"Kapitalismus Blues Band" vereint die besten Eigenschaften der meisten Veröffentlichungen auf Staatsakt. Das Album ist unterhaltsam, ohne intellektuell zu unterfordern, berührt aktuelle Gesellschaftsthemen, ohne zu belehren, zitiert Vorbilder, ohne nachzuahmen.
Freut mich zu hören, danke!
"Zu viel los hier gerade", ein Song zur permanenten Überforderung im Alltag, erinnert an die Kölner Krautrockformation Can aus Zeiten von "Ege Bamyasi", "Future Days" oder "Soon Over Babaluma". Aber höchstens noch entfernt, beim Vorgängeralbum "Exoteric" war der Einfluss deutlicher erkennbar.
Can sind wichtig für uns gewesen. Dieses Mäandernde, rhythmisch Verzahnende, wo sich gar nicht genau sagen lässt, ob das eine Suche oder Beschreibung eines Zustands ist, wo durch minimale Verschiebungen die Spannung, ein kollektiver Puls gehalten wird, das ist eine tolle Form des Musizierens. Echte Bandmusik, ganz etwas anderes als im Jazz, wo solistische Einzelleistungen im Vordergrund stehen.
Im Song "Subtext" will jemand eine Tür black painten, was auf die Rolling Stones und deren "Paint It Black" hindeuten dürfte.
Genau, im Original ein eher kryptischer Song und irgendwie dachten wir, das passt zum Songtext von "Subtext", der vom Unsagbaren handelt, den rosa Elefanten, die ständig mit im Raum sind. Während der Albumeinspielung war das ein Running Gag, wenn jemand um den heißen Brei redete. Aha, Subtext, hieß es dann. Mittlerweile leben wir in einer Welt, in der Subtext eine wahnsinnige Rolle spielt. Das hängt mit der Informationsdichte zusammen. Wir konnten es während der Pandemie erleben, als die Leute plötzlich zu Impfstoffexperten wurden. Das sind dieselben gewesen, die vorher als Fußballnationaltrainer alles besser wussten und jetzt Experten sind, was Kriegsgerät für die Ukraine angeht. Ein Irrsinn, was wir notgedrungen auch einfach wegschweigen müssen, um halbwegs unseren Alltag bewältigen zu können. Das Unsagbare gab es immer, hat in den letzten vier, fünf Jahren aber eine neue Qualität und Quantität erreicht.
Wodurch es nahezu unmöglich wird, einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs anzustoßen, wie wir hinausfinden aus dem Schlamassel, in den wir uns geritten haben. Jeder, der sich öffentlich äußert, muss damit rechnen, Subtext zweifelhaften Inhalts unterstellt zu bekommen und augenblicklich niedergeschrien zu werden.
Richtig, es gibt nicht mehr einfach nur diese Meinung. Nehmen wir als aktuelles Thema die Frage nach hormoneller Behandlung von transsexuellen Jugendlichen, die feststellen, sie möchte das andere Geschlecht sein. Dazu gab es ein Interview mit Alice Schwarzer im Spiegel, wo sie sich kritisch äußert. Róisín Murphy, ehemals Sängerin von Moloko, hat sich ähnlich geäußert. Letztendlich sind das persönliche Meinungen, weder die eine noch die andere ist Psychologin, Neurologen oder irgendeine Medizinerin. Ob man an der Stelle gleich einen Shitstorm lostreten muss, ich weiß nicht. Am Ende müssen es ohnehin die Betroffenen und ihre Angehörigen entscheiden, was schwer genug ist. Das ist das Einzige, was ich dazu sagen kann. Aber bei Alice Schwarzer schwingt eine politische Agenda mit, so dass sofort der Meinungskrieg losbricht. Und im Netzt ist das so einfach! Wenn ich das sage, komme ich mir vor wie Opa, der über das Internet jammert. Das meine ich aber gar nicht. Die Debattenkultur ist nur eben keine schöne. Manchmal scheint es als brauchten die Leute ständig irgendetwas, woran sie sich abreagieren können. Manche trifft es besonders hart. Bei Róisín Murphy, die ich als Künstlerin schätze, fand ich den Umgang mit ihr und ihrem sicherlich unglücklich formulierten und ursprünglich nur über ihre privaten Kommunikationskanäle verbreiteten Statement schäbig, zumal sie sich entschuldigt hat. Es muss doch möglich sein, dass, wenn fünf Menschen an einem Tisch sitzen, fünf unterschiedliche Meinung zum selben Thema nebeneinander existieren dürfen oder? Da die meisten von uns in so vielen Bereichen keine Experten sind, handelt es sich sowieso fast immer nur um persönliche Meinungen. Keiner kann doch ernsthaft erwarten, dass seine persönliche Meinung die allumfassende Wahrheit darstellt. Da müssen wir uns dringend locker machen und versuchen in den Dialog zurückzufinden. Die anderen großen Fragen sind eng damit verknüpft.
