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Herz auf der Zunge: William Fitzsimmons über sein Album "Mission Bell"

Der zertifizierte Psychotherapeut aus dem einstigen Stahlstandort Pittsburgh, Pennsylvania fügt seinem vorläufigen Gesamtwerk ein neues Kapitel hinzu. Aufgenommen wurde zweimal. Zum einen wie gehabt daheim mit dem eigenen Homerecording-Equipment. Zum anderen in Nashville, Tennessee, der prosperierenden Südstaatenkapitale, der es zunehmend schwerer fällt, ihren Ruf als Welthauptstadt der Country Music zu verteidigen, angesichts der verschiedenartigen Musikformen, die von dort seit Jahren in die Zirkulation geschickt werden.

Zwischen den beiden Einspielungen ging seine zweite Ehe in die Brüche. Ein Umstand, der sich nicht nur auf dem aktuellen Album umfassend thematisiert findet sondern sowohl von seiner Schallplattenfirma als auch William Fitzsimmons selbst offen nach außen vertreten wird. Denn die Beteiligten Wissen, der Künstler ist jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt. Jede Verschleierungstaktik wäre zwecklos. Dass seine Eltern ähnlich Stevie Wonder zu jenen zirka zehntausend Amerikanern gehören, die als frühgeborene Babys wegen einer zu hohen Sauerstoffkonzentration in ihren Brutkästen erblindet sind, auch daraus wurde nie ein Geheimnis gemacht.

Sind das durch die zweifache Einspielung andere Songs geworden als ursprünglich für "Mission Bell" (Grönland) vorgesehen?
Die Geschichten, die erzählt werden unterscheiden sich. Nicht in einem Maße wie vielleicht vermutet. Aber es sind Überarbeitungen vorgenommen worden. Was bei mir selten geschieht. Mir fällt es schwer, an meinen Songs zu feilen. Wenn sich das, was ich als erstes aufschreibe gut anfühlt, nehme ich das gewöhnlich. Diesmal bedeuteten mir die Songs sehr viel. Die Songs gehören mir, fand ich, und ich wollte, dass sie trotz Überarbeitung überleben.

Ging das Songfeilen also leichter von der Hand?
Ja, durchaus, zumal die erste Einspielung eine einzige Katastrophe war. Es fehlte die Seele, aus dem einfachen Grund, weil sich niemand in bester seelischer Verfassung befand. Nichts schien richtig zu sein. Fast wäre es wieder ein klinisches, digitales Album geworden, perfekt in der Performance. Bei gewöhnlicher Popmusik ist Perfektion toll. Wenn ein Song im Radio läuft, muss das Schlagzeug genau auf den Punkt kommen, das erwartet man. Meine eigene Musik braucht eine menschliche Komponente, sonst fehlt etwas.

Deshalb der Umzug nach Nashville, um in einem richtigen Tonstudio zu arbeiten und obendrein wie zu Analogzeiten auf Magnettonband aufzunehmen?
Genau, als Musiker bin ich ein Spätentwickler. Begonnen habe ich mit ProTools, einem Softwareprogramm. Dort konnte man zwar auch richtige Instrumente einspeisen, aber die Musik findet im Computer statt. Wir wollten auf Magnettonband umsteigen, weil das nichts vergisst. Dem Magnetband ist es egal, ob etwas korrekt gespielt ist oder nicht. Adam Landry, mein Produzent, brachte zum Glück die nötige Geduld auf. Es erfordert einiges an Selbstverstauen, um direkt auf Magnetband aufzunehmen. Man muss ganz bei der Sache ein. Im Nachhinein lässt sich kaum etwas ausbügeln. Was sich nicht sauber hinbekommen lässt, gelangt nicht sauber aufs Tonband.

Das muss eine echte Herausforderung gewesen sein!
Das war es, Bequemlichkeit taugt eben nicht für jeden Lebensbereich, am allerwenigsten in Sachen Kreativität. Bequemlichkeit verhindert, dass man Neues wagt. Hätte ich die Herausforderung nicht angenommen, wäre ein Album wie die beiden Vorgänger entstanden. Was auch okay gewesen wäre, eine Entwicklung hätte aber nicht stattgefunden.

Das, was laut dem Pressetext der Schallplattenfirma auf "Mission Bell" aus deinem Privatleben verhandelt wird, dürfte auch ein ziemlicher Umbruch gewesen sein.
Kann wohl sagen, wobei die Trennung von meiner Frau und den gemeinsamen Kindern schon länger zurückliegt. Ein wenig komme ich mir wie ein Lügenbold vor, wenn ich mich darüber noch auslasse. Die ersten beiden Songs des Albums, "Secound Hand Smoke" und "Distant Lovers", sind sogar lange im Vorfeld entstanden, dann aber in die Erzählung eingeflossen. Ich hätte die Anzeichen erkennen müssen, das beschäftigt mich nach wie vor, und ich kann nur über etwas schreiben, das mich betrifft. Ich bin nicht gut in ausgedachten Geschichten.

