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Mehr Gelassenheit wagen: Heinz Rudolf Kunze über sein Album "Schöne Grüße vom Schicksal"

Bedeutungsschwer der Albumtitel und dennoch verblüffend an "Schöne Grüße vom Schicksal" (Rhingtön/Universal), die Leichtfüßigkeit. Unverkennbar das Bestreben des Künstlers, sich auch einem Publikum verständlich zu machen, das weder schon zum Frühstück Shakespeare rezitiert noch am Abend zu Peter Hammill entspannen möchte. Zuzuschreiben ist das dem Umstand, dass Heinz Rudolf Kunze Soloauftritte jetzt richtig solo bestreitet. Auf der Bühne nur er mit Gitarre oder wahlweise am Klavier. Früher undenkbar, gesteht er und dass ihn die neue Nähe zum Publikum mehr Gelassenheit wagen lässt.

Ein Song des neuen Albums heißt "Immerzu fehlt was". Die zweifach wiederholte Schlusszeile dort lautet, "Schöne Grüße vom Schicksal". Wie kam es, dass das der Albumtitel geworden ist?
Meine Alben bekommen meistens Arbeitstitel, die im letzten Moment verworfen werden. Der Arbeitstitel diesmal war "Für mein Leben gern", den ich sensationell finde, aber zu ernst, eher geeignet für ein Buch. "Schöne Grüße vom Schicksal", da sehe ich fünfzehn Songs zu einem bunten Strauss gebunden. Manche sind giftig, manche haben Stacheln, andere duften gut. Ich finde, Schicksal ist auch ein schönes, starkes deutsches Wort, das sich zum Beispiel mit dem englischen 'faith' nur ungenau übersetzen lässt.

Es ist aber auch ein düsteres, arg belastetes deutsches Wort.
Richtig, und nicht erst durch die Nazis, das war es schon bei Richard Wagner und davor. Wie im "Nibelungenlied" neigen die Deutschen dazu, Schicksal als etwas Dräuendes zu sehen, als Unwetter mit Blitz und Donner, als Anschlag Wotans auf die armen kleinen Menschenkinder. Das muss es aber nicht sein, Schicksal hat auch etwas Heiteres. Da ich jetzt natürlich öfter gefragt werde, wann das Schicksal bei mir mal richtig hingelangt hat, sage ich immer, in meinem Leben sind so viele auch freundliche Dinge passiert, die ich mir nicht rein als Zufall erklären kann. Ich würde gar nicht wollen, dass das alles Zufall gewesen ist. Ein Leben ohne jeden Plan, ohne jeden Ordnungsrahmen, das möchte ich nicht. Ich will, dass es ein Schicksal gibt, ich erwarte das!

Angenehme Vorstellung, dass Schicksal etwas sein kann, das den Menschen Geborgenheit gibt.
Sicher, ich habe doch die Freiheit, mir darunter vorzustellen, was ich möchte. Das hängt nicht über mir wie ein Damoklesschwert, dass man da dann gar nichts mehr machen kann, dass man nur noch einen Plan abspult. So sehe ich das nicht. Man kann schon einen Dialog führen mit seinem Schicksal, es hier hin und dorthin anstupsen. Aber irgendwie möchte ich mit der Gewissheit leben, dass es nicht nur Chemie, Biologie und Physik gibt, dass es nicht nur Naturgesetze gibt, sondern auch eine höhere, waltende Ordnung. Auch wenn ich sie nicht verstehe. Und die meisten meiner Kollegen, die ich kenne, glaube ich, haben einen Hang zur Transzendenz. Sonst wären sie nicht Künstler.

Warum fand das in der Bedeutung äquivalente 'Fügung' oder 'Geschick' keine Verwendung? Weil Schicksal allgemeinverständlicher beschreibt, worum es dir geht?
Natürlich, denn wie sagen zwei sich verliebende bei Rosamunde Pilcher? Das muss Schicksal sein!

Generell scheint dies ein Grundanliegen des neuen Albums, dass du dich deinem Publikum verständlicher mitteilen möchtest.
Ja, durch meine Erfahrung nach drei Jahren Solospielens, wo ich nahe bei den Leuten bin und die Leute nahe bei mir, will ich mich wieder anders zum Publikum in Beziehung setzen. Das war kein Vorsatz, das ergab sich einfach.

Dass die Songs musikalisch leichter und luftiger daherkommen, die Songtexte weniger verklausuliert sind, mit anderen Worten, dass du dichter ran willst an dein Publikum, ist keine ganz falsche Beobachtung?
Überhaupt nicht, das habe ich jetzt gelernt. Ich war ja nie sehr weit weg vom Publikum, dafür toure ich zu regelmäßig. Aber bevor wir das Soloprogramm "Einstimmig" aufgelegt haben, wurden die Pausen manchmal länger und hatten zur Folge, dass ich jedes Mal mit viel Lampenfieber von vorn beginnen musste. Das kann jetzt gar nicht mehr passieren, weil ich regelmäßig vor Menschen auftrete, und das noch ganz allein, also richtig intim. Da habe ich enorm viel gelernt. Der Draht reißt nicht mehr ab, und bei mir ist er abgerissen, wenn ich ein Jahr nicht auf Tour gewesen bin.

