Nach wie vor streitet das versammelte Gelehrtenkollegium, ob die literarische Vorlage zu Laibachs "Alamut" ein Plädoyer für oder gegen den Machiavellismus sein wollte. Beides wäre denkbar. Der gleichnamige Historienroman von Vladimir Bartol spielt im Persien des 11. Jahrhunderts. Damals gelingt dem Begründer der Glaubensgemeinschaft der Nizariten Hasan-i Sabbah die Übernahme der Bergfestung Alamut nordöstlich von Teheran. Der neue Burgherr führt einen erbitterten Kampf gegen die türkische Fremdherrschaft der Seldschuken und vertritt ähnlich dem italienischen Philosophen Niccolò Machiavelli die Ansicht, zur Erlangung politischer Ziele sei jedes Mittel erlaubt. Mit dem Versprechen, im Jenseits werde ein Harem voller Jungfrauen auf sie warten, rekrutiert er junge Männer, die der Sache freiwillig ihr Leben opfern. Seine radikalisierte, ideologisch verblendete Gefolgschaft bildet nach gängiger Auffassung die Vorhut der Selbstmordattentäter des fundamentalistischen Islam der Gegenwart.
Vladimir Bartol wird unweit von Triest geboren, als die Hafenstadt am Adriatischen Meer noch zu Österreich-Ungarn gehört, und sympathisiert mit der slowenischen Widerstandsbewegung gegen eine Fremdherrschaft Italiens. Könnte also bedeuten, Vladimir Bartol wollte die Übergriffigkeit der italienischen Nachbarn anprangern oder ermuntern, zur Erlangung der Unabhängigkeit Sloweniens sämtliche Bedenken fallenzulassen.
Laibachs Orchesterkomposition betrachtet den ursprünglichen Handlungsort des literarischen Ausgangsstoffs mehr in der Rückschau. Bandfrontmann Milan Fras rezitiert im finalen "Meditation II & Epilogue" an das iranische Volk von heute gewandt Textzeilen wie "Iranians, are you ashamed of your own blood, your lineage and origin? Do you really prefer a foreign master? No matter where he comes from?" Um dann die machiavellistische Handlungsmaxime "I know neither cruelty nor mercy, I follow my plan" zum Besten zu geben wie sie Hasan-i Sabbah in Vladimir Bartols Buch zugeschrieben wird, und schlussendlich zu ermahnen "Terrible is the God who guides us".
Die Parallelen zur aktuellen Weltlage sind unverkennbar. Egal wohin der Blick sich richtet, es besteht kein Mangel an machtgeilen Despoten, die keinerlei Skrupel kennen und dafür auch noch als gottgleich angesehen werden wollen. Kein Wunder, wenn Laibach, unterstützt von den iranischen Komponistenkollegen Idin Samimi Mofakham und Nima A. Rowshan, ein RTV Slovenia Symphony Orchestra in Maximalbesetzung mit Streichern, Blechbläsern und Schlagwerk aufbieten, erweitert um das Human Voice Ensemble, die Gesangsformation Gallina Vocal und ein sechzigköpfiges Akkordeonorchester, das auf den Namen AccordiOna hört. Die bedrohliche, rhythmisch stark akzentuierte Klangwucht soll aufrütteln. Völker, hört die Signale! Genug ist genug!!
Bernd Gürtler/TM
Laibach
"Alamut"
(Mute; 9.5.25)
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