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Gut gebrüllt! Heinz Rudolf Kunze und sein Album "Können vor Lachen"

Heinz Rudolf Kunzes "Können vor Lachen" ist ein Weckruf, den es gar nicht brauchte. Jeder, der halbwegs das Nachrichtengeschenen verfolgt, weiß eigentlich Bescheid. Trotzdem wichtig das Album. Egal ob Klimawandel, Russlands Überfall auf die Ukraine, Querdenkergeschwurbel, Bildungsmisere oder die ausgeprägte Unlust zum konstruktiven Gesellschaftsdialog, kaum ein Thema, das die Gemüter derzeit bewegt, bleibt ausgespart und findet sich mit bemerkenswerter Raffinesse genau auf den Punkt gereimt. Gut gebrüllt, auch wenn das Raubtier, das bei der Frontcovergestaltung Pate stand, kein Löwe ist.

Der Eröffnungssong zu "Können vor Lachen" kommt ohne Umschweife zur Sache. "Der Himmel ist gerötet für den, der Augen hat/Der Schrecken nicht mehr ein Gespenst, der findet wirklich statt/Verdreht die Argumente, verschlissen jeder Schwur/Die Oberhand der Lüge, der Wahrheit die Tortur", heißt es in "Halt mich fest". Ein düsteres Szenario, bis neulich noch leicht abzutun als das übliche Geschwafel alter Leute von wegen früher sei alles besser gewesen. Die Zeiten sind vorbei oder?
Ja, jeder Generation dürfte inzwischen bewusst geworden sein, dass wir es mit schwerwiegenden Problemen zu tun haben. Auch jüngere Menschen sind in Sorge wegen dem, was in der Ukraine passiert, wie das beendet werden kann oder ob das noch eskaliert und uns alle betreffen wird. Seit Corona und dem Krieg, erlebe ich es häufiger, wenn ich mit dem Hund rausgehe, dass mir Nachbarn egal welchen Alters am Gartenzaun berichten, sie könnten ohne Schlafmittel nicht mehr schlafen. Diese Grundstimmung steckt in dem Album. Auch wenn es manchmal etwas zu lachen, manchmal etwas zum Schmusen gibt, hauptsächlich gibt es etwas zu befürchten.

Bei "Halt das Herz an", "Du tust mir Gut" und "Immer nur um dich" wäre eine Gelegenheit zum Schmusen. Du wirst wahrscheinlich nicht preisgeben wollen, mit wem im Hinterkopf die Songs geschrieben sind?!
Wenn ich das schreibe, habe ich keine bestimmte Person vor Augen. Ich verstehe die Frage, die darauf hinaus will, ob ich das für meine Frau schreibe und sie sich freut. Klar freut sie sich, aber Liebeslieder sollen Kontakt herstellen zu jedem, der sich mit der Liebe herumschlägt, Liebe genießt, über die Liebe nachdenkt. Ich schaue meine Frau an, zugegeben, schaue aber auch durch sie hindurch auf alle Menschen.

Die Titelzeile des Titelsongs zu "Können vor Lachen" ist die Abwandlung einer gängigen Redensart.
Eine radikale Abwandlung sogar. Umgangssprachlich heißt es, nicht können vor Lachen, weil es nichts zu lachen gibt. So benutzen wir es. Im Song legt ein Vater gegenüber seinem Sohn eine Lebensbeichte ab und sagt, erst kommt das Können, dann das Lachen. So war es in seinem Leben, erst hat er etwas geleistet, dann gelacht und die Füße hochgelegt. Das möchte er weitergeben als Anregung, etwas zustande zu bringen und nicht schon mit fünfzehn von Work-Life-Balance zu quatschen. Dieser Vater hatte offensichtlich mit Rockmusik zu tun, man könnte auf mich kommen. Es ist auch wie bei Cat Stevens und seinem "Father And Son", nur lauter, und der Sohn kommt nicht zu Wort.

Mit "Trostlosigkeitsallee" enthält das Album eine zweite Referenz an von dir sehr geschätzte Vorbilder. Der Song eine Replik auf Bob Dylans "Desolation Row".
Dort meldete sich mein berüchtigter Spieltrieb. Ich dachte, warum nicht auf ein Lied von Bob Dylan antworten. Seinen Liedtext nicht übersetzen, sondern seine Idee übernehmen, einen neuen Text schreiben und mit neuer Musik versehen. Das finde ich legitim. Vorbilder mit einer Referenz zu grüßen, das war jahrhundertelang das Übliche, etwas Eigenes zu erfinden das Unübliche, und wie ich Bob Dylan einschätze, vermute ich, dass er überhaupt keine Einwände hätte. Ich besetzte den Song nur eben mit Dichtern und Denkern, bei Bob Dylan sind auch Comicfiguren oder Fantasiegestalten wie Robin Hood dabei gewesen. Die Figuren bei mir gab es wirklich. Es war eine handwerkliche Herausforderung. Ich wollte einfach sehen, kriege ich sowas hin, genau in der gleichen Länge, genau mit der gleichen Strophenanzahl. Wer jemals etwas von den Autoren oder Philosophen gelesen hat, die genannt werden, wird einiges zum Schmunzeln bekommen.

