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Isolation Berlin: Abkehr vom Zeitgeist

Bis neulich noch die Band, die mehr oder weniger über Depressionen singt, sind Isolation Berlin mit "Electronic Babies" vom Herbst 2024 um einiges vielschichtiger geworden. Im Videocall verrät Sänger und Hauptsongschreiber Tobias Bamborschke, weshalb das einer Abkehr vom Zeitgeist gleichkommt und mit seiner Abneigung gegen soziale Medien zu tun hat.

Vielschichtiger geworden, das ist eine Begrifflichkeit, die ziemlich theoretisch wirkt. Aber es lässt sich kaum von der Hand weisen, Isolation Berlin sind mit "Electronic Babies" nicht mehr dieselbe Band. Eine Entwicklung hat stattgefunden, der Eröffnungssong ruft es sofort ins Bewusstsein. Die Songfigur in "Echt sein" gesteht sich ein, dass sie selbst Teil des Problems ist, oder?
Richtig beobachtet. Textlich suche ich die Auseinandersetzung mit dieser Ambivalenz, dass das Schlechte gleichzeitig das Gute beinhaltet, das Schöne nie ohne das Hässliche existiert und umgekehrt. Auch in Liebesliedern wie "Hinterm Vattenfallmond" beschäftige ich mich damit, dass in jeder Beziehung beide den gleichen Anteil haben am Schönen wie am Negativen. "Electronic Babies" ist der Versuch einer Versöhnung der verschiedenen Seiten. Das geht gegen den Zeitgeist. Vieles wird übertrieben emotionalisiert und ein Schwarzweißdenken verstärkt, gerade durch soziale Medien. Ich bin seit Jahren weg davon, weil mir aufgefallen ist, dass soziale Netzwerke die Seiten in mir nur verstärken, den Selbsthass, den Hass auf eigene Unzulänglichkeiten zuspitzen.

So gesehen bildet "Echt sein" den Kontrapunkt zum Titelsong, weil dort genau die Verstärkerwirkung sozialer Medien thematisiert ist.
Zustimmung auch da. Ich selbst leide stark unter Ängsten und merkte, dass mich die sozialen Netzwerke völlig überfordern. Einerseits dachte ich, ich muss mich dem aussetzen, schließlich muss ich wissen, was los ist. Gleichzeitig musste ich feststellen, wie mich das total runterzieht, fertig macht, meine Ängste schürt. Einmal ist mir das sogar körperlich bewusst geworden. Ich hatte das Smartphone unter einem Stapel Wäsche im Schrank verstaut, mich ins Bett gelegt und spürte immer noch die Verbindung zum Gerät, den elektronischen Stressstrom. Das war der Punkt, als ich dachte, okay, es muss sich etwas ändern. Ich löschte Facebook, Instagram und alles andere. Das hat mir sehr geholfen.

Die Ambivalenz der Songtexte spiegelt sich in den Arrangements, die jetzt ebenfalls vielschichtiger sind.
Unbedingt! Das Vorgängeralbum "Geheimnis" war zu einer Zeit entstanden, als es uns nicht gut ging. Bei "Electronic Babies" ist eine neue, kindliche Spielfreude erwacht. Das Album fühlt sich an wie ein Neuanfang für die gesamte Band.

An den Arrangements fällt auf, dass dort, wo sich ungemütliche Themen verhandelt finden wie unter anderem im Titelsong, eher Einflüsse aus dem britischen New Wave verarbeitet sind. Wire, Magazine oder Joy Division fallen einem als Vergleichsgrößen ein. Die Liebeslieder oder zwei Berliner Milieustudien sind freundlicher in Szene gesetzt. Offenbar besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Songinhalten und der Form.
Total! Bei uns ist es meistens so, dass wir mit einem Songtext von mir beginnen. Dann schauen wir, was sich damit anstellen lässt. Isolation Berlin sind von Anfang an eine Band gewesen, die rauswollte aus Schubladen. Die Musik muss immer dem Songtext, der Geschichte gehorchen, darf niemals Selbstzweck sein, um irgendeiner Musikgattung zu entsprechen. Wir nehmen uns die Freiheit und sind, was das angeht, ganz Band. Zuerst bekommt Max Bauer, unser Gitarrist, meine Songtexte. Später werden die anderen einbezogen. Wir reden gar nicht viel darüber, wo die Ideen herkommen, was jeder sich vorstellt. Dadurch entsteht etwas, das am Ende jeden von uns überrascht. Das ist die Freude, die eine Band bereithält. 

Es sind nicht wenige, die behaupten, das Bandformat habe sich erledigt. Für euch offenbar nicht?
Nein, überhaupt nicht, unsere Musik kann meiner Meinung nach nur im Rahmen einer Band entstehen. Ich habe meist eine Idee, einen Sound im Kopf, und werde zuerst überrascht von Max, dann von David Specht und Simeon Cöster an Bass und Schlagzeug. Wir überraschen uns gegenseitig, jeder bringt seine Vorlieben, seine Einflüsse ein. Bei den fertigen Songs denke ich jedes Mal, das ist noch viel toller, als ich dachte!

