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Enno Bunger: Wenn das Schicksal ordentlich hinlangt

Das hat gedauert, vier Jahre bis zur Veröffentlichungsreife seines jüngsten Albums. Weil es unbedingt dermaßen gut werden sollte, wie es geworden ist? Oder in der Zwischenzeit gravierende Dinge geschehen sind? Sowohl als auch, entgegnet Enno Bunger. Grundsätzlich sei er jemand, der ständig nach dem "richtigen Wort" suche und zum Schreiben für sich sein müsse, wozu erst keine Möglichkeit bestand, wegen der Tourneeverpflichtungen im Anschluss an den Albumvorgänger. Und dann ist es tatsächlich so gewesen, dass das Schicksal ordentlich hingelangt hat.

Mindestens zwei Songs auf "Was berührt, das bleibt" (Sony Music) geben sachdienliche Hinweise, was es wegzustecken galt. "Ponyhof" liest sich wie eine Trauzeugenrede, "Die Bäume streuen Konfetti" wie eine Grabrede. Was genau das mit ihm zu tun hat, darüber lässt der Künstler seine Hörerschaft keineswegs im Unklaren. Ohne Zaudern sagt er, was Sache ist. Bei einer Interviewverabredung Ende Juli 2019 in Berlin des Öfteren mit brüchiger Stimme noch. Aber das gehört zur Krisenbewältigung dazu, da muss er durch. Ebenso der geneigte Leser, der sich die Abschrift des Gesprächs nicht entgehen lassen möchte. Also Taschentücher bereitlegen. Wer weiß, wofür es gut ist.

Kaum dass man es auszusprechen wagt, aber "Was berührt, das bleibt" ist unglaublich! Ein Album, das seinen Titel zu Recht trägt. Die Worte von erhabener Schlichtheit, dennoch ergreifend und von gewaltiger Tiefe. Das macht etwas mit einem. Hier hat jemand den Entschluss gefasst, sich rückhaltlos preiszugeben und nicht wie so oft dann doch hinter blumigen Metaphern in Deckung zu gehen.
Metaphern sind mir wichtig. Mir ist aber auch wichtig, dass man versteht, die Geschichten sind echt. In dem Fall war es sogar so, dass sich das, was ich mir von der Seele schreiben musste, an konkrete Personen richtet. "Ponyhof" handelt von der Zeit, als die Lebensgefährtin meines Schlagzeugers und besten Freundes an Leukämie erkrankt ist. Die beiden hatten sich 2015 kennengelernt, ein Jahr später erhält sie ihre Krebsdiagnose. Im Krankenhaus macht Nils ihr einen Heiratsantrag. Wir suchen händeringend nach einem Knochenmarkspender, der gefunden wird, so dass sie noch einen wunderschönen Sommer erleben durfte. Ich weiß oft nicht, was ich Leuten schenken könnte und schenke dann meistens einen Song. Deshalb dachte ich, schreibe ich meinem besten Freund Nils Dietrich zu seiner Hochzeit einfach einen Song. Ich sollte sowieso eine Rede halten. Der Song war nur für die beiden gedacht, für ihre Hochzeitsfeier im privaten Rahmen. Erst später meinte Nils, er würde sich freuen, wenn ich das veröffentliche. Viele Stationen unserer Freundschaft, die ich beschreibe, hätten Gültigkeit für andere, meinte er. Liebe und Freundschaft lassen sich nicht beschreiben, indem man über Liebe und Freundschaft schreibt. Man kann das höchstens an konkreten Beispielen festmachen. Das ist das Problem, warum Schlager so kitschig wirkt. Weil zu große Worten in den Mund genommen werden. Was wiederum für mich bedeutet hat, dass ich mir mehr Zeit nehmen musste. So ein Song dauert dann eben sechseinhalb Minuten. Der läuft nirgendwo im Radio. Ist mir aber egal, ich muss keine Radiosongs schreiben. Meine Songs sollen den Hörer berühren.

Mit anderen Worten, sowohl Nils als auch seine Lebensgefährtin sind einverstanden gewesen mit dem Album? Immerhin werden auch sie mehr oder weniger der Öffentlichkeit preisgegeben.
Lena, die Lebensgefährtin von Nils konnten wir nicht mehr fragen, sie ist gestorben. Aber Nils und ich haben uns bewusst entschieden, das öffentlich zu machen, weil Lena ein so besonderer Mensch war. Ich habe lange gebraucht, bis ich darüber sprechen konnte. Schreiben musste ich erst mal für mich und habe die Songs dann Nils gegeben. Was die Zeit doppelt schwierig gemacht hat und weshalb teilweise sehr traurige, sogar depressive Songs auf dem Album sind, ist, dass auch meine Lebensgefährtin an Krebs erkrankt ist damals. Beide Frauen Mitte Zwanzig und beiden bleibt die unbeschwerte Zeit versagt, wie ich sie in dem Alter hatte. Das hat mein Grundvertrauen erschüttert. Roger Willemsen spricht von dem Knacks, der in der Seele bleibt. Schicksalsschläge hinterlassen Spuren.

