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"Das großartige Leben des Little Richard" heißt eine kenntnisreiche Biographie zu einem Urgestein der Rockgeschichte

Als Richard Wayne Penniman, wie Little Richard bürgerlich hieß, Anfang Mai 2020 seinem Schöpfer gegenübertrat, sind sich die Nachrufschreiber einig gewesen, dass mit ihm der einzig wahre Erfinder des Rock'n'Roll für immer gegangen war. Geknüpft die Behauptung meist an die Hitsingle "Tutti Frutti". Aber ist der Song mit der berühmten Nonsenseröffnungszeile "A-wop-bop-a loo-bop-a-lop-bam-boom" wirklich der ultimative Urknall gewesen? Was das angeht, bleibt "Das großartige Leben des Little Richard" (Hannibal) seltsam diffus, ergänzt das Gesamtbild jedoch um eine Fülle von Details.

Wer hat's erfunden? Eine spannende Frage, an der sich noch manche Grundsatzdebatte entzünden dürfte. Mitunter hilft ein Blick in die Chronologie. Little Richards "Tutti Frutti" erschien im Herbst 1955, bereits im Frühsommer 1954 Elvis Presleys Debütsingle "That's All Right". Das Original, ein schwarzer Blues von Arthur Crudup, vorgetragen von einem Weißen, der gar nicht erst versucht, die schwarze Vorlage zu imitieren, aber auch keine weiße Variation zum Besten gibt, sondern Elemente beider Welten zu etwas völlig Neuem verschmilzt. Derselbe Unterschied wie zwischen Big Joe Turners, Bill Haleys und Elvis Presleys Version von "Shake, Rattle & Roll". Oder zwischen Little Richards, Pat Boons und Elvis Presleys Version von "Tutti Frutti". 1956, nach Elvis Presleys zweitem und diesmal äußerst skandalträchtigen Fernsehauftritt in der Milton Berle Show, schwappt die Stilistik, die unter dem Etikett Rock'n'Roll gebündelt wird und bislang ein mediales Nischendasein in ausgewählten Hörfunkprogrammen fristete, endgültig in den amerikanischen Mainstream. Sehr zum Vorteil der schwarzen Urgesteine des Genres, in einer streng nach Hautfarbe getrennten und von Weißen dominierten Gesellschaft brauchte es als Türöffner einen Weißen, der in beiden Lagern zuhause war. Komischerweise bleibt Elvis Presley eine Randfigur in "Das großartige Leben des Little Richard".

Nichtsdestotrotz findet sich eine Unmenge kaum weniger erhellendes Material ausgebreitet. Little Richards Kindheit und Jugend, seine religiöse, seine sexuelle Orientierung, seine notorische Exzentrik werden beleuchtet. Wir erfahren, dass der Stilbegriff 'Rock'n'Roll' ursprünglich gar nicht sexuell konnotiert war, sondern im schwarzen Gospel auf eine wirksame Methode hinwies, wie sich gottesfürchtige Sünder effizient den Teufel vom Hals schaffen. Zwischen den Zeilen wird angedeutet, dass es auf Little Richards Betreiben hin geschah, dass die Beatles zuerst von VeeJay, einem im Besitz schwarzer Firmeneigner befindlichen Schallplattenlabels in Amerika veröffentlicht wurden; Little Richard und die Beatles kannten sich von gemeinsamen Auftritten im Hamburger Star Club, und Capitol Records, der US-Ableger des britischen Stammlabels der Pilzköpfe, unterschätzte deren kommerzielles Potential in Übersee zunächst gewaltig.

Selbstverständlich berücksichtigt "Das großartige Leben des Little Richard" seine Berührungspunkte mit Jimi Hendrix und Elton John, sein konsequentes Aufbegehren gegen schwarze wie weiße Abzocker im Musikgeschäft. Das reine Faktenmaterial lässt sich größtenteils im englischen Wikipediaeintrag nachschlagen. Kompakt aufbereitet für die Buchpublikation, vermittelt sich ein Eindruck von Little Richards immenser Bedeutung. Nahezu jeder Rocker, der es in den sechziger und siebziger Jahren zu etwas brachte, verdankt ihm einiges an Inspiration. Als simples Beispiel mag das viertaktige Schlagzeugintro zu Led Zeppelins "Rock'n'Roll" gelten. Das bei Little Richards "Good Golly Miss Molly" abgelauscht war; bei seinem eigenen "Dew Drop Inn", einer Hommage an einen seiner legendären Auftrittsorte in New Orleans, holte er sich seine Idee zurück.
Bernd Gürtler SAX 6/21 


Mark Ribowsky: "Das großartige Leben des Little Richard" (Hannibal; 2021)
 

Foto: Anna Bleker

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