Das Albumcover spricht Bände! Ihr beide raumgreifend abgebildet in roten Kleiderfarbtönen, dass von eurem Auftritt sogar der blaue Schriftzug des Albumtitels erblasst. Sieht ganz danach aus, als seien Olicía aus dem eigenen Schatten getreten.
Fama M'Boup: Das habe ich so noch gar nicht betrachtet, finde aber, dass wir durchaus Neues wagen, was eine Riesenportion Mut erfordert hat.
Anna-Lucia Rupp: Absolut! Ich denke auch, dass wir mehr gewagt haben, gerade wegen der Kooperationen mit Vertretern anderer Kunstgattungen.
Bei "Kleine Töne" ist die Dresdner Malerin Claudia Kleiner eure Kooperationspartnerin gewesen. Von der Sache her wenig überraschend. Manche Musiker vergleichen sich gern mit einem Maler, bloß dass sie keine Farbe auf Leinwände auftragen, sondern Klangereignisse auf Magnettonbändern oder inzwischen wohl eher digital auf Computerfestplatten schichten.
Anna-Lucia Rupp: Jeder Kooperation gingen intensive Gespräche voraus, um uns einen Eindruck von der Herangehensweise unserer Partner zu verschaffen. Bei Claudia Kleiner lagen die Ähnlichkeiten sofort auf der Hand. Es beginnt mit einer Skizze, bei ihr auf der Leinwand, bei uns in einer Tonspur. Sie arbeitet damit, dass sie Flächen abklebt und andere Farben darüberlegt. Wir fügen Melodien, Harmonien, Beats und Bässe, Effekte und Sounds hinzu, verwerfen, abstrahieren, setzen neu zusammen. Uns ist schnell klar gewesen, dass wir uns ausgezeichnet ergänzen werden.
Fama M'Boup: Interessant ist bei Claudia auch, dass ihre Farbschichtungen mit Fenstern versehen sind, so dass Darunterliegendes erkennbar bleibt. Total spannend! Unser Songtext zu "Kleine Töne" ist der Versuch, das widerzuspiegeln.
Claudia Kleiner malt abstrakt, laut ihrer Website von "links nach rechts, von oben nach unten oder im wechselhaften Takt schweben Linien ein, formen sich zu komplexen Mustern, bilden Wände und legen sich sanft über Farbräume". Welche Bewegungsmuster bevorzugt ihr?
Fama M'Boup: Kommt darauf an, bezogen auf welche Ebene. Bei Harmonien handelt es sich meist um Übereinanderschichtungen. Melodien würden, wenn graphisch dargestellt, von oben nach unten wandern, also eine Bewegung vollziehen. Beim Anhören ist das nicht gleich erkennbar. Man muss in den Song hineinkriechen, um zu verstehen, was in welche Richtung geht.
Stichwort graphische Darstellung, eure Partnerschaft mit dem Hamburger Designer Gunther Kleinert dürfte dann auch kein Zufall sein.
Fama M'Boup: Genau! Anna schickte mir den Link zu seinem Account auf Instagram, und ich dachte, echt krass! Aus der Kooperation mit ihm ging "The Frame" hervor, der erste Song, der fertiggestellt war und als erste Singleauskopplung aus "Out Of The Blue" veröffentlicht wurde. Es war ein Traum, mit Gunther zu arbeiten. Er hat eine Software entwickelt und kann mit Hilfe einer Zeichenmaschine aus den Neunzehnhundertachtzigerjahren Musik in Grafik umwandeln. Das Gerät ist mit Farbstiften ausgestattet. Er programmiert, welches Element der Musik welche Farbe zugeordnet bekommt, dann werden musikalische Impulse direkt auf die Druckeinheit übertragen. Zu unserem Song ist ein Print entstanden, der die Brücke schlägt zwischen Klang und dem Visuellen. Wahnsinnig faszinierend!
Anna-Lucia Rupp: Außerdem ist Gunther ein sehr angenehmer Mensch. Wir unterhielten uns viel über Musik, was er gern hört, was wir gern hören. Dank seiner visuellen Inputs hat sich "The Frame" klanglich weiterentwickelt. Wir betreten Neuland.
Der Song "Warrioress" ist gemeinsam mit einer Schmuckkollektion der Designerin Malene Glintborg in Kopenhagen entstanden.
Anna-Lucia Rupp: Wir sind auch überrascht gewesen, dass es eine komplette Kollektion geworden ist. Gerechnet hatten wir mit einem Ring, einem Ohrring vielleicht. Sie hat uns an ihren Schaffensprozessen teilhaben lassen. Häufig arbeitet sie mit Wachs, um fließende Strukturen zu erreichen und von dort aus weitere Formen entwickeln zu können. So wie bei ihr der Schmuck sind unsere Songs entstanden, Schritt für Schritt.
"Out Of The Blue" enthält außerdem Kooperationen mit Dshamila Annina, einer Holzhandwerkerin aus der Schweiz, mit Micha Steinwachs, einem Fotografen aus Dresden, und bei "Finally" mit Sudabeh Mohafez, einer Schriftstellerin aus Teheran. Was begeistert euch an ihr?
