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Etwas richtig können: Mit seinem Album "Skills" feiert Sven Helbig die Fähigkeiten und Fertigkeiten

Sein Großvater, Kupferschmiedemeister zu Lebzeiten, hinterließ einen handgefertigten Wasserkessel, den Sven Helbig nicht erst seit neulich faszinierend findet. Aufgewachsen in einer Familie von Handwerkern, schreibt er im Presseinfo zu "Skills" (Modern Recordings/BMG), sei ihm seit früher Jugend die Haltung vertraut, eine Sache um ihrer selbst willen zu perfektionieren. Das "langsame Reifen der Ausführung teilt das Handwerk mit spirituellen Ritualen, mit der Kunst, dem Sport und der Wissenschaft." Warum dann nicht mit vollster Hingabe die Fähigkeiten, die Fertigkeiten feiern, die es braucht, wenn es gut werden soll, im Handwerk wie in der Kunst?

Betrachtest du deine Musik eher als Handwerk oder als Kunst?
Das ist beides, eine Mischung aus Handwerk und Inspiration, im Verhältnis fünfzig zu fünfzig wenn es gut läuft. Mich begeistert, wenn jemand etwas kann, richtig kann, unabhängig davon ob es sich um eine Silikonfuge oder ein Klavierkonzert handelt. Das beeindruckt mich mehr als die Punkhaltung, einfach irgendwas irgendwie machen. Das Unfertige, das Gescheiterte inspiriert mich auch, war für mich persönlich aber nie der Weg. Ich wollte Dinge können. Ich empfand immer einen tiefen Respekt für zenhafte Verfeinerungen. In Japan gibt es die Teezeremonie, die Schwertkunst, das Ikebana der Blumenarrangierkunst. Das entspricht mir, dort sehe ich mich.

Von daher deine Faszination für den Wasserkessel aus dem Nachlass deines Großvaters?
Ja, meine Eltern sind kürzlich nach Dresden gezogen. Großvaters Handwerkskunst, das Gesellenstück seiner Kupferschmiedelehre, steht wie eh und je bei ihnen im Wohnzimmerschrank. Als Andenken, gehütet wie der heilige Gral. Schon als Kind fand ich es erstaunlich, wie man mit einem Hammer und einem Stück Kupfer zu dieser Form gelangen kann. Welche Meisterschaft da drinsteckt, wie viel mehr sich jemand abverlangt hat als im eigentlichen Beruf gefragt war. Das ist das, was im Mittelpunkt von "Skills" steht. Wenn jemand um der Sache willen etwas gut macht, aus eigenem Antrieb heraus. Gar nicht, weil es verlangt wurde oder es wichtig fürs Überleben wäre. Sondern einfach weil man mit sich selbst übereinkommt, wie die perfekte Ausführung auszusehen hat. Nicht jeder Mensch kann das, es ist auch gar nicht immer notwendig. Unser Leben besteht aus vielen unterschiedlichen Seinsarten. Das Scheitern, das Fehlerhafte bringt auch Neues hervor. Aber man muss seinen eigenen Weg finden, und geleitet hat mich immer das andere. Auch als ich Musikstudent war. Es gehörte dazu, an den Schmerzpunkt zu kommen, fünf Uhr in der Früh in Wachwitz aufzustehen, um gegen sechs im Bus nach Bühlau zu sitzen, dort die Straßenbahn zu erwischen und Punkt sieben an der Musikhochschule zu stehen wenn aufgeschlossen wird, um jede Sekunde üben zu können. Damals ging es auch nicht darum, ob das von Nutzen ist für Job und Geldverdienen. Sondern es war die Übereinkunft mit mir, dass ich Verbesserungswürdigkeiten bei mir feststellte und mit mir verabredete, dass es das auszumerzen gilt. Das ist mein Weg, und das Album ist diesem Weg gewidmet.

