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Weltjazz mit Heimatgarantie: Masaa und ihr Album "Beit"

An den Songtexten in arabischer Sprache dürfte es liegen, weshalb Rabih Lahoud, Sänger mit familiären Wurzeln im Libanon, und seine Musikantengefährten von Masaa als der Genreschublade Weltjazz zugehörig gelten. Aber nicht nur heißt das sechste Album des Quartetts "Beit" (Traumton), was so viel wie Haus oder Heim bedeutet, eine Heimatgarantie wird gewissermaßen abgegeben. Den Interviewtermin bestreiten Reentko Dirks, der akustische Doppelhalsgitarre spielt, sowie Demian Kappenstein, darüber hinaus Schlagzeuger und zweiter Kreativkopf des in Dresden beheimateten Duos Ätna.

Laut Presseinfo des Schallplattenlabels, hat die Projektentwicklung zum Album "Beit" in einem Haus im Bergischen Land stattgefunden.
Demian Kappenstein
: Das ist mein Elternhaus gewesen, in der Ortschaft aus der mein Vater stammt. Für mich eine Art Heimkehr. Wegen meines Studiums und des vielen Unterwegsseins durch die Freiberuflichkeit, war lange gar nicht sicher, ob ich jemals dorthin zurückkehren würde. Jetzt empfand ich es als umso schöner. Rabih Lahoud, unser Sänger, lebt nicht weit entfernt in Monheim. Manchmal kamen Omas, Opas und Tanten vorbei, um zu lauschen, was wir machen.

Das Haus ist noch bewohnt?
Demian Kappenstein: Erster Stock und Dachgeschoss sind ausgebaut und vermietet. Das Erdgeschoss nutzt meine Familie als Urlaubsrefugium oder zur Unterbringung von Besuchern. Das Gebäude ist ein altes Fachwerkhaus und sehr eng, die Decken sehr niedrig. Wir haben im selben Zimmer geschlafen und Musik gemacht, uns um einen winzigen Küchentisch versammelt. Eine Nähe wie im Backstagebereich, im Tourbus, wenn wir unterwegs sind. Oder später bei der Albumeinspielung im anhaltinischen Waldhausstudio. Deshalb wirkt "Beit" so komprimiert und dicht. 

Wie muss man sich eure Arbeitsweise vorstellen?
Reentko Dirks: Jeder bringt Ideen mit, die wir gemeinsam ausarbeiten. Parallel schreibt Rabih seine Songtexte.

Es ist nicht so, dass die Texte vorher fertig geschrieben vorliegen?
Demian Kappenstein: Nein, weil aus dem Moment heraus eine besondere Verbindung sowohl zwischen uns Musikern als auch zwischen Musik, Songtexten und Gesang entsteht. Rabih hat uns von Anfang an ermuntert, dass wir uns als eigenständige Persönlichkeiten einbringen, um zu vermeiden, dass er zu sehr in den Fokus rückt und sich ausgestellt fühlt beziehungsweise nicht der Eindruck entsteht, wir seien austauschbare Begleitmusiker. Die Songtexte schreibt er schon immer parallel. Marcus Rust, unser Trompeter und Flügelhornist, spricht ein wenig, Reentko und ich gar kein Arabisch.

Eben, das wäre die spannende Frage, wie die Band fertige Songtexte instrumental gestalten könnte, wenn die Sprache nur bedingt oder gar nicht verstanden wird!?
Demian Kappenstein: Wir entwickeln zuerst immer einen emotionalen Bezug. Dann fragt Rabih, was unsere Assoziationen zu einem Song sind und erzählt, was er sich dachte. Ähnlich die Verfahrensweise im Konzert, egal ob wir in Griechenland, Aserbaidschan oder Spanien auftreten. Wir nutzen die Sprachbarriere, um an die Emotionen ranzukommen. Die Auflösung, was die semantische Ebene war, folgt im Anschluss.
Reentko Dirks: Auch wenn zur Aufführungsreife gebracht, sind unsere Songs nichts Endgültiges. Die Songtexte ändern sich, wenn wir über längere Zeiträume live spielen.

Inhaltlich scheint es streckenweise ordentlich zur Sache zu gehen. "Die Welt ist verrückt geworden/Ihr Wahnsinn tötet die Liebe/Sie hat Angst vor einem Olivenbaum/Und ihre Angst schließt die Herzen/Zerstöre kein Haus, baue ein Haus", heißt es im Titelsong zu "Beit".
Demian Kappenstein: Das liegt in Rabihs Biographie begründet. Aufgewachsen ist er im Libanon während des Bürgerkriegs, hat sich damals in die Musik, genauer in die europäische Klassik geflüchtet, sich ein Paralleluniversum geschaffen, das ihm das geben konnte, was die brutale Wirklichkeit vorenthielt. Dann entstand der Wunsch, dorthin zu gehen, wo seine Idole Bach und Beethoven herkommen. Deutschland wurde zur zweiten Heimat und von dort aus näherte er sich seinen arabischen Wurzeln aufs Neue, immer im engen Kontakt mit der Familie im Libanon. Anfangs hat Rabih ausschließlich Klavier gespielt, nicht gesungen, aber irgendwann entdeckt, dass er etwas in sich trägt, das nur ihm gehört. Heute ist er jemand, der sich unentwegt fragt, wer er ist, Araber oder Deutscher? Welche Identität ist die seine? Was überhaupt ist kulturelle Identität. Eine Chance oder ein Mittel zur Abgrenzung? Das wird von Rabih durchdekliniert, neben Themen wie Krieg in der arabischen Welt, Krieg und Verwüstung in Europa.

