|   Rezension

Gaye Su Akyol

Anadolu Ejderi

(Glitterbeat)

Sie sei jemand, dem die Dinge, die die Geschichte lehrt, wichtig sind, lässt das Schallplattenlabel im Presseinfo ausrichten. Stoff bietet Gaye Su Akyols Heimatstadt Istanbul im Überfluss, als konfliktbeladene Schnittstelle zwischen den Kulturen und heutige Megametropole eines Landes, das in jüngerer Vergangenheit zunehmend wieder autokratisch regiert wird. Was die Songinhalte angeht, orientiert sich "Anadolu Ejderi" eher an den Gesellschaftsverwerfungen der Gegenwart, vorsichtshalber nicht allzu offensichtlich und verwoben mit einem Sound, der sowohl im Psychedelic Rock als auch in türkischer Folkmusic wurzelt.

Gaye Su Akyol ist die Tochter des Istanbuler Malers Muzaffer Akyol und studiert an der örtlichen Yeditepe-Universität Sozialanthropologie, bevor sie sich als Bandmitglied von Mai, Toz ve Toz oder Seni Görmem Imkansız der Populärmusik zuwendet. Mit "Develerle Yasıyorum" und "Hologram Imparatorlugu" erscheinen 2014/16 die ersten beiden Soloalben.

Türkische Folkmusic wurde zuhause von den Eltern gehört. Deren Künstlerfavoritin unter anderem Selda Bagcan, die, wie Gaye Su Akyol später selbst auch, bei Peter Gabriels WOMAD-Festival auftritt. Ein Schlüsselerlebnis beschert Nirvanas Grunge Rock von "Nevermind" und sorgt für den nahtlosen Übergang zu Nick Cave, Joy Division oder Sonic Youth, bis sie schließlich auf Barıs Manco stößt, einen Vorreiter des Psychedelic Rock, der seit seiner Hervorbringung Mitte der sechziger Jahre durch amerikanische und britische Bands in der Türkei gepflegt wird.

Klar im Vorteil bei ihr ist, wer die türkische Sprache beherrscht. Allen anderen bleiben zumindest bei "Anadolu Ejderi" die englischen Textübersetzungen im Albumbooklet, um eine Vorstellung zu entwickeln, was genau die sorgsam verklausulierten Kommentare zum aktuellen Zeitgeschehen in der Türkei sein könnten.

Wenn es nach einer bedrohlichen Keyboarderöffnung im finalen "Icinde Uyanıyoruz Hakikatin" heißt, "I'm Syd Barrett of Pink Floyd/Brian Jones of Rolling Stones", wäre das eine der fraglichen Textstellen, gedacht sicherlich nicht nur als Metapher für ihr eigenes Selbstverständnis als subkulturelle Nonkonformistin sondern auch als Hinweis auf sie als prominente Stimme der türkischen LGBTQI+-Bewegung. Was Gaye Su Akyol zweifellos ist, unter anderem übernahm sie 2020 eine Rolle in der auf der Biographie der transsexuellen Künstlerin Iris Mozalar basierenden Filmdokumentation "Iris" von Volkan Güleryüz.
BG/TM
 


Gaye Su Akyol
"Anadolu Ejderi"
(Glitterbeat 25.11.2022)


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Foto: Anadolu Ejderi

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