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Die Arbeit: Etwas Unintellektuelles, eine Spielerei

Zum Debütalbum "Material" lieferte der Bandname den Stoff für mediale Erörterungen. Warum nennt sich das Dresdner Quartett Die Arbeit? Wegen der emotionalen Vehemenz, die sofort mitschwingt. Manche hassen ihre Arbeit und gehen trotzdem hin. Andere widmen sich einer Leidenschaft, dem Musikmachen zum Beispiel, und betrachten das als Arbeit, hieß es damals. Zwei Jahre später beim Albumnachfolger "Wandel" (Undressed Records) rücken die Songs stärker in den Fokus und worin genau ihre Eigenart besteht. Dass es sich nicht um belanglose Massenware handelt, stand bereits vor dem Interviewtermin mit Sänger und Songtextschreiber Maik Wieden fest.

Vorn auf dem Cover zu "Material" war ein Ziegelstein abgebildet und auf dem Frontcover zu "Wandel" derselbe Ziegelsteintyp, verpackt in eine Stoffhülle. Das soll sicherlich andeuten, dass sich beide Alben sehr wohl voneinander unterschieden, aber auch eine Kontinuität besteht?
So konzeptionell war das gar nicht gedacht. Aber klar, wir sind immer noch dieselben vier Typen, darin liegt die Kontinuität. Und anders ist tatsächlich einiges. "Wandel" entstand unter professionellen Einspielbedingungen bei unserem Produzenten David Furrer in Wien. Sein Studio ist ein richtiges Tonstudio, ausgestattet mit Instrumenten, die uns sonst kaum zur Verfügung stehen. Das hinterlässt Spuren. Wir konnten hier eine Orgel, dort einen Synthesizer hinzufügen und schauen, ob das der Atmosphäre des Songs dient. Eine echte Bereicherung. Der weitaus gravierendste Unterschied aber war, dass wegen Corona massenhaft Konzerte ausfallen mussten, die im Zusammenhang mit "Material" geplant gewesen sind. Gleichzeitig kamen neue Anregungen und Einflüsse dazu, weil Gelegenheit bestand, andere Künstler zu entdecken.

Zum Beispiel?
Black Midi und Crack Cloud, zwei Bands, die musikalisch eine Fragmentierung betreiben, wie sie für die Zeit der Coronapandemie charakteristisch war. Nichts schien mehr sicher, ich jedenfalls fühlte mich nicht sicher. Eigentlich ein Zustand, den ich mag, der während Corona aber eine Herausforderung darstellte.

Wie seid ihr auf David Furrer als Produzenten gekommen?
Durch die Teilnahme am Workshop eines Gitarristen, das war David. Er kommt von der Filmmusik und weiß, wie sich Atmosphäre umsetzen lässt. Bei ihm hatten wir ein gutes Gefühl. Als damals noch mit unserer Vorgängerband Leo Hört Rauschen zur Debatte stand, ein Album aufzunehmen, fragten wir ihn. Für uns war wichtig ein natürlicher Hall, dass wir eine unkonventionelle Räumlichkeit anmieten und experimentieren. Das fand er gut. Wir holten ihn in Wien ab, aufgenommen wurde in der ehemaligen Möbelfabrik im Sächsischen Ottendorf.

Weshalb der natürliche Hall?
Wegen des Theaterstücks "Radikal Büchner", das wir 2013 fürs ZDF mitentwickeln durften, im Bauhaus in Dessau. Uns wurde ein Raum zur Verfügung gestellt mit nichts drin. Nicht mal Bodenbelag war vorhanden, nur der blanke Beton. In dieser Kargheit etwas entstehen zu lassen, war nicht einfach. Aber es brauchte die Leere, um Zugriff auf die eigene Phantasie zu bekommen und ein Gefühl für den Raum zu entwickeln, der aufgrund der Gegebenheiten einen natürlichen Hall hatte. Das erste, das wir nach unserer Rückkehr machten, war, unseren Proberaum auszuräumen. Wir entfernten die Vorhänge, den Bodenbelag, die Bar, die wir eingebaut hatten. Die Band platzierte sich in der Mitte des Raumes. Zuerst sind wir überfordert gewesen von dem Hall, mit dem wir jetzt zurechtkommen mussten, gewöhnten uns aber daran. Unser Album "Modern Modern" mit Leo Hört Rauschen sollte entsprechend klingen. Nicht wie Kloschüssel, auch nicht klinisch antiseptisch, der Hall sollte etwas Warmes haben. Die ehemalige Möbelfabrik in Ottendorf bot genau das, umweht von einem Hauch der Geschichte.

