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Rolf Blumig: Bloß der Rausch hört nicht auf

Rolf Blumig ist eine ausgedachte Kunstfigur, angelehnt an die Welt des Schlagers. Geboten wird das komplette Gegenteil, aber keine Schlagerparodie. Dieses Feld bleibt denen überlassen, die sich bereits einschlägige Verdienste erwerben konnten. Mit "Zirkus Blumig" (Staatsakt) erschien Ende Februar das dritte Album, zeitgleich standen erstmals Interviewtermine zur Debatte. Eine Gelegenheit, die nicht ungenutzt verstreichen durfte.

"Zirkus Blumig" bringt deine Ideen konsequenter auf den Punkt als die beiden Vorgängeralben und noch wichtiger, es verdichten sich die Hinweise, dass es bei dir wirklich um etwas geht.
Unbedingt! Ich meine, ich bin jetzt konkreter, die Protagonisten sind klarer benannt und erzählen Geschichten von Menschen, die durch den Alltag gehen. Wahrscheinlich lassen sich deshalb die Geschichten leichter vom Erzähler lösen, entsteht deshalb eher der Eindruck, dass es um etwas geht. Mir ging es vorher schon um etwas.

Eben, und wenn nicht alles täuscht ist das, worum es geht, ein zutiefst dysfunktionaler Alltag, den das Publikum eingewickelt in knallbuntes Bonbonpapier vor die Füße gepfeffert bekommt. Seit Mitte der sechziger Jahre thematisiert Rockmusik gesellschaftliche Verwerfungen, aber immer mit der Zuversicht, wir schaffen das. Bei dir eine durch und durch utopiefreie Ausweglosigkeit!
Wenn du das so siehst, sagt das mehr über dich. Es sagt aber schon auch etwas über mich beziehungsweise meine Songs. Ich will musikalische Naivität mit dem totalen Upfuck kombinieren. Das ist ein ästhetisches Prinzip. Natürlich verarbeite ich eigene Erlebnisse. Ein Nachbar von mir in Essen kommt vor. Die Essener Innenstadt kommt vor und sehr oft das, was ich mir ausdenke. Vermutlich ist es einigermaßen übergriffig, wenn ich Leuten ins Gesicht schaue und mir vorstelle, wie Scheiße es denen geht. Ob die Welt wirklich so übel ist, weiß ich gar nicht. Das Album betrachtet die Welt durch meinen Filter.

"Taglicht" ist einer deiner krassesten Songs. "Ihr wollt den Zyniker, doch seht ihr euch nur selbst. Gehört ihr euch noch selbst? Mach' ein Bild, Schatz. Wir halten uns die Hand und spielen heile Welt", heißt es im Songtext. Eingeleitet die Passagen von den Zeilen "Wenn alles glänzt, romantisieren wir die Kacke".
Genau das passiert aber. Was ich erlebe und erschaffe, wird zum Produkt und kann überall im Onlinehandel für 25€ auf Schallplatte käuflich erworben werden. Wir romantisieren die Kacke, genau! Eigentlich auch wieder eine eher selbstreferenzielle Aussage. Es verrät mehr über mich als das, was wirklich ist. Es gibt Leute, die mit mehr Positivity in den Tag gehen und das auf ihre Musik übertragen. Ich selbst bin eigentlich gar kein so negativ eingestellter Mensch. Aber bei mir braucht es eine emotionale Härte, um überhaupt ins Schreiben zu kommen. Ich hoffe, dass ich irgendwann aus Situationen heraus schreiben kann, die eher vage sind, einfach passieren. Sich einen Rahmen zu bauen wie bisher, darauf habe ich keine Lust mehr. Dann fliegt einem nämlich die pure Negativität um die Ohren.

Du bist in Ostdeutschland geboren, kennst dich aus mit ostdeutscher Rockmusik. Ist dir jemals ein Unterschied zwischen Ostrock und Westrock aufgefallen?
Inwiefern?

Im Ostrock ist es gewissermaßen immer um etwas gegangen. Kunst generell diente als Ersatzöffentlichkeit, um gesellschaftliche Belange zu verhandeln, die von Politik und Medien bewusst ausgeblendet und sogar unterdrückt wurden. Den Songtexten fiel eine besondere Bedeutung zu, weil zwischen den Zeilen ausgestattet mit brisanten Botschaften, die das Publikum verstand aufmerksam mitzulesen. Anders der Westrock, der die Wirklichkeit als Materialfundus betrachtet und die Elemente nach Belieben individuell neu kombiniert. Dort geht es manchmal auch um etwas. Meistens aber geht es darum, irgendwie cool zu wirken.
Okay, aber in der Popkultur geht es doch immer ums Coolsein! Sobald ich in die Öffentlichkeit trete, geht es ums Coolsein. Ich suche über mein Kreativsein eine Bestätigung von außen. In dem Gegendruck, den das erzeugt, finde ich meine Existenzberechtigung. Das ist hochgradig problematisch und lässt sich wiedererkennen in den Identifikationskämpfen, die gerade geführt werden. Für mich war das ebenfalls ein Thema. Natürlich suche ich nach Bestätigung, ich will wichtig sein. Aber das löst sich gerade ein bisschen auf. Ich kann mich entspannen. Inzwischen ist mir völlig egal, wo meine Mucke stattfindet, weil, das ist gemacht worden, die drei Alben existieren. Es gab Momente, wo mir die Arbeit total auf den Geist ging, und es gab schöne, ungeheuer inspirierende Momente. Das kann mir keiner mehr nehmen. Was den Ostrock betrifft, ist mein Eindruck, dass es oft um gar nichts ging, um gar nichts gehen sollte, in voller Absicht.

