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Pauls Jets: Eskapismus als Notwehr

Sehr viel wird sich wahrscheinlich gar nicht erzählen lassen, gibt Paul Buschnegg vorsichtshalber zu bedenken, als wir uns am Rande des Konzerts seiner Band Pauls Jets Ende Juni in Berlin zum Interview treffen. Hinter ihm liegt eine ausgedehnte Konzertstrecke mit den Jets, er wirkt müde, grübelt, ob Konzertegeben überhaupt das Richtige für ihn ist, heute hier, morgen dort, übermorgen ganz woanders. Von daher war ohnehin Rücksichtnahme geboten. Dennoch vollkommen ausreichend die Begegnung, um ermessen zu können, dass das eskapistische Moment der Songs ihres dritten Albums "Jazzfest" pure Notwehr sein dürfte.

Pauls Jets sind aus Wien und genießen in ihrer Heimatstadt inzwischen ordentlich Medienaufmerksamkeit. Eine Tageszeitung der österreichischen Kapitale fühlte sich anlässlich der Veröffentlichung von "Jazzfest" Mitte Februar 2022 sogar beflügelt, die Jets zur Band der Stunde auszurufen. Bei Paul Buschnegg stößt die Huldigung überwiegend auf Skepsis. "Das ist Journalismus, da wird immer alles ein bisschen größer gemacht als es ist. Das geht in Ordnung, macht Sinn, aber ich würde nicht behaupten, dass wir die Band der Stunde sind. Schön, wenn jemand das sagt, aber ich bin kein Freund solcher Überschriften. Mir wäre etwas Lustiges lieber, dass man uns mit einem Möbelstück vergleicht zum Beispiel."

Der vorab ausgekoppelte Titelsong des Albums nimmt das Hipstergehabe bei Jazzkonzerten auf die Schippe, dieses neunmalkluge Geschwafel der ewigen Besserwisser im Publikum, verpackt in einen überaus authentischen Verbaldialog.

Obwohl lupenreine Rocker, die es im Bedarfsfall ordentlich krachen lassen, kennen mindestens zwei Bandmitglieder von Pauls Jets das Phänomen aus eigenem Erleben. "Unser Keyboarder und unser Schlagzeuger, Kilian und Xavier, gehen oft aufs Jazzfest, ein kleines Jazzfest in Österreich, das sich 'Konfrontationen' nennt. Aber der Song ist ein liebevolles Aufdieschippenehmen. Wir finden das Nischige, das Nerdige, das Blöddaherreden an sich gut. Es macht Spaß, sich abzulenken von dem großen Drama in uns. Der Song ist ein Gegenentwurf zur Melancholie, zum tiefsinnig indieboyisch Verweinten unserer Songs. Eine Antithese zur Traurigkeit, wir rappen einfach drauflos und eignen uns Dinge an. Über kulturelle Aneignung wird gerade viel gesprochen, und ich denke, wir betreiben eine Form davon. Wir eignen uns eine weiße Sache an, das weiße Gerede über Jazz. Die Appropriation der weißen Appropriation des im Ursprung schwarzen Jazz."

Vorgetragen wird der Hipsterdialog im Song "Jazzfest" in einem Schönbrunner Hochwienerisch wie gesprochen von Kaiser Leopold oder Falco, um sich vom Alltagsduktus der Normalbürger abzuheben. In welcher der beiden Welten würden sich Pauls Jets verorten? "Wir verorten uns nirgends, wir sind gar nicht alle aus Wien. Romy, unsere Bassistin, kommt aus Kroatien und fand nach einem Lebensabschnitt in München zur Band. Xavier wurde in Frankreich geboren, Kilian stammt aus dem Burgenland. Wir sind wie Steine, aufgesammelt am Wegesrand und versuchen, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Konzerttourneen sind doch recht anstrengend. Das Wichtigste ist, dass man nicht vollkommen wahnsinnig wird."

Jeden Abend eine andere Bühne zu entern, hilft dann doch gegen den drohenden Wahnsinn? "Auf jeden Fall, don't cry, work! Andererseits, wenn die Arbeit aus sechsstündigen Autofahrten und zermürbendem Warten besteht, muss man sehen, was die Zukunft bringt. Ich für meinen Teil mache Musik auch ganz gern zuhause im Wohnzimmer. Ich fühle mich wohl auf der Bühne, bin aber auch ein Fan von Studioarbeit. Ich bin nicht jemand, der das Publikum unbedingt braucht. Wir leben sowieso in den Zeiten des Internets, wo immer die Möglichkeit besteht, irgendetwas hochzuladen, so dass das Publikum nicht unbedingt in einem Raum zusammenkommen muss. Deswegen ist mir das Herumreisen gar nicht so wichtig. Natürlich ist es schön, man lernt andere Menschen kennen, die man vorher nicht kannte. Das würde einem zuhause seltener passieren. Belohnung für den Schweiß, den Schmerz, die unglaubliche Müdigkeit nach drei Stunden Schlaf ist, dass man wieder etwas mehr Welt gesehen hat. Ich weiß nicht, ob einen das intellektuell weiterbringt. Ich fürchte, dass es einen eher verdummt, wegen des akuten Schlafmangels. Aber man wird street smart dadurch, das ist das Ding."

Sonst noch irgendetwas, das sich jemandem an die Hand geben ließe, der Pauls Jets noch gar nicht kennt, die Band aber gern kennenlernen möchte? "Ja, wir sind die lustigen Quatschmacher aus Wien, die beiden Seiten der Glückspille!"

Grund genug, sich der Melancholie, dem tiefsinnig indieboyisch Verweinten hinzugeben, wäre allein die mit äußerster Vehemenz geführte Debatte um kulturelle Aneignung, weil Geschichte irrwitzigerweise ständig an der Gegenwart gemessen wird, unter rein ideologischen Gesichtspunkten. Ähnlich das Gendern, das die Sprache zu verändern gedenkt und weniger die gesellschaftlichen Verhältnisse, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen verhindern. Obendrauf der Klimawandel, Vladimir Putins Krieg in der Ukraine, ganz aktuell auch noch die nicht ganz unrealistische Chance, dass unsere Behausungen im nächsten Winter ungewohnt kühl bleiben. Die Welt wird heute als über die Maßen komplex und bedrohlich wahrgenommen, dass es dringend einer Ablenkung vom inneren Drama, einer Antithese zur Traurigkeit bedarf. Pauls Jets pflegen einen Eskapismus, der die prekären Verhältnisse keineswegs ignoriert, aber sich mit der heiteren Seite der Glückspille auf Armlänge vom Leib hält, um nicht vollends in Depressionen zu versinken. Sie bewitzeln Jazzbesserwisser, beleuchten die komischen Seiten eines fiktiven Flugzeugabsturzes oder empfehlen, "Wenn du traurig bist, dann geh' nicht ins Büro/Wenn du traurig bist, dann komm' mit in den Zoo". Sie würden sich lieber mit einem Möbelstück vergleichen lassen, anstatt als Band der Stunde zu gelten. Bei Pressefototerminen trägt das Quartett auch schon mal urkomische Hüte.
Bernd Gürtler SAX 8/22 


Pauls Jets
"Jazzfest"
(Staatsakt; 18.2.2022)


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Foto: Natalie Grebe
Foto: Natalie Grebe
Foto: Louise Lotzing

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