Inwiefern?
Die Fabrik ging 1893 in Betrieb, fast ein Jahrhundert wurden dort Möbel hergestellt. In der Halle standen riesige Maschinen, seit der Wende nicht mehr genutzt. Der Verwalter freute sich, dass jemand kam. Wegen uns musste sogar der Elektriker anrücken, um einen Stromanschluss zu legen. Eisenketten hingen von der Decke, das wurde alles eingebaut. Man kann das hören, Details, die nicht erst nachträglich bei der Postproduktion hinzugemischt wurden.

Stichwort Bauhaus, seht ihr euch in einer bestimmten Kunsttradition?
Nicht unbedingt. Ich persönlich liebäugle zwar sehr mit dem Neoexpressionismus, glaube aber, bei uns geht es mehr um einen Haltung. Was uns eint, ist, dass wir etwas aus einem Schaffensprozess heraus entstehen lassen. Wir verfügen zwar inzwischen über ein gewisses Vokabular, aber unser Antrieb ist die Neugier. Was passiert, wenn ich die Gitarre andersrum halte oder mit dem Geigenbogen über die Saiten streiche?

Das Presseinfo des Schallplattenlabels zu "Wandel" spricht davon, dass das Album aus der Isolation heraus entstanden sei. Was einen sofort an die coronabedingten Einschränkungen denken lässt, die euch aber sogar entgegengekommen sein müssten?
Einerseits schon, ich bin ein Freund des Chaos, wenn nichts mehr funktioniert, wie es funktionieren soll. Das finde ich spannend, weil man dann seine Komfortzone verlassen muss. Dennoch war die Zeit einschneidend für uns. Das war keine verordnete Zwangspause, von der wir annehmen durften, nach anderthalb Jahren geht es weiter. Das wäre entspannt gewesen. Stattdessen mussten wir unsere Tour mehrfach in die nächste Saison verschieben, ohne abschätzen zu können, ob es eine nächste Saison geben wird. Das war zermürbend.

Also war die Coronapandemie Fluch oder Segen?
Es war zunächst eine Tatsache und zog den Abbruch jeglicher künstlerischen Aktivität nach sich. Die gesamtgesellschaftliche Schockstarre übertrug sich auch auf uns. Wir fassten dann relativ schnell den Entschluss, ein neues Album in Angriff zu nehmen. Normalerweise gehen wir mit einem neuen Album auf Tour und gönnen uns im Anschluss eine Pause, um uns neu zu sortieren. Diesen Schritt übersprangen wir. Erst mal ging es recht holprig voran. Es gab verschiedene Intentionen, die unter einen Hut zu bringen waren. Den Durchbruch brachte ein Essen in Meißen beim Griechen mit unserem Management. Jeder packte auf den Tisch, was ihn gerade bewegt. Das Management meinte natürlich, ihr schafft das, wir legen schon immer einen Veröffentlichungstermin fest. Uns war das nicht recht, aber irgendwann räumte es an diesem Abend die Zeit aus, oder der Ouzo. Zwei Uhr in der Früh jedenfalls klopften wir uns gegenseitig auf die Schulter und sagten, super, dass wir das jetzt machen.