Fama M'Boup: Anna hat mir vor Jahren von ihr "Das-Zehn-Zeilen-Buch" gegeben, eine Sammlung von Kurzgeschichten, keine länger als zehn Zeilen. Wir dachten, wäre es nicht toll, wenn wir Sudabeh anschreiben? Für uns entwickelte sie unterschiedliche Texte, auf Deutsch, auf Englisch. Was naheliegt, ihre Disziplin ist das dichterische Wort. Schlussendlich wurde der Songtext zu "Finally" aus Fragmenten ihrer Texte zusammengesetzt. Für uns auch ein Novum, normalerweise schreiben wir die Songtexte selbst.
Anna-Lucia Rupp: Mit Sudabeh schließt sich in gewisser Weise ein Kreis. "Finally" war der letzte Song des gesamten Veröffentlichungsprozesses von "Out Of The Blue", fühlt sich aber nicht wie ein Ende an. Geschenkt hatte ich Fama "Das-Zehn-Zeilen-Buch" während unseres Studiums an der Dresdner Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Es wurde über die Jahre immer wieder eine Inspirationsquelle für uns.
Euer Albumdebüt "Liquid Lines" von 2021 war ein Doppelalbum und enthielt von jedem Song zwei verschiedene Versionen. Bei "Out Of The Blue" verschmelzen verschiedene Versionen in einem Song, das Album wirkt deckungsgleicher, erstaunlicherweise, obwohl ein dritter Kreativpartner immer mit im Bunde war.
Fama M'Boup: Die Songs zu "Liquid Lines" sind gemeinsam geschrieben, gemeinsam wurden verschiedene Seiten der Songs beleuchtet. Bei "Out Of The Blue" wurde auch gemeinsam geschrieben, aber stärker auf Übereinstimmungen zwischen uns geachtet, um Ideen besser ausloten zu können. In einem Pingpong zu dritt mit den Partnern der anderen Kunstgattungen konnten wir uns gegenseitig Ideen zuspielen und sind gezwungen gewesen, unsere Komfortzone zu verlassen.
Der größte gemeinsame Nenner zwischen euch beiden bleibt aber der Gesang? Olicía sind nach wie vor zwei Stimmen und eine Band?
Anna-Lucia Rupp: Absolut!
Fama M'Boup: Unbedingt!
Eure Kooperationspartner von "Out Of The Blue" kommen aus verschiedenen Städten, aus verschiedenen Ländern sogar. Ein Konzept, das unter Druck geraten dürfte angesichts der Debatten um Migration, Abschiebung und Ausgrenzung.
Anna-Lucia Rupp: Die aktuelle politische Lage rumort ständig bei uns im Hinterkopf. Ich persönlich bin überzeugt, dass es wichtig ist, dran zu bleiben, selbst wenn um einen herum gefühlt die Welt einstürzt. Unsere Texte sind per se nicht politisch, aber in dem Sinne durchaus, weil ich daraus Kraft schöpfe und anderen Kraft geben kann.
Fama M'Boup: So wie sich die Situation im Moment darstellt, denke ich oft, wie können wir Menschen bloß so sein! Aber etwas Elementares an Kunst ist, dass sie an die Menschlichkeit appelliert. Kunst betont das Verbindende. Wenn wir jetzt etwas brauchen, dann dass wir gemeinsam sind, uns nicht gegen marginalisierte Gruppen stellen, nicht gegen Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Im Moment denke ich sehr über eine stärkere politische Komponente unserer Musik nach.
Wenn sich das Gesellschaftsklima weiter in der aktuellen Richtung verschiebt, hätte das eventuell sogar Konsequenzen für euch persönlich. Fama ist in Kreuzberg geboren, als Tochter eines senegalesischen Vaters und einer deutschen Mutter.
Fama M'Boup: Das ist nicht meine Position, aber wenn ich als schwarze Frau für eine von vielen marginalisierten Gruppen sprechen soll, dann ist die Frage, wo sollen wir hin? Wo gibt es Orte, die uns Sicherheit bieten? Je weniger Schutz im realen Raum, umso gefährlicher wird es. Wir haben Räume im Geistigen, im Virtuellen, die eine gewisse Form von Zugehörigkeit bieten. Deswegen meine ich, dass im Moment Gemeinsinn erforderlich ist, und je mehr das auch im Realen gelingt, desto besser. Es ist wichtig, Zugehörigkeit spüren zu können, sei es in der Kunst, oder anderswo. Die Situation im Moment empfinde ich als bedrohlich und ausweglos. Andererseits denke ich, wir können nicht einfach nichts tun. Irgendetwas muss man machen, um sich gegen Rechts zu positionieren. Der Gedanke, ach, was kann ich schon ausrichten, darf gar nicht erst aufkommen, weil, dann ist es wirklich vorbei.
Bernd Gürtler/TM
Olicía
"Out Of The Blue"
(O-Cetera; 15.11.24)
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