Vorab ausgekoppelt aus Skills" drei Singles, "Vision", "Repetition" und "Lore". Obwohl nicht als physische Tonträger sondern digital veröffentlicht, wurde für jedes Stück ein virtuelles Cover entworfen. Das zu "Vision" ist eine Gravur, angefertigt vom Dresdner Meistergraveur Matthias Köhler. Wurde er eigens für das Cover gesucht?
Ja, ich bin in verschiedenen Gravierwerkstätten, bei Antikhändlern gewesen. In Radeberg empfahl mir jemand Matthias Köhler, er sei der Beste. Ich bin mit ihm in Kontakt getreten, besuchte ihn in seiner Werkstatt, und das war eine sehr inspirierende Begegnung, in der sich alles widerspiegelte, worum es mir bei meinem Album geht. Er hat eine phantastische Gravur abgeliefert, wo auch Graveure sagen, dass es das in dieser Plastizität, in dieser Kunstfertigkeit kaum noch gibt. Bei ihm wurde auch sichtbar, dass er dazu in der Lage ist, weil er an sich selbst hohe Maßstäbe anlegt. Nicht wegen eines Auftrags vom Dresdner Schloss, für das er jetzt Türverblendungen graviert. Sondern einfach in der Kommunikation zwischen sich und dem Material, aus der Kenntnis heraus, was möglich ist in seinem Metier.

Die Singleauskopplungen werden zusätzlich von jeweils einem Videoclip begleitet. Der zu "Repetition", eine lustige Computeranimation, stammt von Ksawery Komputery aus Danzig.
In "Skills" geht es auch darum, dass bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten an Bedeutung verlieren, irgendwann verschwinden und stattdessen neue kommen. Dinge verändern sich. Was man bis zur höchsten Meisterschaft bringt, wird im nächsten Jahrzehnt, im nächsten Jahrhundert plötzlich nicht mehr nachgefragt. Ich wollte mit dem Video zu "Repetition" jemanden vorstellen, der nicht nur verschwindende Handwerkskunst betrauert, sondern das Neue verkörpert. Ich suchte nach jemandem, der die Algorithmen, über die wir heute ständig reden, programmiert. Sich auskennt mit Machine Learning, mit Deep Learning. Bescheid weiß über das, was im Nebel hinter unseren Computerbildschirmen liegt. Bestimmte Menschen vollbringen Außergewöhnliches, sonst könnten wir zum Beispiel nicht über Zoom kommunizieren. Und ich wollte jemanden finden, der künstlerisch damit umgeht. Durch Zufall stieß ich auf Ksawery Komputery. Mir hat ausgesprochen gut gefallen, was ich bei ihm auf Instagram sah. Er hat ein wunderbares Video angefertigt, bei dem nicht nur er an die Grenzen seiner Programmierkunst ging, sondern etwas herauskam, das wiederum selbst lernt und sich verbessert. Sein Algorithmus lernt, nach einer Bildvorlage eine Rose zu zeichnen und wird im Verlauf des Videos immer besser. Das musste dutzende Male gerändert werden, weil in jedem Verlauf etwas ganz anderes entstand. Die Skills der Programmierkunst, dort fließt genauso viel Leidenschaft ein wie in Matthias Köhlers Gravuren. Allerdings wird sein Können in unserer heutigen Welt abgelöst durch Fähigkeiten und Fertigkeiten, bei denen man eigentlich nichts mehr in die Hand nimmt, außer Maus und Tastatur.

