Noch zu Beginn der Nullerjahre war Nashville, Tennessee, ein verschlafenes Nest. Das einzige höhere Gebäude damals war der Firmensitz des Telekomgiganten AT & T und wurde von den Einheimischen wegen bestimmter architektonischer Besonderheiten „Batman Building“ genannt. Heute präsentiert sich die Welthauptstadt des Country als pulsierende Südstaatenmetropole mit einer mehr als imposanten Skyline, einem lärmenden Vergnügungsviertel am unteren Ende des Broadway und mit den Kehrseiten jeder anderen Großstadt, beispielsweise dass sich der Einzelne sehr schnell verloren und einsam fühlen kann.
„Last Of My Kind“, der erste Song auf Nashville Sound berührt genau dieses Phänomen mit der Textzeile: „Nobody here can dance like me, / Everybodyʼs clapping on the one and the three.“, also „Keiner hier tanzt wie ich, / Alle klatschen auf der Eins und auf der Drei.“ Und, hakt Jason Isbell von sich aus ein: „Es geht um Obdachlose, wie sie nichts mit sich anzufangen wissen, tagsüber ziellos umherstreunen, sich abends schlafen legen, und jeder steigt achtlos über sie hinweg. Schwer erträglich für jemanden wie mich, der in einer Kleinstadt aufgewachsen ist.“
Geboren in Green Hill, Alabama, zieht Isbell 2011 nach Nashville. Damals hat er bereits eine Karriere als Songschreiber und später als festes Mitglied der Rootsrockformation Drive-By Truckers hinter sich. Von Alkoholexzessen und Drogenmissbrauch ist ebenfalls die Rede, was hinter ihm zu liegen scheint, wenn die Bemerkung über seinen letzten Plastikbecher richtig guten Rotweins in „Tupelo“ zutreffen sollte. Inzwischen jedenfalls steht mehrheitlich der herausragende Songpoet im Fokus, der sich sicher sein kann, dass Hank Williams oder Johnny Cash ihm anerkennend auf die Schulter klopfen würden, weil er ins Bewusstsein ruft, was Countrymusik eigentlich ist. Eine Volksmusik nämlich, die vom selten unbeschwerten Alltag gewöhnlicher Amerikaner erzählt.
Gerade Nashville Sound liefert reichlich Stoff. „Cumberland Gap“ erinnert an den Niedergang des Kohlebergbaus im nordöstlichen Tennessee an der Grenze zu Kentucky. „Wenn die Jobs weg sind, veröden die Menschen und die Städte“, beklagt Isbell die Situation. Müsste sich das Blatt jetzt nicht aber zum Besseren wenden? Donald Trump wollte doch den Kohlebergbau wiederbeleben. „Mag sein, aber er wird kaum jemanden bewegen können, Kohle zu kaufen, wenn Erdgas billiger ist“, so der Sänger. Nicht uninteressant auch „White Manʼs World“, wo es um Vorurteile gegenüber Menschen schwarzer Hautfarbe oder den amerikanischen Ureinwohnern geht. „Und um Vorurteile gegen Frauen“, ergänzt der Künstler. „‚White Manʼs World‘ meint nicht nur die Welt des weißen Mannes, sondern die Männerwelt generell. Ich versuche rassistische oder geschlechtsbezogene Vorbehalte zu thematisieren, ein generelles Problem, denke ich, nicht nur in den USA, nicht nur in den amerikanischen Südstaaten, wo ich herkomme. Überall auf der Welt werden andere für die eigene Misere verantwortlich gemacht. Deshalb haben Nichtweiße und generell Frauen einen schweren Stand. Sicher, vieles hat sich verändert. Dennoch gibt es noch einiges zu tun.“
Konzerte bestreitet Jason Isbell mit seinem eher nach Rockband klingenden Begleitquintett The 400 Unit, benannt nach der psychiatrischen Abteilung des Eliza Coffee Memorial Hospital von Florence, Alabama. Mitglied der Band ist auch seine Ehefrau, die Violinistin und Sängerin Amanda Shires. Seit 2013 sind die beiden verheiratet und haben seit 2015 eine kleine Tochter.
Bernd Gürtler Folker 6/17
Jason Isbell
"The Nashville Sound"
(Southeastern; 16.6.2017)
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