Nach einigem Hin und Her wird die Offerte akzeptiert, unter der Bedingung, dass die Ratte die Bauernfamilie brav zu unterhalten habe. Soweit der Plot zu Hans Falladas Märchenerzählung, die vom Theater Junge Generation in Dresden unter der Überschrift "Die gebesserte Ratte" in die Gegenwart geholt wird, das musikalische Begleitprogramm bestreitet Andi Valandi.
Die Theaterwebsite vermerkt, das Stück gehe der Frage nach, ob sich der Wert des Einzelnen immer nur am Nutzen für die Gesellschaft bemessen darf und wo die Grenzen der Selbstverleugnung liegen. Einschlägige Erfahrungen konnte sowohl Hans Fallada einfließen lassen als auch Peter Brasch, der zu Vorwendezeiten eine auf Vinylschallplatte gepresste Hörspielfassung und später jenes Bühnenstück erarbeitete, das der Dresdner Inszenierung zugrundeliegt.
Der eine ein Schriftsteller, der nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland ausharrt, nicht emigriert, sogar weiterhin auflagenstark vertreten bleibt, sein Schreiben aber den Umständen anpassen muss; die Rattenerzählung erschien 1938 in seiner Märchensammlung "Geschichten aus der Murkelei". Der andere ein Bruder von Thomas Brasch, Klaus Brasch beziehungsweise Marion Brasch und somit Sohn des stellvertretenden DDR-Kulturministers der Mittsechzigerjahre Horst Brasch, der seine Kinder aus tiefster Überzeugung zu aufrechten Sozialisten formen wollte, stattdessen jedoch eigensinnige Systemverweigerer heranzog.
Sie sei sich der biographischen Verflechtungen mit dem Erzählstoff bewusst, erklärt die Regisseurin der Dresdner Inszenierung Petra Schönwald und dass ihr Peter Braschs Interpretation unbedingt näher sei. "Hans Fallada betont zwar auch die Schläue der Ratte, beschreibt sie aber als ziemlich fies". Wohingegen Peter Brasch das Nagetier nicht nur seiner Anonymität enthebt und es auf den Namen Erika tauft, sondern zum Sympathieträger erklärt. "Seiner Linie folgen wir, die Zuschauer sollen als Rattenfans aus der Vorstellung gehen!"
Was auch unter die Lupe genommen wird, ist die Familie, die nicht unbedingt mehr Bauernfamilie ist, sondern eine klassisch patriarchalisch geprägte Sippschaft aus "Vater, Mutter, Kind, wie wir es in der einen oder anderen Weise tagtäglich vorgespiegelt bekommen. Der Vater arbeitet tagsüber draußen, die Mutter im Haus und putzt, dem Kind wird kaum Beachtung geschenkt. Selbst wenn unsere Gesellschaft nicht so extrem ist wie die Familie im Stück, wird beständig ein Druck aufgebaut, der auch schon auf Kindern lastet. Von Anfang an wird Kindern eingetrichtert, wie sie zu sein, was sie zu leisten haben. Diesen Parabelcharakter des Stücks nutzen wir."
Peter Braschs Hörspielfassung war mit instrumentalen Klammern und Überleitungen versehen, wohl als dramaturgische Lockerungsübung, um die Aufmerksamkeitsspanne nicht über Gebühr zu strapazieren. Diesen Part übernehmen im Theater Junge Generation Andi Valandi und seine beiden Mitstreiter, die Dresdner Trioformation wird Songs aus dem eigenen Materialfundus sowie situationsbezogene Improvisationen beisteuern. Eine Kombination, die auf Gegenseitigkeit beruht. "Wir mit unseren eigenen Lebensentwürfen fühlen uns dem Stoff des Stücks sehr nahe", verrät Sänger und Gitarrist Andi Valandi, der zusätzlich in die Rolle des Erzählers schlüpft. Schlagzeugerin Selin Wutzler macht kein Geheimnis aus ihrer Seelenverwandtschaft mit der Ratte. "Sie verkörpert ein bisschen einen jeden aus der Band, unseren Drang nach Freiheit, dass wir uns manchmal akzeptiert fühlen, meistens aber Außenseiter sind." Keyboarder Frank Dresig erkennt sogar Parallelen zwischen dem Handlungsverlauf und der Entwicklung der von ihnen vertretenen Musikgattung. "Wir machen Rattenmusik, wir bringen den Blues ins Stück. Auch der Blues versucht sich über die Jahre anzupassen und konnte vorübergehend ein Massenpublikum erreichen, verabschiedet sich dann aber wieder und verbündet sich unter anderem auch durch uns mit dem Punkrock. Ähnlich der Ratte, die irgendwann auch sagt, kein Bock mehr und der Familie auf dem Bauernhof auf der Nase herumtanzt."
Am Ende verzichtet die Ratte auf Annehmlichkeiten, zieht es vor, nicht brav, nicht nützlich zu sein, sondern kehrt zurück in ihre angestammte Lebenswelt. Was kein Versagen sei, betont Regisseurin Petra Schönwald. "Die Ratte geht nicht als Verlierer vom Platz, sondern trifft selbstbestimmt eine Entscheidung. Wir wollen nicht, dass rüberkommt, oh Gott, Außenseiter werden verstoßen. Selbst bei uns im Team erkennt jeder etwas anderes in der Ratte. Es könnte sich um eine queere Person in einem hetero-cis-normativen Umfeld handeln, um eine Person, die obdachlos ist. Es könnte jeder sein, der irgendwie nicht reinpasst. Der Leistungsaspekt ist auch wichtig, dass der Ratte gesagt wird, du wirst nicht wegen dir akzeptiert, sondern musst erst etwas tun."
Was das dem Publikum erzählt? Das ändert sich entsprechend der jeweiligen Nachrichtenlage, denkt Andi Valandi. Wenn vermeldet wird, dass "Asylbewerber für achtzig Cent die Stunde zur, wie es genannt wird, Pflichtarbeit geschickt werden sollen, ist es genau das. Du leistest nichts, also bist du es nicht wert." Ein ziemlicher Gedankenhintergrund bei einem Theaterstück für Kinder und Jugendliche ab acht Jahren! "Wir nehmen unser Publikum ernst, begegnen ihm auf Augenhöre. So verstehe ich Theater für unsere Zielgruppe. Wir scheuen uns nicht vor Themen, die alle angehen, ob klein, ob groß", entgegnet Regisseurin Petra Schönwald und betont, dass auch jede Menge Schalk und Spaß in der Aufführung stecken, die Freude am Regelbruch gefeiert wird. Zeigefingertheater sei keins beabsichtigt.
Bernd Gürtler/TM
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24.11.24 Dresden, tjg*
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30.12.24 Dresden, tjg*
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04.01.25 Dresden, tjg*
"Die gebesserte Ratte" im tjg – Theater der Jungen Generation