Eine der beiden Milieustudien heißt "Der Trinker" und erinnert an Berliner Eckkneipen, wie in einschlägigen Spielfilmen vielfach dargestellt.
Die Assoziation ist vollkommen richtig. Die Kneipe war immer wichtig für uns, ein Ort, wo wir anderen Musikern, anderen Menschen begegnet sind, wo geredet wurde, gar nicht unbedingt nur über Musik, wo ich Menschen kennenlernte und Geschichten aufschnappte. Der Auslöser war tatsächlich ein Spielfilm, "Der Trinker" mit Harald Juhnke in der Hauptrolle, nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada. Beim Anschauen des Films kam bei mir ein Gefühl auf, von dem ich dachte, das müsste ich in einen Song formen. Das ist verwoben mit eigenen Beobachtungen und Geschichten, die mir zugetragen wurden.

Die zweite Milieustudie ist "In dem Park auf der Bank", was war die Idee?
Das ist auf einer Bank in einem Berliner Park geschrieben, in einer Phase, als ich mich sehr einsam, sehr verloren fühlte. Ich ging jeden Tag in den Park, setzte mich auf dieselbe Parkbank, um nachzudenken. Oder schaute und schrieb auf, was mir aufgefallen ist. 

Bei "Hinterm Vattenfallmond" wird die Hörerschaft regelrecht mit der Nase darauf gestoßen, dass Element Of Crime Pate standen. Die Trompete steuert Sven Regener bei. Fühlt ihr euch in der Gesellschaft genauso wohl wie zwischen Wire, Magazine oder Joy Division?
Element Of Crime sind mir seit vielen Jahren eine Inspiration, inzwischen sind wir befreundet und gemeinsam auf Tour gegangen. Element Of Crime sind wichtig gewesen für mich auf dem Weg zu Songtexten in deutscher Sprache. Ich mochte britische Bands und fühlte mich gleichermaßen hingezogen zu Dichtern wie Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse oder Else Lasker-Schüler. Anfangs gelang es mir nicht, beides miteinander zu vereinen. Element Of Crime waren ein Schlüsselmoment, wo ich dachte, vielleicht funktioniert es doch. Auch deshalb gründeten wir Isolation Berlin, es sollten keinerlei Regeln gelten. Davor sang ich in Bands, dort musste alles nach Garagerock klingen. Mit "In dem Park auf der Bank" oder "Hinterm Vattenfallmond" konnte ich denen nicht kommen. Ich dachte damals, eventuell sollte ich verschiedene Bands gründen, für jede meiner Vorlieben eine. Bei Isolation Berlin ist alles erlaubt. 

Einen Neuanfang markiert "Electronic Babies" auch insofern, als dass das Album bei einem anderen Schallplattenlabel erscheint. Ihr seid von der Berliner Indiefirma Staatsakt zur multinationalen Major Company Universal gewechselt.
Das gesamte Album resultiert aus einer einzigen Aufbruchsstimmung heraus. Das Vorgängeralbum entstand in einer für uns harten Zeit, es gab Konflikte innerhalb der Band. Dann kam Corona und was auf die Pandemie gefolgt ist, wissen wir. Bei "Electronic Babies" wollten wir alles neu machen, eine neue Plattenfirma, eine andere Herangehensweise finden. Beim Albumvorgänger versuchten wir zu improvisieren, was nie recht geklappt hat. Diesmal besannen wir uns darauf zurück, wie es ganz am Anfang war. Ich beginne mit einem Text, den übergebe ich Max Bauer, er gibt seine Arrangements weiter an die Band. Auch was das Schallplattenlabel angeht, war klar, wir müssen raus aus eingefahrenen Gleisen. Staatsakt haben wir nicht im Streit verlassen, wir mussten einfach weiterziehen. Alle konnten das verstehen. Das Management ist auch nicht mehr dasselbe. 

"Electronic Babies" erscheint digital und auf Vinyl, die vinyle Deluxeedition mit einer 7'-Single als Bonus. Die Single-B-Seite heißt "Ich hasse dich" und ist ein einziger Wutausbruch. Klingt so die Wut, die Lebensgefährtinnen gegenüber vielfach in physische Gewalt umschlägt?
"Ich hasse dich" ist eine Coverversion von den Monks, die wir eins zu eins ins Deutsche übersetzen. Das gab es früher auch schon, bei Pulps "Common People" oder Joy Divisions "Isolation", Nina Hagen haben wir auch gecovert. "Ich hasse dich" wirft einen Blick zurück in die Vergangenheit, den Garagebands, bei denen ich Sänger war, sind die Monks wichtig gewesen. Der Song handelt von einer eher kindlichen Wut, das ist meine Interpretation. Ich sehe keine körperliche Gewalt, eher einen kleinen Jungen, der mit dem Fuß aufstampft, weil Mama ihm verbietet, Kekse zu naschen. Mein Gesang rutscht in obere Stimmlagen, was eine Herausforderung war. Aber dadurch bekommt es etwas Erbärmliches. In meiner üblichen Stimmlage gesungen, wirkt das bedrohlich, was ich unbedingt vermeiden wollte. Für mich hat der Song etwas Selbstironisches. Der Sänger macht sich über sich selbst lustig, wird zum Kind, das sich bockig auf dem Fußboden wälzt. Eine Phase, die jeder durchmachen muss. Kann man manchmal in der U-Bahn beobachten.
Bernd Gürtler/TM


Isolation Berlin
"Electronic Babies"
(Vertigo; 11.10.24)


Isolation Berlin
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Foto: Noel Richter
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