Bob Dylans "Desolation Row" war Bestandteil seines Albums "Highway 61 Revisited" von 1965. Verfolgst du das Schaffen deines Musikantenkollegen nach wie vor?
Natürlich, er ist für mich eine wichtige Bezugsgröße. Auch aus ganz persönlichen, egoistischen Motiven. Der Mann ist älter als ich und so lange er noch was macht, bin ich noch nicht der Letzte, der das Licht ausknipsen muss. Ich wünsche ihm, dass er noch lange unter uns weilen kann, damit ich mich noch lange als Vorletzter fühlen darf.

Sein aktuellstes Album mit neuen Songs war "Rough And Rowdy Ways" von 2020. Es erfordert Mut, sich mit dieser zerstörten Stimme auf Tonträger festzuhalten.
Er hat nicht mehr die Kraft oder die Lust, schöne, geschlossene Songformen zu schreiben wie früher, so was wie "Don't Think Twice, It's Alright" oder "Girl From The North Country". Er macht das jetzt mehr wie Brian Eno bei seiner Ambient Music, er erzeugt Flächen. Oder wie Nick Cave, dessen Songs oft aus einem Drone bestehen, wo sich die Akkorde kaum abwechseln oder schweben, ohne erkennbaren Rhythmus. Ich finde es gut, dass er noch Bock hat, weil, es kann nur um Bock gehen, Geld hat er genug.

Der Krieg in der Ukraine wird mit "Igor" bedacht, die Songfigur beruht auf einer realen Person.
Im ersten Kriegsjahr gingen zwei Bilder um die Welt. Einmal der junge Russe, der in Kiev vor Gericht stand und lebenslänglich bekam, weil er einen Zivilisten erschossen hatte und dabei erwischt worden war. Sein höchstens zwanzigjähriges Gesicht schrie einfach nur Mama! In dieses Lied gehören auch die ukrainischen Kinder, die von den Russen verschleppt wurden, in einem Bus irgendwohin gebracht, kein Mensch weiß wohin. Der Anblick der beiden Fotos reichte, um mich umgehend ans Papier zu treiben und das sofort in eine Form zu bringen. Das ist mein Privileg, ich kann das verarbeiten. Das Lied bewegt die Menschen extrem, überall sehe ich fassungslose Gesichter und Tränen in den Augen. Hatte ich selbst beim Einsingen auch. Ich musste fünf Mal ansetzen, weil ich immer wieder einen Klos in den Hals bekam und es nicht zu Ende bringen konnte. Aber auf diese Weise kann man immer noch politische Lieder machen, wenn man konkret bleibt, wenn man bei einem Einzelschicksal bleibt, nicht ins allgemeine Gelaber verfällt. Kein Mensch braucht Krieg böse, böse, Frieden gut, gut. Das ist eine Zumutung an den Hörer.

Insgesamt scheint es als hätten sich Bremsen gelöst, du wirkst authentischer. Kann es sein, dass du mehr du selbst sein kannst, weil deine Alben seit dem Albumvorgänger "Der Wahrheit die Ehre" von vor drei Jahren bei einem Independentlabel erscheinen?
Vom Management, das mich sehr unterstützt und gleichzeitig mein Plattenlabel ist, gab es die Ansage, tue das Wesentliche. Keine unnötigen Kompromisse mehr, nicht allzu sehr anbiedern da und dort. Also das Gegenteil von dem, was Major Companies von einem wollen, nämlich zu klingen wie dieser oder jener. Das zusammen mit einem innovativen Produzenten wie Udo Rinklin ergibt einen Treibstoff, der sich bemerkbar macht in der Geschwindigkeit, absolut!

Das Fabelwesen auf dem Frontcover lässt dich rauflustig aussehen.
Das ist eine Hyäne, mein Manager Matthias Winkler fand sich angesichts des Albumtitels an das berühmte keckernde Lachen der Hyäne erinnert. Er wollte einen Hingucker, wir haben gemeinsam seine Idee verfeinert, dem Tier wurde meine Brille aufgesetzt und ein Zwinkern verpasst. Es lacht jetzt sehr deutlich mehr, als dass es keift oder faucht. Das ist eigentlich nur ein Bild von mir nachts, wenn meine Dr. Jekyll-Seite zum Vorschein kommt.
Bernd Gürtler SAX 7/23


Heinz Rudolf Kunze
"Können vor Lachen"
(Meadow Lake, 26.5.23)


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Foto: Rene Gaens
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