher Songtextdeutungen, die "Yes und andere Stories" selbstredend schuldig bleibt, denn die Songtexte steuerte Sänger Jon Anderson bei. Was die Autobiographie hinzufügt, ist Steve Howes Selbstverständnis als talentierter Vollprofi und resoluter Macher. Ohne sein virtuoses Handwerk und unermüdliches Wirken wären Yes niemals zu ihrer Schrittmacherleistung fähig gewesen, hätte sich die Band längst erledigt, wären artverwandte Bands wie Asia oder GTR kaum über das Probenraumstadium hinausgekommen.

Wer darauf hofft, dass schmutzige Wäsche gewaschen wird, sieht sich enttäuscht. Steve Howe sagt das an einer Stelle auch sehr deutlich, dass seine Autobiographie nicht dafür gedacht sei, peinliche Bandinterna auszuplaudern. Bestimmte Animositäten werden dennoch deutlich. Keyboarder Rick Wakeman scheint stellenweise ein echter Banause und Quertreiber gewesen zu sein, Bassist Chris Squire wegen seines Spirituosenkonsums zunehmend eine Belastung. Wenn sich die Erzählung im letzten Buchdrittel mehr oder weniger im Auflisten von Tourneedaten und Studioterminen erschöpft, wird die Lektüre etwas trocken. Viele Details zu seinen Gitarren vornehmlich der Marke Gibson, wären besser in einem Extrabuch untergebracht gewesen. Dennoch lesenswert diese durch Fotomaterial aus Privatarchiven ergänzten, knapp dreihundert Seiten. Man bekommt Lust, die alten Scheiben rauszukramen, deren überwältigende Wirkung durch die phantasievolle Covergestaltung von Roger Dean nur noch verstärkt wurde.
Bernd Gürtler SAX 5/21


Steve Howe: "Die Autobiographie-Yes und andere Stories" (Hannibal; 2021)


Steve Howe im Netz
Website | Facebook | Twitter 

 

Foto: Bill Richert
Foto: Bill Richert

neue Beiträge