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Isolation Berlin: Die spannendste Band im Moment und bestimmt noch für sehr lange Zeit

"Sind wir schwierig?" Tobias Bamborschke kommt selbst ins Grübeln, welchen Eindruck er und Gitarrist Max Bauer nach diesem knapp dreißigminütigen Interviewtermin im Büro ihres Berliner Schallplattenlabels wohl hinterlassen. Ein Ausbund an Mitteilsamkeit sind die beiden wirklich nicht, obwohl es rein gar nichts zu befürchten gäbe. Seit sich 2016 mit der EP-Kopplung "Berliner Schule/Protopop" sowie dem Albumdebüt "Und aus den Wolken tropft die Zeit" eine breitere Öffentlichkeit hergestellt hat, erfreuen sich Isolation Berlin durchweg positiver Resonanz. Falls der Eindruck nicht täuschen sollte?!

Das mag sich im Nachhinein so darstellen, entgegnet Sänger und Songtextautor Tobias Bamborschke. "Es kamen aber auch Sachen, wo wir uns weniger verstanden fühlten. Ganz zu Anfang sind wir wie jede Band durch die Scheiße gegangen." Als es aber soweit war, dass Kritiker wie Publikum vor Begeisterung Purzelbäume schlugen, sind sie dann als das wahrgenommen worden, was sie sein wollten? "Unbedingt, das war eine echte Erleichterung, als wir merkten, es passiert etwas. Jetzt müssen wir keine beschissenen Brotjobs mehr annehmen. Es gibt Leute, die interessieren sich für uns."

Entsprechend sind Etiketten wie "Lieblingsband der Melancholiker" also keine Fremdzuweisungen fabulierfreudiger Medienvertreter? So sehen sie sich selbst? "Wir hatten nicht die geringste Vorstellung, wie wir gesehen werden wollen. Wir wollten eine Band sein und Songs schreiben, die uns gefallen, mehr nicht. Es ist auch nicht so, wie es manchmal hingestellt wird, dass wir den lieben langen Tag zu Hause sitzen, Dostojewski lesen und Tee trinken. Das entspricht nicht der Realität. Aber klar, wir alle sind Freunde der Melancholie."

Bis hierhin verlief das Gespräch recht reibungslos. Mühsam wurde es bei der Frage, was als Quelle ihrer Melancholie zu vermuten wäre.

"Die Quelle unserer Melancholie?", grübelt Tobias Bamborschke. Selbst eine sehr lange Denkpause ändert nichts an seiner Ratlosigkeit. "Weiß nicht, kann ich nicht sagen", gibt er schließlich zurück. Möglicherweise lag die Antwort bereits verborgen in einem zwei Jahre alten Bandporträt der Tageszeitung Welt, das mit der Überschrift "Wir verzweifeln wunderbar an unserem Wohlstand" versehen war, wobei sich das als Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft verstand, die langsam aber sicher an ihrer Sattheit zugrunde geht?!

Lieber möchte Tobias Bamborschke zunächst noch auf Grundsätzliches hinweisen. Schreiben, sagt er, ist "etwas sehr Intuitives, und die eigenen Songs zu interpretieren, das vermag ich nicht. Vielleicht fällt mir das in zwanzig, dreißig Jahren leichter." Max Bauer kann nur beipflichten und ergänzt, beim "Arbeiten denkt man nicht, das kommt irgendwoher und geht irgendwohin".

Musik ist aber eine Form der Kommunikation, zuerst zwischen den Musikern, dann zwischen Musikern und Publikum, so dass es durchaus Sinn macht, dass derjenige, der über Musik schreibt, mit den Musikern kommuniziert, um zu verhindern, irgendeinen Unsinn über das Woher und Wohin zu verbreiten? "Doch, schon", übernimmt erneut Tobias Bamborschke. "Wir verstehen das gar nicht als Angriff, manches lässt sich nur eben schlecht erklären. Geht einfach nicht." Das eigene kreative Wirken zu hinterfragen, liegt nicht jedem Kunstschaffenden, wohl wahr. Trotzdem nochmals nachgehakt. Bleibt es dabei, dass Melancholie die Freude der Traurigen ist, wie Tobias Bamborschke es dem Bayerischen Rundfunk zu Protokoll gab? "Richtig, ich erinnere mich."