Es heißt, im Unterschied zum Deutschen sei das Arabische weitaus poetischer. Selbst krasse Inhalte würden in blumige Worte gekleidet.
Demian Kappenstein: Rabih sagt, anders als im Deutschen würde er durchaus häufiger mit Sprachbildern arbeiten. Ansonsten denke ich, dass er sich in keinster Weise einordnen lässt. Wenn wir im Libanon oder Jordanien auftreten, wo das Publikum tendenziell seine Songtexte versteht, erleben wir denselben Effekt, der generell angestrebt ist. Rabih zerpflückt die Sprache regelrecht. Dem Publikum lässt es sich vom Gesicht ablesen, wie es sich fragt, weshalb gerade dieser Satzabschnitt, diese Wortsilbe wiederholt oder verkürzt wird, weshalb gerade in jener Passage der Gesang in die Kopfstimme wechselt, obwohl ein Mann der Sänger ist. Rabih will aus Klischees ausbrechen. Die Zuhörer sollen eintauchen und schauen, was ein Song mit ihnen macht. Er unterbreitet Angebote, erhebt keinerlei Zeigefinger, hat nichts Schulmeisterhaftes.
Reentko Dirks: Eine Besonderheit ist auch, dass Rabihs Songtexte knapp gehalten sind wie Haikus, manchmal nur aus drei Zeilen bestehen, und diese Zeilen singt er so, dass seine Stimme wie ein Instrument wirkt. Er singt nicht wie ein Sänger im popmusikalischen Sinne. Selbst wenn die Songtexte wegen der arabischen Sprache unverständlich bleiben, vermittelt sich etwas. Wer in seine Texte eintaucht, entdeckt eine weitere Inhaltsebene.

Aber der rote Faden, der "Beit" zusammenhält, ist das Thema Heimat?
Demian Kappenstein: Das ist auf jeden Fall ein Aspekt, wir verbinden verschiedene Heimatorte, Familienkonstellationen, Lebenswege. Das ergibt sich aus den Kompositionen, die das harmonische Fundament bilden, aber auch durch die Geschichten, die erzählt werden. Mein Opa ist Rabih nie zuvor begegnet, aber getriggert durch die Arbeit an einem Song erzählte er, wie er als Kind seinen Vater zum Bahnhof begleitete und nie wiedersah, weil sein Vater im Krieg blieb. Mein Opa verstand Rabihs Arabisch nicht, erkannte aber sofort, hier wird etwas ganz Elementares angesprochen. Die Frage, die sich in den meisten Songs stellt, lautet, was genau Heimat sein soll. Ein Ort? Oder sind es Personen?

Wer euch und euer musikalisches Schaffen betrachtet, könnte denken, Heimat ergibt sich am nachhaltigsten aus der Interaktion zwischen Menschen.
Demian Kappenstein: Zu der Erkenntnis ist auch Rabih gelangt. Er ist ein Entwurzelter, der neue Wurzeln geschlagen hat. Aber wichtiger als Orte ist ihm seine Familie, im Libanon und hier in Deutschland.
Reentko Dirks: Letztlich ist auch unsere Band sowas wie eine Familie. Jeder von uns kennt das Gefühl, dass man ausgelaugt zum Auftritt kommt und nicht die geringste Idee hat, wie das heute Abend über die Bühne gehen soll. Aber in dem Moment wenn der erste Ton erklingt, fühlen wir uns untereinander verbunden und die Gewissheit macht sich breit, dass überhaupt nichts schiefgehen kann. Eine musikalische und menschliche Heimat, das ist es, was wir in unserer Band gefunden haben.

Das ließe sich problemlos weiterspinnen. Eure Veranstaltungsreihe "Betreutes Singen" im Kulturzentrum Scheune in der Dresdner Neustadt, bietet wiederum anderen zumindest stundenweise eine Heimat.
Demian Kappenstein: Richtig, und wir veranstalten Workshops mit Kindern, die aufgrund ihrer Herkunft oder aktuellen Lebenssituation mittellos sind. Sowohl für Rabih als auch uns ein starkes Anliegen. Wir waren kürzlich auf der griechischen Insel Chios und haben dort mit unbegleiteten Flüchtlingskindern und Kindern von vor Ort Musikunterricht gegeben. Rabih ist überzeugt, dass wir, wenn es uns nicht gelingt, Kinder wie diese zu inspirieren, in den nächsten Generationen ein Problem bekommen werden. Das bezieht Rabih aus seiner eigenen Biographie, aber auch aus unserer Unterstützung für Mission Lifeline. Er sieht das als eine Möglichkeit von jemandem, der es geschafft hat, sich ein Umfeld zu schaffen, das ihm Raum zur Entfaltung bietet, und der jetzt andere mitziehen, andere beflügeln kann.

Eine soziale Komponente ist euch wichtig?
Reentko Dirks: Das ist es doch, worum es bei Musik eigentlich geht, Menschen begegnen sich und tauschen sich aus. Es gibt auch andere Mittel und Wege, das zu erreichen. Aber Musik funktioniert über Sprachgrenzen und Generationsbarrieren hinweg. Was gibt es tolleres als Menschen zusammenzubringen!
Bernd Gürtler SAX 6/23


Masaa
"Beit"
(Traumton; 28.4.2023)


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Foto: Andy Spyra
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Foto: Pavel Ovsik
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