Obwohl das Album einen traurigen Hintergrund hat, begegnen einem grandiose Textzeilen. "She walks on the water from where I stand/ She holds my heart in the palm of her hand", heißt es in "Lovely". Das erzeugt sofort Bilder im Kopf.
Oh, danke! Das ist einer meiner Lieblingssongs und ein hervorragendes Beispiel, dass dieses Album anders ist als "The Sparrow And The Crow" von 2008, das nach meiner ersten Scheidung entstand und schwer zu ertragen war. Geradezu trostlos! Wer sich die Songs damals bis zum Schluss angehört hat, erfuhr keine Erlösung. Adam Landry ist es zu danken, dass "Mission Bell" vielschichtiger geworden ist. Seine Produktion lässt nicht nur traurige, negative Empfindungen anklingen. Man entdeckt Momente der Leidenschaft, der Heiterkeit. Das Gute wird nicht ausgeblendet.

Eine andere Textstelle in "Lovely" lautet, "There is a light in the back of my mind/ A film of her by God sitting on the other side". Was mag das wohl bedeuten?
Das geht zurück auf Ereignisse im Baltimore der sechziger Jahre. Eine Nonne, jung und bildhübsch, die als Lehrerin an einer katholische Schule unterrichtete, entdeckt, dass einige ihrer Schülerinnen von geistlichen Würdenträgern missbraucht werden. Sie will dem ekelhaften Treiben ein Ende setzen und wird ermordet. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt. In ihrer Figur liegt etwas Bedrückendes. Sie verlor ihr Leben bei dem Versuch, den ihr anvertrauten Schützlingen zu helfen. Meine Frau verwandelt sich im Verlauf des Songs in sie. Auch meine Frau trägt Gutes in sich. Eine Überschneidung besteht in der unrühmlichen Art, wie ich sie behandelt habe. In gewisser Weise würdige ich die guten Seiten meiner Frau. Sie hat mich verletzt, ich habe sie verletzt. Menschen sind kompliziert. Sie ist nicht Darth Vader und ich bin nicht Luke Skywalker. Wir bewegen uns beide irgendwo dazwischen.

Du als ausgebildeter Psychotherapeut müsstest eigentlich wissen, wie sich eine in Schieflage geratene Beziehung retten lässt oder nicht?
Ich habe sogar einen Masterabschluss in Psychotherapie und sollte der Letzte sein, dem bereits zum zweiten Mal passiert, was mir passiert, stimmt. Wirklich eine Schande! Aber damit will ich mich nicht aufhalten, ich arbeite an mir. Das ist etwas, das ich unter Kontrolle behalten kann. Ich habe genauso Anteil an der Trennung. Es gehören immer zwei dazu. Beide haben wir unschöne Dinge getan. Aber ich fühle mich zufriedener jetzt, was vielleicht seltsam klingt, leider weiß ich kein besseres Wort. Schauen wir, was die Zukunft bringt.

Der Albumtitel "Mission Bell" ist dem Song "Never Really Mine" entnommen. Meint das einen Platz, der tatsächlich existiert? Oder ist die Glocke einer Missionskirche als Metapher gedacht?
Die kalifornischen Missionskirchen sind berühmt. Spanische Priester sind dereinst entlang der Küste ausgeschwärmt um die Menschen zu bekehren, wie Katholiken das gern tun. Sie errichteten Missionen und benannten sie nach Heiligen. Die Glocken wurden geläutet, um zum Gebet zu rufen, oder wenn Gefahr drohte. Für mich ist die Mission Bell ein Sinnbild dafür, dass meine gescheiterte Beziehung ein Weckruf für mich ist.

Du gewährst deinem Publikum von jeher großzügige Einblick in zutiefst private, schmerzhafte Bereiche deines Lebens. Wie überstehst du Konzertauftritte, fragt man sich?
Einfach ist es nicht, aber es gelingt immer eine Balance. Einerseits versuche ich, die Empfindungen wach zu halten, weil ich denke, als Künstler muss ich aufrichtig bleiben. Andererseits erlaube ich mir humorvolle Kommentare, weshalb Konzertbesucher auch manchmal sauer sind. Es gibt immer welche, die gern erleben würden, dass ich auf der Bühne zusammenbreche. Aber es soll leuchten zwischendurch.
Bernd Gürtler SAX 11/18


William Fitzsimmons
"Mission Bell"
(Grönland; 21.9.2018)


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Foto: Shervin Lainez

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