Wie konnte das Album werden, was es geworden ist?
Die Coronapandemie hatte uns auf uns selbst zurückgeworfen. Jeder konnte in Ruhe die Monster in seinem Schrank betrachten, im Keller der Seele aufräumen. Nachdem wir wieder Konzerte geben durften, fiel uns die Zurückhaltung des Publikums auf. Mir ging es ähnlich, auch ich musste erst neu lernen, zu tanzen, zu lachen, Party zu machen. Das ist es, was bei "Gute Nachrichten" durchweg mitschwingt. Ich wollte wieder das Leben reinlassen, mit ganz viel Boomchuck und Krawums.
Das Presseinfo des Schallplattenlabels erwähnt auch Erwartungshaltungen, derer du dich entledigen konntest!?
Erwartungshaltungen begleiten mich, seit ich Musikerin bin, bestimmte Vorstellungen, wie weiblich gelesene Personen sein sollen. Sie dürfen nicht zu dick sein, nicht zu dünn, schon gar nicht zu alt, aber auch nicht zu jung; sie dürfen wütend sein, aber bitte nicht zu wütend. Das empfand ich als äußerst belastend. Die Zeit der Einkehr während Corona hat mich bestärkt, nur noch zu sein, wie ich bin. Hinzu kommt, dass ich vor Corona praktisch ununterbrochen auf Achse war, Konzerte und Interviews gab, neue Songs schrieb. Mir fiel es zunehmend schwerer, meinen eigenen Kern zu stärken. Die coronabedingte Auszeit half mir herauszufinden, wofür mein Herz brennt. Ich dachte, wenn es mir vergönnt sein sollte, dass ich noch ein Album machen, weiter Musikerin sein kann, soll es mir egal sein, was andere über mich denken.
Zusätzlichen Rückenwind beschert offenbar ein Wechsel des Managements. Jedenfalls enthält "Gute Nachrichten" mit "Mein Manager" den Abgesang auf ein fragwürdiges Exemplar seines Berufsstandes.
Die Songfigur ist fiktiv, erzählt wird aus der Perspektive von uns Flintas, also Personen, die nicht männlich geboren sind und sich als Mann bezeichnen. Wir sehen uns im Musikbusiness oft mit einflussreichen Männern konfrontiert. In den Chefetagen entscheiden Männer und wir bewegen uns in einem kapitalistischen System, wo es zur Herausforderung wird, im Blick zu behalten, wofür man als Künstler angetreten war. Das muss oft weggebügelt werden, denn es geht darum, Geld zu verdienen. Eine Situation, die mir bestens vertraut ist. Ich sitze drei, vier Männern gegenüber, versuche zu vermitteln, dass dieses Album mit jeder Faser meines Selbst gemacht ist und dann die Erwiderung, schön und gut, aber ein Hit ist nicht dabei. Wie sich das anfühlt, verlangte nach einer Beschreibung.
Stichwort Kapitalismus, der Eröffnungssong des Albums ist nach selbigen benannt. Wer aufmerksam hinhört, erkennt deine kritische Haltung, aber auch, dass dir bewusst ist, du selbst bist Teil des Ganzen.
Ich bin auch nur ein einfacher, dummer Mensch, der in den kapitalistischen Zusammenhängen versucht zurechtzukommen. Manche Leute können sich komplett entkoppeln, aber dazu braucht es Sturheit. Gleichzeitig möchte der Mensch gern einer Gemeinschaft angehören. Lange habe ich versucht, diese erwachsenen Dinge zu tun, dummerweise will es mir nicht gelingen. Sicher, es gibt immer zwei Seiten. Wir in unserem Land mit unserer weißen Hautfarbe profitieren von Privilegien, die durch den Kapitalismus geschaffen wurden, aber auf Kosten anderer. Das ist wie ein leckerer Pudding mit einem Löffel Scheiße. Bei mir gibt es wenigstens einmal am Tag eine Sache, bei der ich denke, eigentlich echt Mist, dass du dieses gerade kaufst, jenes gerade machst. Keiner von uns kann so tun als wären wir nicht Teil des Ganzen.
Genau genommen zieht sich auch das als Grundlinie durch das gesamte Album, du bist und bleibst immer teilnehmende Beobachterin.
Stimmt, jetzt, wo du es sagst! Ich denke, wir leben in Zeiten, in denen einer allein nicht mehr alles weiß. Ich finde es problematisch, wenn junge Menschen sich beispielswiese klimaaktivistisch engagieren wollen und sofort kommt das Argument, ja, aber du trägst auch Lederschuhe. Dann denke ich, klar, jeder von uns macht irgendwann irgendetwas falsch. Ich kann in meinen Songs auch keine Pauschallösungen anbieten. Das wäre dasselbe, was die AfD behauptet, eben dass ein Einzelner genau Bescheid weiß und die Lösung einfach wäre. Die Lösung ist nicht einfach sondern kompliziert, und es wird uns noch einigen Hirnschmalz kosten. Soweit die gute wie die schlechte Nachricht, wir können es nur gemeinsam schaffen.