Das muss wirklich eine schwierige Zeit gewesen sein.
Wir konnten es selbst kaum fassen. Ich meine, es passiert politisch schon genug. Ich bin ein politischer Mensch, die Ereignisse in der Welt lassen mich nicht unberührt. Aber bemerken zu müssen, dass das Leben von Menschen, die mir nahestehen bedroht ist, das geht an die Substanz. Man entwickelt eine Verlustangst, die sich schwer in Worte fassen lässt. Ich habe es trotzdem versucht, mit "Stark sein". Das handelt davon, wie man umgeht mit so einer Krebsdiagnose. Mir war auch wichtig, dass das kein Jammeralbum wird. Sondern dass die Krisenbewältigung etwas Konstruktives hervorbringt. Das gab es in der Vergangenheit immer wieder, dass Menschen schwere Schicksalsschläge durchleben mussten und ihren Mitmenschen etwas Inspirierendes mitgeben konnten. Daraus, aus diesem Gedanken sind die Songs "Kalifornien" und "Bucketlist" entstanden. Wo es darum geht, dass man nichts aufschieben soll. Dass man das, was man gern tun möchte, jetzt tut. Jetzt den Menschen, die man liebt das sagt. Morgen könnte es zu spät sein.

Die Songs des neuen Albums verhandeln hochsensible, schwerwiegende Themen. Das im Studio aufzunehmen, im kleinen Kreis abgeschirmt von der Außenwelt mag noch angehen. Wie aber lässt sich dieses Material auf der Bühne vor Publikum präsentieren?
Es gibt definitiv leichtere Aufgaben. Was Nils und mir geholfen hat, war schwarzer Humor. Es gab bei "Die Bäume streuen Konfetti" im Studio so einen Moment; bei dem Song, der Lena ein Denkmal setzen soll, wo wir den Hut ziehen vor ihr, wie sie, bevor sie gegangen ist, uns getragen hat. Obwohl ihr Körper nicht mehr konnte, war sie mental so stark, sie hat uns den Abschied leichter gemacht. Hat gesagt, lasst mich los, ich will nicht, dass ihr traurig seid. Ich lasse los, lasst ihr auch los. Das war wahnsinnig beeindruckend. Wir haben den Song dann im Studio eingespielt. Nils saß am Schlagzeug. Er trommelt ein Lied über seine verstorbene Frau, und nach dem zehnten Take sagt unser Produzent Toby Siebert, Nils, wie wäre es, wenn du jetzt noch etwas gefühlvoller trommeln würdest, als hätte der Song irgendetwas mit dir zu tun! Kein anderer hätte das sagen dürfen. Aber "Was berührt, das bleibt" ist das dritte Album, das Toby Siebert als Produzent betreut. Wir kennen uns inzwischen sehr gut. Er hat geheult, als ich ihm die Demos für das neue Album vorgespielt habe.

Wie ist es deiner Lebensgefährtin ergangen?
Sie konnte den Krebs besiegen. Wir beide sind ebenfalls übereingekommen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sarah ist auch Sängerin und Songschreiberin, die eine Hälfte des Duos Sarah & Julian. Sie ist unter ihrem eigenen Namen Sarah Muldoon unterwegs und hat gerade einen Song für die DKMS geschrieben, die gemeinnützige Organisation mit Sitz in Tübingen, die Knochenmarkspenden unterstützt und eine Datenbank mit potentiellen Spendern führt. Auch über sie hatte ich einen Song geschrieben, den ich ihr gezeigt habe. Sie fand zwei, drei Zeilen kritisch, gemeinsam haben wir den Song zu Ende geschrieben. Was ich total stark fand. Dinge, die einen betreffen, verarbeiten zu können, das ist ein Geschenk. Ich kann nur jedem empfehlen, sich irgendeine Form künstlerischer Betätigung zu suchen. Dass man ein Ventil hat, wo man mit seinen Emotionen hin kann. Für mich war das Klavier immer der beste Therapeut. Da konnte ich alles rauslassen.

Das Weltgeschehen ist diesmal draußen geblieben, gesellschaftskritische Songs sind keine auf "Was berührt, das bleibt". Eben weil das Album vorrangig gravierende private Themen verhandelt?!
Ein Blick nach draußen hätte gestört. Auf meinem Vorgängeralbum "Flüssiges Glück" gab es mit "Wo bleiben die Beschwerden" einen Song zu rassistisch motivierter Gewalt. Und es wird demnächst neue sozialkritische Songs geben, ich beginne gerade mit dem Schreiben.

Deine ersten drei Alben sind bei PIAS erschienen, einem Label, das noch als Independent gelten kann. Das neue Album erscheint bei einer Major Company. Das wird für bessere Verbreitung sorgen, unter Umständen aber deine künstlerische Freiheit einschränken.
Major-Labels sind mit Vorsicht zu genießen, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber der A&R-Mann von Sony, der mich angeworben hat, sagte, seine Firma sei an spannenden Künstlern interessiert. Ich sei völlig frei in meinen Entscheidungen, wie das Album aussieht, wie die Videos aussehen. Das war eine unglaubliche Befreiung und letztendlich sogar finanziell meine Rettung. 2017, als meine Lebensgefährtin krank wurde, ich keine Konzerte spielen konnte und wollte, da hatte ich eine Rücklage, von der wir leben konnten. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich zum Amt gehen müssen oder was weiß ich. Mit dem neuen Album habe ich jetzt wie beim Roulett alles, was sich noch zusammenkratzen ließ, auf Rot gesetzt. In der Hoffnung, dass ich richtig liege. Mal schauen.
Bernd Gürtler SAX 10/19 


Enno Bunger
"Was berührt, das bleibt"
(Columbia; 26.7.2019)


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Foto: Dennis Dirksen
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