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Ezé Wendtoin: Zwischen den Welten

Die Hauptstadt von Burkina Faso heißt wie? Ouagadougou, richtig und die korrekte Aussprache lautet? Ezé Wendtoin, geboren und aufgewachsen in Ouagadougou, hilft gern, wenn höflich gefragt. Umgekehrt ist der überzeugte Wahldresdner weitaus versierter, wechselt in "Kosweogo", dem Eröffnungssong seines zweiten Albums "Heute hier morgen Deutsch" (Trikont) mühelos zwischen seiner afrikanischen Muttersprache Mooré und Deutsch. Des Französischen und Englischen ist er ebenfalls mächtig. Ein Sprachwandler zwischen den Welten? Sieht ganz danach aus und womöglich nach dem Vorbild eines berühmten Altvorderen.

Wer dir bei deinen Songs zuhört oder dich im Gespräch erlebt, wird feststellen dürfen, dass dein Deutsch nahezu perfekt ist. Du bist in der Sprache wirklich zuhause!
Danke, ich selbst kann das schwer einschätzen. Sprachen lernt man am ehesten durch Begeisterung, bei mir war das der Fall. Ich finde Deutsch faszinierend, weil ein Kompositum unterschiedlicher Worte wie "Hochschulzugangsberechtigungsnachweis" trotzdem Sinn ergibt oder schöne Reime wie "Ratzfatzlatzspatz" möglich sind; ein Song meines neuen Albums heißt so. Manche meiner Mitschüler auf dem Gymnasium meinten, das Leben sei zu kurz um Deutsch zu lernen. Ich war anderer Ansicht. Heute ist die deutsche Sprache Teil meiner Identität. Trotzdem stehe ich zu meinem Migrationsvordergrund, wie ich es nenne. Ich liebe es, zwischen den Sprachen zu navigieren. Sprache ist eine Tür in fremde Kulturen!

Dass du Französisch sprichst, mag naheliegend sein, Französisch ist in Burkina Faso Amtssprache. Englisch gehört heute fast zum Standardrepertoire. Wie aber bist du auf Deutsch gekommen?
Deutsch hörte ich das erste Mal bei einem meiner besten Kumpels, wir kennen uns seit der Kindheit. Ich verstand nichts von dem, was er mir auf Deutsch erzählte. Es interessierte mich auch nicht weiter, aber meine Neugier war geweckt. Nach der Mittleren Reife belegte ich Literatur als Wahlfach, und in Literatur wurde Deutsch unterrichtet. Mein Lehrer war supermotiviert. Aus den Worten, die wir bei ihm in der allerersten Stunde lernten, baute ich ein Lied, das ich in der nächsten Stunde vor der versammelten Klasse vortrug.

Wie ging es weiter?
Die Universität Ouagadougou bietet Germanistik als Studiengang an, nach dem Gymnasium schrieb ich mich dort ein. 2013 war ich das erste Mal mit meiner Musik unterwegs, in Frankreich, als Gewinner eines Musikwettbewerbs. Das war meine erste Europareise. Meinen Bachelor hatte ich damals bereits abgeschlossen und wollte unbedingt weiter nach Deutschland. Dresden war die erste Stadt, die ich kennenlernen durfte. Mein Vater starb damals überraschend. Er war Pfarrer, mein Song "Papa" vom neuen Album handelt von ihm. Von der Freude zur Traurigkeit ist es manchmal nur ein Katzensprung. Aber etwas war ins Rollen gekommen. Ich flog zurück nach Burkina Faso, brachte mich mit Gelegenheitsjobs über die Runden und kam jedes Jahr für zwei, drei Monate mit einem Künstlervisum nach Deutschland. Parallel bemühte ich mich um einen Platz an der TU Dresden, um mein Germanistikstudium fortzusetzen und den Master zu machen. 2016 hat es geklappt, Schwerpunkt des Studiengangs war Deutsch als Fremdsprache. Das ist eine der Geschichten, wie sie sowohl auf meinem ersten als auch dem zweiten Album erzählt werden; "Heute hier morgen Deutsch" ist eine Fortführung von "Inzwischen Dazwischen", der Albumtitel eine Anspielung auf Hannes Wader und sein "Heute hier, morgen dort". Ich berichte von meinem Leben zwischen den Welten und dass es ein Privileg ist, sich zwischen den Welten bewegen zu dürfen. Es ist definitiv ein Privileg, wenn man sich anschaut, was nach wie vor im Mittelmeer passiert.