Aber bist du nicht zwischen den Tourneen zu den jeweils regulären neuen Alben auch bisher schon mit literarisch-musikalischen Programmen wie zuletzt mit "Räuberzivil" vor Menschen aufgetreten?
Schon, aber nicht solo.

Nein?
Eben nicht.

Warum nicht?
Weil ich es mir nicht zugetraut habe.

Wie bitte? Jemand wie du, der sich auszudrücken versteht wie kaum ein anderer Songpoet deutscher Sprache, traut sich nicht allein auf die Bühne?
Nein, ich hatte immer mindestens einen Begleitmusiker dabei. Ich dachte, ich schaffe das nicht, einen Abend interessant genug zu gestalten, wenn ich allein zwischen drei Gitarren und Klavier wechsle.

Jedenfalls spürt man die neue Zugänglichkeit sofort. Stellenweise wirkt "Schöne Grüße vom Schicksal" wie ein Landhaus an einem lauen Augustabend, wenn ringsum die Fenster offen stehen.
Oh, das ist aber schön gesagt! Wäre ja gut, wenn jetzt im Alter endlich mehr Gelassenheit nach vorne käme. Musste ich lange kämpfen dafür.

Bei Song Nummer fünf, "Schorsch genannt die Schere" kehrt dann der alte Heinz Rudolf Kunze zurück. Manche werden denken, endlich!
Länger konnte er nicht verborgen gehalten werden. Da kommt der Kai wieder aus der Kiste.

Der Protagonist aus "Schorsch genannt die Schere" korrigiert die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich, indem er Reichen die Köpfe abschneidet. Hört sich an wie die fixe Idee eines Horrorfilmproduzenten.
Das ist ein Antwortsong auf Neil Youngs "Revolution Blues" 1974 vom Album "On The Beach", wo es heißt "Well, I hear that Laurel Canyon is full of famous stars/But I hate them worse than lepers/And I'll kill them in their cars". Ich dachte, dazu müsste ich unbedingt was machen.

Angesichts der prekären Weltlage hätte man mit mehr solcher Songs gerechnet.
Nee, warum, bringt ja nix. Einmal lasse ich das ziemlich ungefiltert raus in "Wie tut man denn sowas". Dieses Gefühl von Fassungslosigkeit bei dem Versuch, jemanden zu verstehen, der sich einen Sprengstoffgürtel umbindet oder mit einem Schnellfeuergewehr in eine Menschenmenge reinschießt. Man möchte manchmal verstehen, wie ist sowas nur möglich. Wie kann denn einer so werden? Dort wird das aktuelle Weltgeschehen direkt aufgegriffen. Aber Musik hat eine andere Aufgabe, denke ich.

"Zitadelle" ist auch ein Song mit gesellschaftskritischen Anklängen.
Das erzählt vom Kampf der letzten Getreuen gegen den überbordenden Irrsinn und Schwachsinn überall. Ein Alamo der Vernünftigen wehrt sich gegen eine wahrscheinlich nicht zu besiegende Übermacht. Natürlich hätte ich auch über den Krieg gegen die Wahrheit schreiben können. Aber was bringt das. Das hört man sich an, ist einer Meinung mit mir. Hört es sich noch mal an, ist immer noch einer Meinung mit mir. Beim dritten Mal kann man es nicht mehr hören, weil, wer will schon ständig einer Meinung mit mir sein. In meinen Soloprogrammen mit meinen Sprechtexten bin ich direkter. Dort gehört das auch mehr hin.

Vor allem kannst du mit deinen Soloprogrammen schneller reagieren. Zur Echo-Verleihung an Farid Bang und Kollegah war im Handumdrehen ein Gedicht geschrieben. Und durch die ARD-Doku "Die dunkle Seite des deutschen Rap" ist längst erwiesen, dass der Vorwurf des Antisemitismus zutrifft.
Naja, und da ist dann eben auch Schluss. Ich bin wirklich ein glühender Verteidiger der künstlerischen Freiheit. Man darf viel, man muss auch viel, aber man muss nicht alles. Und irgendwann ist die Grenze überschritten.

War es richtig, dass einige Echo-Empfänger ihre Trophäe zurückgegeben haben?
Die überwiegende Mehrheit der Ausgezeichneten sind vernünftige Leute. Warum sollten sie ihren Echo zurückgeben, sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Ich selbst war nicht in der Verlegenheit, ich habe keinen. Ich habe nur den Vorgänger, den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, und den gebe ich um nichts in der Welt wieder her, denn der war was wert. Das war ein Jurypreis und kein Kommerzpreis wie der Echo, wo ausschließlich die Verkaufszahlen als Bemessungsgrundlage herangezogen werden.
Bernd Gürtler Cybersax 5/18


Heinz Rudolf Kunze
"Schöne Grüße vom Schicksal"
(Rhingtön: 4.5.2018)


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Foto: Universal
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