Auf einige mag das zutreffen, die Puhdys zum Beispiel. Ihr Songtextschreiber Wolfgang Tilgner war IM der Staatssicherheit, ein inoffizieller Mitarbeiter in besonderer Verwendung sogar! Nicht wenige der anderen Bands entschieden sich, die Lücken im System zu nutzen.
Stimmt, Feeling B zum Beispiel. Eine tolle Band, die ich musikalisch voll interessant finde. Das, worum es geht, beschränkt sich meiner Meinung aber nicht auf die Textebene. Es geht auch um Haltungsfragen. Welche Wege beschreitest du, um Musik zu machen. Welches soziale Umfeld hat deine Band, in welcher Band bist du Mitglied. Das sind auch Dinge, die den Inhalt von Rockmusik ausmachen und sich beim Hören auf das Publikum übertragen. Die Kölner Krautrockformation Can blieb produktionstechnisch oft hinter den Standards der Zeit zurück, aber sie wussten genau, was sie wollten. Oder Schleimkeim aus dem Thüringischen Stotternheim, die zu Vorwendezeiten mit einer ganz anderen gesellschaftlichen Realität konfrontiert gewesen sind. Oder die Chemnitzer AG Geige, die gekonnt den Irrsinn des realexistierenden Sozialismus in seinem Endstadium auf die Schippe nahm. Ihre Songs reduzieren sich nie nur auf die Songtexte. Es geht um Philosophien, die noch nicht mal verbal ausgesprochen sein müssen.

Die dysfunktionale Gegenwart scheint sich am ehesten in einem Zirkuskontext verhandeln zu lassen. Immerhin heißt dein drittes Album entsprechend.
Ich wollte, ich könnte behaupten, dass "Zirkus Blumig" eine konzeptionelle Idee zugrundeliegt. Anfangs dachten wir zwar, wir könnten das Album als Zirkusprogramm aufbauen. Dummerweise ist davon nicht viel übrig geblieben, sondern die Songs, die ich geschrieben hatte, wurden im Verlauf des Einspielprozesses umgedeutet, so dass sie sich irgendwie zusammenfügen ließen. Erhalten blieb lediglich der Clown. Er ist der einzige mit akrobatischen Skills, der einzige, der sich über das Publikum, sich selbst und die Situation lustig machen darf, der einzige, der den Biss, den Witz, die Tragik der Welt auf sich vereint. Der Clown als Erzähler ist als einziges programmatisches Element übrig geblieben.

Den Abschluss des Albums bildet das dann wenigstens ansatzweise optimistische "Ja zum Leben", wo einem aufgeht, dass der Erzähler du bist.
Genau, das letzte Stück beschreibt mich selbst. Natürlich beschreibt sich die Rolle auch in anderen Stücken, dort aber in der dritten Person. Am Ende wird das aufgelöst, der Erzähler ist noch einmal eine ganz andere Person und steht aus der Vogelperspektive über dem Rest. Was bis dahin erzählt wird, erzählt Zirkusclown Rolfie.

Wozu überhaupt diese Kunstfigur?
Ich wollte mir eine Safe Space schaffen, um Dinge formulieren zu können, die nichts mit mir zu tun haben, so dass die Frage überflüssig wird, aus welcher Perspektive die Songs von wem geschrieben sind. Das gelingt durch Rolf Blumig, einer Kunstfigur aus dem Schlagerland. Dank ihr kann ich mir alles erlauben.

Gutes Stichwort, wer den Songtexten vielleicht nicht so ganz folgen kann oder will, dürfte in der Musik entdecken, dass du jemand bist, der sich auf jeden Fall einiges erlaubt. Stilistisch sind die Songs ein wildes Sammelsurium aus Hardrock und Disco, angejazzten Blueseinflüssen und dem akustischen Liedermacherfolk von Hannes Wader. Keyboardpassagen in "Zeit zum Verlieben" vom zweiten Album "Rolfie lebt" erinnern an die Ostcombo Stern Meißen in ihrer Progressiverockphase.
Das formuliert, was ich sehe, nämlich eine Welt ohne Zusammenhang. Eine Welt, die irreal wirkt, dass ich gar nicht mehr weiß, ist das jetzt Wirklichkeit, ist das echt? Bin ich gerade da, wo ich bin? Passiert das wirklich? Worum geht es eigentlich? Wohin soll das führen? Mein Eindruck ist, dass es nirgendwo hinführt. An dem Punkt fühle ich mich total verloren. Deshalb fehlt dem Album eine Utopie, deshalb liegt das Album in Scherben und versucht den Rausch auszuschlafen. Aber der Rausch hört nicht auf.
Bernd Gürtler SAX 4/23


Rolf Blumig
"Zirkus Blumig"
(Staatsakt; 24.2.23)


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Foto: Omid Arabbay
Foto: Omid Arabbay
Foto: Staatsakt

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