Die deutsche Sprache zu beherrschen, ist eine Sache. Wie bist du mit dem sächsischen Dialekt zurechtgekommen?
Das war krass. Als ich nach Dresden kam, suchte ich im Busfahrplan nach einer Verbindung zu meiner Unterkunft. Ich sollte am Ullersdorfer Platz umsteigen, in die Buslinie 61, die entweder Richtung Weißig oder Richtung Fernsehturm fährt. Ich fragte im Bus, ob ich in die richtige Richtung fahre und bekam zur Antwort "nu, nu". Ich war komplett verwirrt, ich dachte, "nu" bedeutet "nein" und bin dann doch in den falschen Bus umgestiegen.

Dein erstes musikalisches Zuhause in Dresden fand sich unter dem Dach der Banda Comunale. 2018, zu "Wann wird es endlich wieder Sommer?", einem abendfüllenden Dokumentarfilm über die Band, steuerst du die Coverversion eines Schlagers von Rudi Carrel aus dem Jahr 1975 als Titelsong bei. Woher kanntest du den Song?
Während des Germanistikstudiums in Burkina Faso coverten wir an deutschsprachigen Liedern alles was uns über den Weg lief, Xavier Naidoo, Bushido und auch "Wann wird's mal wieder richtig Sommer". Offensichtlich ein sehr bekanntes Lied in Deutschland, sollte sich später herausstellen. Inzwischen habe ich eine Version "Wann wird's endlich mal wieder richtig Winter" geschrieben. Wir müssen uns besinnen und unseren Planeten retten.

Dein zweites Album enthält eine Coverversion von Max Raabes "Fahrrad fahr'n". Vom Fahrrad erhoffen sich Umweltaktivisten einen nachhaltigen Beitrag zur Planetenrettung. Bist du mit dem Fahrrad unterwegs, wenn du dich in Dresden aufhältst?
In Burkina Faso bin ich immer mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, zuerst bei meinem Bruder hinten auf dem Gepäckträger. Das machte nur teilweise Spaß, bei vierzig Grad, wenn die Sonne scheint. Aus burkinischer Sicht ist das Fahrrad ein Sinnbild für Armut, das wollte ich nicht fortschreiben, sondern aufmerksam machen, dass Fahrradfahren auch eine Frage der Einstellung sein kann. Als ich nach Dresden kam, hätte ich den Weg zur Universität gern mit dem Fahrrad zurückgelegt. Leider wohnte ich ziemlich außerhalb, deshalb ging das nicht. Seit Coronazeiten bin ich häufiger zwischen Dresden und Berlin gependelt, und in Berlin kam die Lust aufs Fahrrad zurück. Deshalb ist "Fahrrad fahr'n" entstanden. Auch in Ouagadougou wird der Song gehört. Gerade jetzt, wo das Benzin megateuer geworden ist, bietet das Fahrrad eine brauchbare Alternative.

"Grammatische Deutschheit", ein anderer Song auf "Heute hier morgen Deutsch", beruht auf Friedrich Rückerts gleichnamigen Gedicht.
Das Gedicht ist der Knaller. Entstanden um 1819, gut fünfzig Jahre vor Gründung des Deutschen Reiches, ist es locker zweihundert Jahre alt. Das Thema aber beschäftigt uns noch immer. Nach wie vor wird heftig gestritten, wer dazugehören darf und wer nicht, was eine deutsche Leitkultur sein könnte. Max Czollek sagt, heute gibt es in Deutschland nur noch eine radikale Vielfalt, ein dominantes Zentrum existiert nicht mehr. Ich finde "Grammatische Deutschheit" großartig. Wenn ich am Ende sage, dass ich der einzige bin, der hier "Afrikanisch" spricht, spiele ich darauf an, dass Afrika aus europäischer Sicht als homogenes Ganzes betrachtet wird. Schwarze Menschen werden oft darauf angesprochen, dass sie sicherlich „Afrikanisch“ sprechen. Afrika ist vielfältig, in Burkina Faso gibt es sechzig verschiedene lokale Sprachen und tatsächlich Sprachen, das sind keine Dialekte!

