|   Rezension

Sierra Ferrell

Trail Of Flowers

(Rounder/Concord)

Eine moderne Jeanne d'Arc womöglich, der ihre Songs Schwert und Harnisch sind beim Streiten auf den Problemfeldern der Gegenwart. Die Tonträgerinszenierung vermeidet jegliche Opernopulenz im Stil Richard Wagners, obschon Frontcovergestaltung und Pressefotos genau das vermuten lassen. Einspielort ist leider aber eben nicht Bayreuths berühmter Grüner Hügel gewesen sondern die Welthauptstadt der Country Music Nashville, Tennessee, die sich gern als Music City schlechthin bezeichnet und dank Sierre Farrell dem eigenen Anspruch ein Stück weit entsprechen kann.

Jimmie Rodgers hat es getan, Woody Guthrie ebenso und Bob Dylan konnte wenigstens zu Beginn seiner Karriere glaubhaft machen, auch er habe Wanderjahre als fahrender Sängerbarde verbracht. Sierra Ferrell trat in die Fußstapfen solcher Vorreiter, als sie sich aus den nicht besonders komfortablen Lebensumständen einer Kindheit in Charleston, West Virginia verabschiedet und fortan als Straßenmusikantin kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten tingelt, oft in bester Gesellschaft der Saisonarbeiter. "I met a lot of kids who follow the harvest seasons, the blueberries in Maine, the peaches in Georgia, and then sugar beets in North Dakota and Montana", verriet sie dem amerikanischen Onlinemagazin Garden & Gun.

Zur regelmäßigen Anlaufstelle wird New Orleans, wo ihr das stets lebendige Jazzerbe ans Herz wachsen sollte. Davon auf "Trail Of Flowers" inspiriert "Chittlin' Cookin' Time In Cheatham Country" aus dem Nachlass von Fiddlin' Arthur Smith, von Sierra Ferrell gecovert als Erinnerung an das düstere Kapitel der Sklaverei. Der Rest changiert zwischen Honky Tonk Country, Old Time String Music, Akustikfolk und den für Virginia charakteristischen Bluegrassanklängen.

Sämtliche Songs sind raffiniert arrangiert und mitreißend erzählt. "Dollar Bill Bar" und "Lighthouse" handeln von den unvermeidlichen Beziehungsangelegenheiten, "Rosemary" steht in der Tradition amerikanischer Mörderballaden, "Fox Hunt" und "American Dreaming" werfen Schlaglichter auf die Sorgen und Nöte kaum privilegierter Alltagsmenschen. Zusammengehalten wird "Trail Of Flowers" von Sierra Ferrells Gesang, der eher dem Chanson ähnelt. Hatte erst kürzlich Beyoncé mit der Singleauskopplung "Texas Hold 'Em Down" klargestellt, dass schwarzen Popdiven ein Platz in der Country Music gebührt, lässt Sierra Ferrell im Windschatten von Kacey Musgraves oder Margo Price anklingen, wie sehr Country noch etwas anderes sein kann als der Sound, der einem unweigerlich den Cowboyhut wachsen lässt. Gelebte Vielfalt das Album, sehr schön!
Bernd Gürtler/TM


Sierra Ferrell
"Trail of Flowers"
(Rounder/Concord; 22.3.24)


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Foto: Bobbi Rich

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