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Grandbrothers: Modernes Klangereignis aus dem altehrwürdigen Kölner Dom

Eine Revolution war das als John Cage im Rahmen einer Ballettmusikaufführung die Saiten des Konzertflügels mit Radiergummis, Nägeln, Papier und ähnlichen Gegenständen präparierte, so dass das Instrument plötzlich frappierend ungewöhnliche Klänge hervorbrachte. Weltweit fand die Versuchsanordnung des New Yorker Avantgardisten ihre Nachahmer. Am radikalsten weitergedacht wurde das präparierte Klavier, wie es im Fachjargon heißt, von den Grandbrothers, zwei Absolventen des Düsseldorfer Instituts für Musik und Medien.

Zusätzlich zu den Fremdgegenständen, die sie an den Klaviersaiten anbringen, entwickeln Erol Sarp und Lukas Vogel diverse Apparaturen, die es ihnen ermöglichen, den Flügelkorpus als Perkussionsinstrument zu nutzen und sämtliche erzeugten Klänge elektronisch verfremdet sofort wieder in den Livespielprozess einzuspeisen.

Drei sensationelle Alben sind seit 2015 mit "Dilation", "Open" und "Into The Unknown" entstanden. "Late Reflections" (CitySlang), Album Nummer vier vom Frühjahr 2023, beschreitet abermals neue Wege. Aufgenommen wurde im Kölner Dom, auf Einladung des amtierenden Dombaumeisters Peter Füssenich.

Ein umtriebiger Geselle der Mann, betrachtet er doch das altehrwürdige Gemäuer als lebendiges Bauwerk und beschloss eine Ausweitung der schöpferischen Denkmalpflege seiner Vorgänger. Wenn nichts Gravierendes dazwischenkommt, dürfte das Gebäude bis in alle Ewigkeit an derselben Stelle stehen. Das Innenleben jedoch kann mit der Zeit gehen und gerade die Albumeinspielung der Grandbrothers markiert einen Modernisierungsschub.

Die Stücke, eigens für "Late Reflections" geschrieben, sind keines religiösen Inhalts, entstanden aber unter Berücksichtigung der Raumverhältnisse. Ein Dom ist kein konventioneller Konzertsaal, kein konventionelles Tonstudio, sondern soll die Orgel und den Kirchenchor zum Lob des Herrn möglichst machtvoll zur Geltung bringen. Der Nachhall ist utopisch und wurde von den Grandbrothers beim Komponieren als Gestaltungselement einbezogen.

Bleibt die spannende Frage, wie lässt sich das Material von "Late Reflections" zurückübertragen in einen Klubkontext, den sich die Grandbrothers mit ihren ersten drei Alben unbedingt erschließen wollten, indem sie ihre Musik kontinuierlich perkussiver werden ließen, um dem Tanzbedürfnis des Publikum entgegenzukommen? "Wir überlegen noch", entgegnet Lukas Vogel während eines Interviewtermins im Büro ihres Berliner Schallplattenlabels. "Es besteht auf technischer Ebene die Möglichkeit, die Raumverhältnisse zu simulieren. Wir wollen aber nicht in Klubs auftreten und den Leuten den Eindruck vermitteln, sie befänden sich im Kölner Dom. Schauen wir mal, wie sich das in unseren Liveauftritt übersetzen lässt."
Bernd Gürtler SAX 4/23


Grandbrothers
"Late Reflections"
(CitySlang; 14.4.2023)


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Foto: Dan Medhurst
Foto: Dan Medhurst

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