Friedrich Rückert, geboren im Bayrischen Schweinfurt, war ein deutscher Dichter und Sprachgelehrter, der Übersetzungen aus einer Vielzahl europäischer Sprachen und aus dem Arabischen anfertigte, die deutsche Orientalistik mitbegründete und auf diese Weise zur interkulturellen Verständigung beitrug. Ihr beide seid euch ähnlich, findest du nicht? Bist du ein afrikanischer Friedrich Rückert?
Ich weiß nicht, keine Ahnung. Auf jeden Fall fand ich sein Gedicht superwitzig.

Zwischen "Fahrrad fahr'n", "Grammatikalische Deutschheit" und Bearbeitungen von Berthold Brechts "Erinnerung an die Marie A" sowie Friedrich Schillers "Der Handschuh" finden sich auf "Heute hier morgen Deutsch" mehrere Songs in deiner Muttersprache Mooré. Worum geht es dort?
"Maman" handelt von meiner Mutter, sie war Weberin und hatte ziemlich zu kämpfen, um uns Kindern wenigstens kleine Wünsche erfüllen zu können. Ich empfinde größten Respekt für ihre Lebensleistung und sehe in ihr die vielen anderen Frauen in Afrika, die ebenfalls zu kämpfen haben. "Kuilga Noore" ist ein Liebeslied und korrespondiert mit Brechts "Marie A". "Laafi" gehört zu den ersten Liedern überhaupt, die ich geschrieben habe. Es geht um Krieg und die Sehnsucht nach Frieden. Auf das Album gekommen ist es, weil Burkina Faso gerade schwierige Zeiten erlebt. "Laafi" handelt auch von Gesundheit, Krebserkrankungen und Corona und dass wir oft unzufrieden sind, obwohl wir dankbar sein sollten, wenn wir gesund sind. Zu oft meinen wir, dass das Negative überwiegt. Aber setzt man das Negative zum Positiven ins Verhältnis, zeigt sich, dass gleichviel Negatives wie Positives passiert. Ich zum Beispiel bin dankbar, dass die Albumeinspielung durch die Initiative Musik gefördert wurde. "Wendkabsgo" ist ein Loblied auf die Energie und die Wurzeln. Und "M'puusa Baraka" schließlich, das vorletzte Stück auf "Heute hier morgen Deutsch", entstand, als ich zur Eröffnung meines Schulprojekts in Burkina Faso war. Wir sind mit vierundzwanzig Schülern und Schülerinnen gestartet. Wir bieten Workshops zum biologischen Gartenbau, machen viel mit Kunst, Musik, Theater. Die Kids lernen Informatik, Englisch, Deutsch, aber auch lokale Sprachen. "M'puusa Baraka" sagt danke für das, was geschehen ist. Es hat ganz klein angefangen, mit Brunnenbau, mit Hüttenbau, und jetzt haben wir eine tolle Architektur.
Bernd Gürtler SAX 7/22

Ezé Wendtoins Schulprojekt finanziert sich ausschließlich aus Spenden. Wer unterstützen möchte, unter www.eze-music.com oder www.tam-verein.de besteht die Möglichkeit.


Ezé Wendtoin
"Heute hier morgen Deutsch"
(Trikont; 1.7.2022)


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Foto: Warc-En-Ciel Systeme Prod
Foto: Warc-En-Ciel Systeme Prod
Foto: Christian Suhr
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