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Stoppok: Bodenhaftung sehr gut!

Vierzig Jahre, wenn das kein Grund zum Feiern ist. Immerhin hätte nach seinem Albumdebüt von 1980 ganz schnell wieder Schluss sein können. Stoppok wäre nicht der erste gewesen, der auf die eine oder andere Weise scheitert. Aber der gebürtige Hamburger, aufgewachsen in Essen, schlägt sich wacker durch die Dekaden. Zum Jubiläum erscheint mit "Jubel" (Grundsound) ein Studioalbum, das nicht nur musikalisch aufhorchen lässt, sondern wie gewöhnlich Gesellschaftsthemen zur Sprache bringt, bei denen sich jegliches Hurrageschrei verbietet. Der Unterschied zu früher ist, dass jetzt sofort ganze Trollarmeen aufmarschieren und in sozialen Netzwerken Hass verbreiten.

So geschehen bei "Lass sie rein" zum weiterhin allgegenwärtigen Flüchtlingsdrama. Sonderlich überrascht sei er nicht gewesen als der Shitstorm über ihn hereinbrach, verrät Stoppok bei einer Interviewverabredung in Berlin. "Wir wussten, woher das kam. Sebastian Krumbiegel von den Prinzen hatte den Song über Facebook geteilt. Er steht im Fokus der Verschwörungstheoretiker, wie ich sie mal vorsichtig nenne. Eine Stunde nach Veröffentlichung ging es los. Bezeichnenderweise kamen mehr Dislikes als Aufrufe zusammen. Das war dann schon wieder lustig. Zu neunundneunzig Prozent sind dort Leute unterwegs gewesen, die bloß lautstark Frust ablassen wollten. Ich bin als 'Systemschleimer' beschimpft worden. Wer mich kennt, weiß, ich bin alles bloß kein Systemschleimer. Die konnten das nicht ertragen. Ich gestehe, dass ich, als mir der Song zugeflogen kam, zuerst mit mir selbst diskutieren musste. Schließlich singe ich 'Lass sie alle rein'. Aber dann nahm der Song Gestalt an und es zeigte sich, worum es geht. Es geht um Liebe. Wenn Menschen vom Tode bedroht an deine Tür klopfen, macht man nicht einen Spalt breit auf und sagt, den lass ich rein, die anderen bleiben draußen. Manche schnallen das einfach nicht und beschimpfen die, die von hier aus losfahren, um im Mittelmeer Menschen akut zu helfen, als Nepper, Schlepper und Verbrecher. Unfassbar! Deshalb habe ich den Song gemacht. Wir brauchen mehr Soundtracks für die Liebe!"

Provokant ist "Lass sie rein" auch an der Textstelle, wo es heißt, "Hast du Angst, dass dir irgendwer was nimmt/Kann schon sein, dass das vielleicht sogar stimmt/Doch das, was du hast, gehört dir nicht allein/Du hast kein Recht darauf." Auf welcher Überlegung beruht das? "Auf der, dass es keine persönliche Leistung ist, wo ein Mensch geboren wird. Erst diese Einsicht macht es möglich, Empathie für andere Menschen zu empfinden. Meine Eltern mussten nach dem Zweiten Weltkrieg auch flüchten, aus Schlesien. Ich bin dankbar, dass ich in Deutschland aufgewachsen bin und hier leben darf. Aber das ist nicht mein Verdienst. Dass man Grund und Boden und Häuser kauft und sagt, das ist meins, ist auch ziemlich krank, muss ich sagen. Das ruft meist die Leute auf den Plan, die sagen, na, dann lass die Flüchtlinge doch bei dir wohnen. Darum geht es nicht. Es geht um eine Vision. Wenn wir uns als Menschheit retten wollen, müssen wir neue Wege gehen. Wir können nicht länger in alten Denkmustern verharren."

Bekommt Stoppok ein mulmiges Gefühl, wenn er "Lass sie rein" in Ostdeutschland, in Sachsen, in Dresden singen wird? Einer Region, wo laut Medienberichten Fremdenfeindlichkeit und rechtes Gedankengut besonders ausgeprägt sein sollen!? "Die Ansicht teile ich nicht. Der Osten ist anders, aufgrund seiner Geschichte, aber nicht irgendwie schlimmer. Und sowieso besteht mein Publikum aus Leuten, die selbständig denken, die mitfühlen können. Nein, es bereitet mir überhaupt keine Bauchschmerzen."

Hier wie bei den restlichen Songs über Selbstbetrug mit gekauften Klicks im Netz, sozialen Abstieg oder tatsächlich auch über Liebe in Zweierbeziehungen, entspricht das musikalische Vokabular dem eines elektrifizierten Singer/Songwriters, der er zweifellos ist. Obwohl facettenreich eingesetzt, nichts Besonderes eigentlich. Bis auf das Schlagzeug, das wie ein Schlagzeug klingt, jedoch in Wahrheit oft aus Samples besteht. Sprich die Samples wirken wie gespielt, raffiniert! "Das hatte ich mir genau überlegt und bin froh, dass es aufgegangen ist. Viele Sachen sind von mir selbst am Schlagzeug getrommelt. Sehr simpel, teilweise ziemlich schräg. Und dort habe ich die Samples draufgelegt. Die meisten meiner Musikerkollegen arbeiten so, dass sie den Computer den Takt vorgeben lassen. Das nimmt den natürlichen Groove völlig weg. Ich bin den umgekehrten Weg gegangen. Ich habe mein Schlagzeug als Synchronisationsspur genommen und die Samples danach tanzen lassen. Ein gewaltiger Unterschied! Bei jeder neuen Technologie und in der digitalen Welt besonders, müssen wir aufpassen, dass die Maschinen nicht uns beherrschen. Wir müssen die Maschinen beherrschen."

Nach wie vor veröffentlicht Stoppok auf dem eigenen Label. Unabhängigkeit und Bodenhaftung sind ihm wichtig, übermäßige Berühmtheit eher suspekt. Obwohl er 1993 mit "Happy End im La-La-Land" ziemlich berühmt war. "Mein Traum ist es nie gewesen im Stadion aufzutreten. Das nimmt dir als Künstler jede Möglichkeit individuell zu reagieren. Das andere ist, dass, wenn du einer Generation den Soundtrack lieferst, wo alle sagen, der spielt unser Lied, bist du darauf festgenagelt. Solche Künstler haben dann viel Geld, sitzen in ihrer Villa mit goldenen Wasserhähnen und leiden. Ich entscheide mich gegen eine Villa, gegen goldene Wasserhähne, leide aber auch nicht. Ich kann kreativ sein. Leute, die zu meinen Konzerten kommen, freuen sich über jedes Lied und sagen nicht, ach, heute hat der das oder jenes nicht gespielt, da gehe ich nicht mehr hin."
Bernd Gürtler SAX 3/20 


Stoppok
"Jubel"
(Grundsound; 7.2.2020)


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Foto: Thomas Willemsen
Foto: Robert Grischek

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