Singleauskopplung Nummer drei, "Lore", führt im Titel ein Wort, das mehreres heißen kann. In welcher Bedeutung nutzt du es?
Im Sinne des englischen Folklore, was alte Erzählungen meint, Mythen, traditionelle Geschichten, von Odysseus zum Beispiel oder meinem Großvater und seinem Wasserkessel. Das sind Überlieferungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Skills werden auch als Überlieferung weitergegeben. Nur deshalb weiß man, wie ein Kupferkessel auszusehen hat, wie man das Material bearbeiten muss, um einen solchen Gebrauchsgegenstand herzustellen. Das erfindet nicht eine einzige Generation, das wird als Erfahrungsschatz weitergegeben. Von der kreativen Seite betrachtet, sind Überlieferungen immer eine Inspiration. Selbst wenn man sie verneint, sich dagegen sträubt, weil man seine Herkunft überwinden möchte. Irgendwie reibt man sich immer an seiner Herkunft. Oder umarmt sie und lebt das aus in einem rückwärtsgewandten Traditionalismus. Das wollte ich auch dabei haben auf meinem Album. Auch hier präsentiert das Cover der Single eine bestimmte Handwerkskunst, eine Stickerei, angefertigt von einem Stickmeister, den ich nach intensiver Recherche in Holland fand.

Eingespielt wurde "Skills" mit dem Leipziger mondëna quartet, erweitert um drei French Horns und Tuba. Wie würdest du dein Album jemandem beschreiben, der deine Vorgeschichte nicht kennt. Ist das Orchestermusik? Oder eher Kammermusik?
Das Problem ist, dass sich bei Begrifflichkeiten immer gleich die Türen schließen. Richtig ist, dass ich Orchesterinstrumente nutze. Aber die Musik, die ich für Orchesterinstrumente komponiere, speist sich eher aus der Songtradition. Ich suche nach Melodien, ich scheue keine Wiederholungen, möchte die kleine Erzählung, die das Herzstück eines jeden guten Songs bildet. "Skills" enthält weniger die breit ausgerollten Dramen, sondern kurze Begegnungen. Ich bin mit den obligatorischen Dreiminutenpopsongs aufgewachsen, wo auch immer nur kurze Geschichten aufblitzen. Die größere Geschichte entsteht auf "Skills" durch das Zusammensetzen mehrerer kleinerer Geschichten. Insofern würde ich nicht von Kammermusik sprechen, weil man dann viel zu klassisch denkt. Es ist aber auch keine Popmusik mit Orchesterinstrumenten. Ich hoffe, dass man über das, was ich thematisch transportieren möchte, eine Neugier entwickelt und sich einlässt.

Deine Leidenschaft, die in "Skills" eingeflossen ist, manifestiert sich in jedem Detail des Albums. Sogar das Albumcover wurde von dir selbst entworfen, nach dem Vorbild der Vanitas-Stillleben des Barock. Hattest du ein bestimmtes, berühmtes Bild im Hinterkopf?
Ich habe mir mein eigenes zusammengestellt, aber einige Grundsätze befolgt. In den klassischen Vanitas-Bildern geht es um Vergänglichkeit. Dort ist die Eieruhr gewöhnlich abgelaufen, die Kerze aus. Bei mir ist die Eieruhr nur zur Hälfte abgelaufen. Drei chinesische Akupunkturnadeln stecken in einer Zitrone. Ein kleines Impffläschchen von Biontec, meine zweite Impfdosis, ist untergebracht. Das Albumcover soll vermitteln, dass schon noch rumgedoktert wird an unserem Zustand, in der Hoffnung einen Ausweg zu finden. Gleichzeitig steckt drin, dass mit diesem Prozess ein Verlust einhergeht. Im Halbdunkel des Bildhintergrunds platziert ein Cello, was die Frage stellt, wie lange sich junge Menschen noch für Orchestermusik interessieren werden. Es passiert leider nicht allzu Begeisterndes. Das jedenfalls habe ich selbst zusammengestellt und ein paar Grundregeln beachtet. Dass alles in Wellenform aufgestellt ist, keine parallelen Linien entstehen, dass es so aussieht wie ein altes Gemälde. Die Rosen sind von einem Rosenstrauch an der Flügelwegbrücke, habe ich selbst geklaut.
Bernd Gürtler SAX 2/22 


Sven Helbig
"Skills"
(Modern Recordings; 4.2.2022)


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Foto: Modern Recordings

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