Ein dritter Song auf "Kapitalismus Blues Band" heißt "Die Angst des weißen Mannes" und enthält eine Anspielung auf "Age Of Aquarius" aus dem Hippie-Musical "Hair". Die Melodie des Originals wird sogar kurz angedeutet.
Anstatt "Age Of Aquarius" singen wir "Angst Of Aquarius". Die Angst des weißen Mannes, der den Besitzstandswahrer schlechthin verkörpert, zumindest in der westlichen Welt. Der in Entscheiderpositionen sitzt und Angst vor Veränderung hat, weil die Transformationsprozesse, die vor uns liegen, was beispielweise Energiepolitik oder Digitalisierung betrifft, die Zukunft offen lassen. Der Autohersteller, der bisher mit Dieseltechnologie satte Profite eingefahren hat, weiß nicht mit Bestimmtheit, ob seine Fahrzeuge in absehbarer Zeit noch Absatz finden beziehungsweise er nach seinem Umstieg auf Elektromobilität noch Marktführer sein wird. Auf der anderen Seite die Letzte Generation, die Klimakleber, um die es in "Die Angst des weißen Mannes" auch geht. Auch sie umgetrieben von Zukunftsängsten. Aber anstatt einen Dialog anzustreben, überlegt die Gesellschaft, was sich juristisch gegen die Klimaaktivisten unternehmen lässt. Kann man die einbuchten oder sonst irgendwie abschrecken? Nicht, dass die politische Handlungsgeschwindigkeit optimiert wird, das genaue Gegenteil passiert. Es wird Abschottung betrieben. Das macht einen rammdösig, irgendwie kommen wir nicht raus aus der Nummer.
Die Bands, die neben Die Türen auf Staatsakt Records erscheinen, hinterlassen in der Gesamtheit den Eindruck als gäbe es einen gemeinsamen Nenner.
Haltung ist ein schwammiger Begriff, aber ich denke, die Künstler und Künstlerinnen unseres Labels zeichnen sich durch eine starke Haltung aus. Sie konnten sich einen eigenen Zugang zur Musik erarbeiten, sind sehr gut was Sprache angeht, Jens Friebe zum Beispiel oder Christiane Rösinger schreiben auch Bücher. Entsprechend ausgeprägt die Sprachkompetenz, was herausragende deutschsprachige Songtexte zur Folge hat. Die Musik kommt weitestgehend von der Gitarre. Es gibt Folk wie bei Düsseldorf Düsterboys, Rock wie bei International Music, Isolation Berlin, bei Die Türen. Politisch würde ich sagen, wenn der Berliner Senat mit Staatsakt-Künstlern besetzt wäre, sähe es dort anders aus. Das Superstarsystem, das der Pop anbietet, ist den meisten ebenfalls suspekt.
Bei Staatsakt sind neben westdeutschen auch ostdeutsche Künstler unter Vertrag. Erkennst du Unterschiede in der Weltbetrachtung?
Unbedingt! Und es freut mich, dass die ostdeutschen Stimmen lauter werden. Masha Qrella zum Beispiel wollte ihre ostdeutsche Herkunft lange erst gar nicht thematisieren sondern versuchte, dem westdeutschen Indiepop zu entsprechen, weil ihr vom Westen eingeredet wurde, dass sie damit durchstarten wird. Mit den Vertonungen von Gedichten des gebürtigen Ostberliners Thomas Brasch für ihr Album "Woanders", fand sie zurück. Nach der Wende hat eine ungeheure Aufbruchsstimmung geherrscht, dass wir im Westen viel zu beschäftigt gewesen sind, hinzuhören, was der Ost erzählen kann, während der Osten bemüht war, alles richtig zu machen, immerhin standen große Erfolgsversprechen im Raum. Die sich inzwischen relativieren. Das Interessante ist für jemanden wie mich, der als Westdeutscher immer systemkritisch war, skeptisch gegenüber dem ewigen Wachstumsdenken, versucht hat, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen, dass ich, der ich jetzt mit fast Fünfzig fast schon staatstragend bin, an meine alten Zweifel erinnert werde, wenn ich mich mit Masha Qrella, Katharina Kollmann von Nichtseattle oder Tobias Siebert von Klez.e beziehungsweise And The Golden Choir unterhalte. Mit dreißig Jahren Verspätung treten wir immerhin jetzt doch in einen Dialog.
Das Buch, das die Labelgeschichte von Staatsake zählt, heißt "Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint". Der Buchtitel beschreibt keine Labelphilosophie.
Nein, das stammt aus Guy Debords "Die Gesellschaft des Spektakels", einem Standardwerk der Situationisten. Malcolm McLaren, Manager der Sex Pistols, war davon beeinflusst und ich von Punk inspiriert. Logisch, dass ich das Buch lesen wollte.
Bernd Gürtler SAX 10/23
Die Türen
"Kapitalismus Blues Band"
(Staatsakt; 6.10.2023)
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Markus Göres & Maurice Summen
"Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint. Staatsakt Stories"
(Verbrecher Verlag; 5.9.23)