Die älteste Tochter endlich alt genug, dass sie an Talentwettbewerben der High School teilnehmen kann, und singt Blues, ausgerechnet! Die Gegend um West Point, Blueskennern als Black Prairie geläufig, ist zwar ähnlich dem Mississippi Delta weiter im Westen eine Hochburg des Blues, Howlin' Wolf, Bukka White und andere namhafte Genrevertreter stammen von dort. Trotzdem, Blues geht gar nicht, fand Mama Caldwell, denn Blues ist Teufelszeug, gemacht, um ehrbare Mädchen ins Verderben zu stürzen. Was also tun?
Eine Gospelformation rein aus Familienmitgliedern schien die beste Lösung. Einschlägige Erfahrungen lagen vor, zu Beginn der siebziger Jahre war Annie Caldwell Gründungsmitglied der Staples Jr. Singers. Nach Feierabend, wenn das Tagwerk im eigenen Modehaus an der High Street von West Point getan ist, versammeln sich ab sofort Annie, ihre beiden Töchter Deborah und Anjessica, ihre Söhne Willie Jr. und Abel Aquirius sowie Enkelin Toni Rivers, um die Nachbarschaftsgemeinde der Church Of God In Christ mit Gospeldarbietungen zu erfreuen. Aber anders als die Staples Jr. Singers, die das Erbe pflegen, aus dem Mitte der sechziger Jahre der Southern Soul von Otis Redding, William Bell, Eddy Floyd, Sam & Dave und Stax Records erwachsen konnte.
Annie & The Caldwells orientieren sich mehr an zeitgenössischen Populärmusikvorlieben der Töchtergeneration wie The Gap Band, Chaka Kahn oder Bootsy Collins und drehen das Prinzip des Soul ins Umgekehrte. Die Hingabe des Gospel und seine Harmonien dienen selten der Huldigung begehrter oder geliebter Menschen. Eher umgekehrt münden Liebeslieder in Lobpreisungen des Herrn, dargeboten mit einer Kraft, die schlicht aus den Socken haut. Nicht von ungefähr schwärmt das britische Mojo Magazine nach einem Auftritt 2024 beim Guess Who Festival im niederländischen Utrecht von der "most exciting, most dynamic family of faith imaginable". Produziert wurde "Can't Lose My (Soul)" von Ahmed Abdullahi Gallab, besser bekannt als Sinkane.
Bernd Gürtler/TM
Annie & The Caldwells
"Can't Lose My (Soul)"
(Luaka Bop; 21.3.25)
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