Tatsächlich hört man bei Isolation Berlin noch etwas anderes. Aus ihren Songs spricht eher ein tief sitzendes Misstrauen gegen alles, das dem Leben angenehme Seiten abgewinnen könnte. Weil das Glück nie etwas anderes sein wird als ein flüchtiger Moment? "Oh, jetzt wird es psychologisch", verschafft sich Tobias Bamborschke wiederum eine angemessene Denkpause, um diesmal doch etwas weiter auszuholen. "Es geht schon auch um die Suche nach dem Glück. Wie gesagt, Melancholie ist das Glücklichsein in der Traurigkeit. Mit meinen Songtexten versuche ich aber auch, Konflikte des Alltags zu bewältigen. Was mich beim Songschreiben ebenfalls fasziniert, ist der Moment, bevor die Vernunft einsetzt. Vieles wird sofort weggedrückt. Man hört einander nicht mehr zu. Mir fällt es auch schwer zuzuhören, vor allem bei krassen Dingen. In der Kunst lässt sich das leichter aufbereiten."

Kein langwieriges Nachfassen macht sich erforderlich, wenn es darum geht, dass die Songtexte bei Isolation Berlin von ungeheurer poetischer Dichte, jedoch kein Selbstzweck oder gar ein romantisches Wegducken sind, sondern vielmehr direkt dem Alltag zu entspringen scheinen. "Die Leute" vom Anfang 2018 veröffentlichten zweiten, regulären Album "Vergifte dich" beispielsweise, wo es um die Sensationsgier der lieben Mitmenschen geht. Ein Thema, das jedem bestens vertraut sein dürfte, oder? Sofortige Zustimmung von Tobias Bamborschke. "Denke ich auch, ja", entfährt es ihm.

Oder der Titelsong zu "Vergifte dich", wo es heißt "Wenn du keinen Sinn mehr siehst/Jede Nacht nur Nietzsche liest/Wenn du an keinen Gott mehr glaubst/Keiner Menschenseele traust/Du nicht mehr an die Liebe glaubst/Alle Lügen gleich durchschaust/Dann sei doch nicht traurig/Nein, vergifte dich". Das liest sich wie die Aufforderung, sich besser selbst um die Ecke zu bringen, bevor einem die Träume abhandenkommen. Mitnichten, korrigiert Tobias Bamborschke umgehend. "Es ist nur so, dass ich mich nicht frage, was ich mitteilen will. Ich frage mich, was das Leben mir mitteilen will, und das ist auch so eine Beobachtung, dass ein Großteil der Menschen mit Konflikten so umgeht, dass sie sich betäuben. Wer in Berlin lebt, wird ständig genötigt, sich zu betäuben. Man bekommt das vorgelebt, das ist tief in der Gesellschaft verankert."

Grandios auch, wie die Songtexte mit dem kraftvollen Rocksound verwoben sind. Hatte Udo Lindenberg noch seine Muttersprache an angloamerikanische Rockspielweisen angepasst, indem er einen deutschen Alltagsslang erfand, entwickelt Jochen Distelmeyer später einen eher intellektuellen Zugang und verknüpfte die Gitarrendissonanzen von Sonic Youth mit Songtexten, die in ihrer Machart an die Samplingtechnik des HipHop angelehnt waren. Bei Isolation Berlin gehorcht die Musik nunmehr vollständig den deutschsprachigen Songtexten. Rockmusik, dieser Kulturimport aus den USA und Großbritannien, wird dank ihnen endgültig eingemeindet und verknüpft mit einer Albumcovergestaltung, die kongenialer kaum sein könnte.

Wie sie etwas derart Stimmiges hinkriegen? Sie sind im Kollektiv kreativ! Bei den Songeinspielungen trifft sich jedes Mal die komplette Band im Studio. Jeder Einwand, jeder Vorschlag wird ernst genommen. Mit ihrem Covergestalter Yannick Riemer leben sie unter einem Dach. "Er weiß genau Bescheid, worum es uns geht", verrät Max Bauer. Und sind sie nun schwierig, um die Eingangsfrage aufzugreifen? Leicht wird es einem sicher nicht gemacht, das trifft zu. Aber sie sind die spannendste einheimische Band im Moment und bestimmt noch für sehr lange Zeit. Dafür müht man sich doch gern.
Bernd Gürtler SAX 4/18


Isolation Berlin
"Vergifte dich"
(Staatsakt; 23.2.2018)


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Foto: Noel Richter
Foto: Noel Richter
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