|   Rezension

James McMurtry

The Black Dog and The Wandering Boy

(NewWest/Bertus)

Sängerbarde James McMurtry ist ein Kurzgeschichtenerzähler, obendrein jemand, der sein Handwerk deutlich besser beherrscht als die meisten seiner Mitbewerber. Wer sich einlässt, findet sich augenblicklich hineingezogen ins Geschehen.

Die verblüffende Sogwirkung seiner Songs hat eine denkbar einfache Erklärung, die geschilderten Charaktere oder Situationen kann sich keiner ausdenken, das ist direkt aus der prallen Lebenswirklichkeit gegriffen. Der schräge Vogel im countrybluesgefärbten Eröffnungssong "Laredo" zum Beispiel, der sein Motel mit einem verdächtigen, dunklen Fleck im Kofferraum ansteuert, so das umgehend das Kopfkino losrattert, was das wohl gewesen sein mag, das zuvor beiseitegeschafft wurde. Oder der Ortspolizist in "South Texas Lawman", der Schreibkram lästig findet, mit zwei verschiedenen Frauen gleichzeitig anbandelt und über beide der jeweils anderen gegenüber herzieht. Oder der Protagonist aus "Pinocchio In Vegas", dessen "dick grows when he lies"; auch eine interessante Variation der Kinderbuchfigur des italienischen Autors Carlo Collodi.

Die Aufzählung ließe sich bedenkenlos fortsetzen, sollte unbedingt aber "Annie" beinhalten, das den Terroranschlag auf das World Trade Center vom September 2001 in eine simple Alltagsgeschichte verpackt. "Annie what you doing in Nebraska/Does anybody know what’s going on/Annie what you doing in Nebraska /Trade Center's gone/Trade Center's gone/The Trade Center's gone" lauten die bewegenden Schlusszeilen und plötzlich ist wieder präsent, was nicht nur Amerikanern damals in Mark und Bein fuhr. Gediegene Songschreiberkunst! Sein alter Herr, das Literaturschwergewicht Larry McMurtry, schaut wohlwollend von seiner Wolke herab.
Bernd Gürtler/TM


James McMurtry
"The Black Dog and The Wandering Boy"
(NewWest/Bertus; 20.6.25)


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Foto: Mary Keating Bruton

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