Deine Songtexte wurden während der Coronapandemie geschrieben?
Ich habe ein Textbuch, in das ich Ideen und Skizzen notiere. Die nutze ich bei unseren Sessions im Proberaum. Manchmal entwickeln sich daraus Texte. Ich komme nie mit einem fertigen Text, den wir musikalisch umsetzen. Unsere Songs entstehen immer aus einer Improvisation. Wir nehmen alles auf, markieren die Stellen, die uns am gelungensten erscheinen. Das sind die Originale, die wir nicht reproduzieren könnten. Daraus formen wir die Songs, und das geschieht nicht im luftleeren Raum.

"Wandel" ist demnach kein Coronaalbum oder doch?
Ich weiß nicht. Mancher hätte es wohl gern, wenn die Coronathematik bedient würde. Aber schon die Songs auf "Material" von vor zwei Jahren hatten eine gewisse Klarheit und konnten der Auseinandersetzung mit Isolation, mit Wut, mit Gemütsverfassungen dienen, wie sie während der Pandemie aufkamen. Aber klar, wir sind Teil der Sache gewesen, man kann die Songs von "Wandel" damit in Verbindung bringen. Das Wort Corona kommt trotzdem kein einziges Mal vor.

Corona brachte auch für dich persönlich eine wesentliche Veränderung. Du bist Therapeut geworden und bietest jetzt Kurse in Achtsamkeit an. Ist das schon länger ein Themenfeld für dich?
Es gab in meiner Vergangenheit eine starke Belastungssituation, manche würden sagen, dass das ein Burnout war. Ich versuchte, einen Umgang damit zu finden. Das war heilsam. Ich hatte dazu eine Ausbildung absolviert, sogar Heilpädagogik studiert, und wollte das unbedingt in Kursen anbieten, um auch wieder mit Menschen zusammenzukommen.

Kann es sein, dass Erfahrungen deiner eigenen Achtsamkeitsübungen in deine Songtexte einfließen?
Die Chronologie ist, dass ich seit Jahren Meditation praktiziere. Gerade was Gelassenheit, was Abgrenzung angeht, konnte ich eine Menge lernen. Es geht nicht um Harmonie oder das Herstellen eines Zustands, der das größtmögliche Glück erzeugt, sondern darum, das Licht einzuschalten und zu schauen, was ist. Wenn ich gerade in der Scheiße sitze, dann gilt es, das wahrzunehmen und einen Umgang damit zu finden. Das ist ein guter Katalysator und Bestandteil meines Alltags. Es beeinflusst natürlich meine Songtexte.

Eure Songs haben auch etwas Meditatives, drängen sich nicht auf, wollen nichts von einem, sondern verweben Gedanken, Eindrücke und Bilder. Der Rest bleibt dem Hörer überlassen.
Es hat viel mit Beobachtung zu tun. Wenn ich mir bei der Meditation zuschaue, wie ich denke, bemerke ich, wie assoziativ ich denke, wie fehleranfällig das Denken ist, und wie oft ich das mit der Realität verwechsle. Dasselbe passiert, wenn ich Musik mache. Ich erlaube mir, assoziativ zu sein, angeregt durch Gedanken, Eindrücke, Bilder und beeinflusst durch gesellschaftliche Umstände. Es entstehen Assoziationsketten, die sich durchaus wie ein Bilderbuch konsumieren lassen. Ich finde es gut, wenn Worte Bilder erzeugen, die sich vielleicht gar nicht konkret zuordnen lassen. Das Bild dient eher als Raumöffner zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Das ist nichts in der Art von, da vorne steht 'ne Ampel, und wenn Grün ist, überquert der da die Straße. Es erzählt keine Geschichten, die bedienen, was uns Menschen am besten gefällt, nämlich dass es einen Anfang gibt, einen Aufbau, ein Ende. Meine Songtexte sind eher etwas Unintellektuelles, eine Spielerei.
Bernd Gürtler SAX 11/22 


Die Arbeit
"Wandel"
(Undressed Records 8.4.2022)


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Foto: Tine Jurtz
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