Ein anderer Song auf "Gute Nachrichten" heißt "Dey" und betrifft jemanden, den du zu kennen scheinst.
Richtig, in meinem Umfeld habe ich sehr viele nichtbinäre Personen oder Transmenschen. Um es kurz zu erläutern, das bedeutet, dass jemand als weiblich gelesen wird, jeder denkt, ach, das ist eine Frau. Die Person selbst aber sagt, okay, ich bin mit weiblichen Geschlechtsanlagen geboren und trotzdem keine Frau. Ich fühle mich weder als Frau noch als Mann. Oder es gibt Menschen, die sagen, ich bin keine Frau, so wie ihr mich lest, ich bin ein Mann. Einige lassen sich operieren oder unterziehen sich einer Hormonbehandlung, wobei manche das ablehnen, weil belastend für den Körper. Wieder andere sagen, ich bin nicht binär, auch wenn ich die Haar lang trage und mit hoher Stimme spreche. Trotzdem möchte ich nicht mit 'sie' angesprochen werden sondern mit 'dey', einem Pronomen, das aus dem Englischen kommt. Diese Menschen müssen sich ständig erklären, weil die Angst vor Pronomen weit verbreitet ist. Wenn man bedenkt, welche Probleme uns ansonsten beschäftigen, finde ich es erstaunlich, wie viel Hass aus der Gesellschaft wegen eines Pronomens herausbricht. Ich vermute, oft geschieht das aus Unsicherheit. Viele entgegnen lieber, so ein Quatsch, weil sie fürchten, etwas Falsches zu sagen. Aber die Betroffenen müssen ständig darauf hinweisen, Achtung, du hast mir das falsche Pronomen gegeben. Deshalb dachte ich, es wäre doch schön einen Song zu schreiben, der Freude verbreitet, eine Leichtigkeit hat, die mitnimmt. Wenn sich dann jemand vorstellt und sagt, hey, mein Pronomen ist 'dey', dass du dann sagst, ach ja, das habe ich schon irgendwo gehört, so dass Lola nicht ganz von vorn beginnen muss. Natürlich konnte ich den Song nur schreiben, weil es sich um ein Thema aus meinem Umfeld handelt. Wäre das nicht der Fall, wäre es komisch. Aber ich kenne Menschen, die ich liebe und bei denen ich sehe, wie sie leiden. Das berührt mich.
Herausragend auch "Wenn er nicht trinkt", das einfühlsam über Alkoholmissbrauch nachdenkt.
Ebenfalls ein Song, der auf riesige Resonanz stößt. Nicht wenige scheinen betroffen, Alkoholismus ist ein gesellschaftlich stark legitimiertes Thema. Zum Problem wird es erst, sobald jemand aufhört mit dem Trinken. Vor allem bei Männern, die sich dann fragen lassen müssen, was, du trinkst nicht? Hast du ein Alkoholproblem? Aber alle, die saufen, werden nicht darauf angesprochen. Der Song handelt von einem, der sich einredet, der geliebte Mensch ist eigentlich ganz in Ordnung, wenn er nicht trinkt, aber nicht merkt, wie ihn der Strudel aus Selbstbeschwichtigungen verschlingt. Bei Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine stigmatisierte Krankheit, die die Familien der Betroffenen gleichermaßen gefährdet, weil sie in psychische Erkrankungen abrutschen oder wiederum andere Süchte entwickeln können. Ich weiß aus eigener Erfahrung, das kann in tiefste Krisen stürzen.
Jeder Song auf "Gute Nachrichten" wäre eine ausführliche Betrachtung wert. Unbedingt eingehen sollten wir noch auf "Nie wieder".
Das war meine Antwort, nachdem mein Song "Testament" 2015 von rechten Gruppierungen vereinnahmt wurde. Ich war völlig schockiert und schrieb "Nie wieder", ursprünglich ein Text von zwanzig Seiten; mit ordentlich Wut im Bauch kommt eine Menge Gereimtes aus mir raus. Aus dem Text sind unter anderem "Der Einsamkeit zum Trotze" und "Da draußen" hervorgegangen, jeweils zur selben Thematik, dem Miteinander unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. Lange ging ich davon aus, dass wir jeden mitnehmen müssten. Aber vergangenes Jahr brachten wir unter dem Titel "Zeitlose Kamellen" ein Programm auf die Bühne, das Songs von mir mit meinen Lieblingsdichtern Tucholsky, Brecht und Kästner verknüpft, allesamt auf dem Bücherverbrennungsindex der Nazis, gelandet, allesamt hatten vor den Nazis gewarnt. Spätestens Ende 2023 wurde mir bewusst, wie aktuell das ist. Ich dachte, auch wenn es mich Publikum kostet, wir müssen uns streiten. Es braucht jetzt klare Kante, sonst wird uns dieses Land auf ganz andere Art fremd.
Bernd Gürtler/TM
Sarah Lesch
"Gute Nachrichten"
(Meadow Lake; 22.3.24)
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