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Tiefsinnige, philosophische Lebensbetrachtungen: Sechzig Jahre Stern-Combo Meißen

Ungebrochen ihre Anziehungskraft, wer hätte es gedacht! Heißt es doch, diese alten, ostdeutschen Rockbands seien lediglich in einer Stellvertreterfunktion unterwegs gewesen, welche sich im Nachspielen erschöpfen und umgehend erledigen sollte als mit dem Wendeherbst 1989 die angloamerikanischen Originale jedermann zugänglich wurden. Ob sich die Langlebigkeit auch dadurch erklärt, dass ihre Musik eben doch eigenständige, kreative Leistungen beinhaltet? Gelegenheit zur Klärung des Sachverhalts bot ein Interviewtermin mit Martin Schreier anlässlich des sechzigsten Gründungsjubiläums seiner Stern-Combo Meißen.

Auch ihr habt nachgespielt, Setlists der frühen Jahre nennen die Beatles, Small Faces, Chicago, Blood Sweat & Tears, The Flock und schließlich den Progressive Rock von Emerson Lake & Palmer. Speziell diese Spielform kombiniert euer "Der Kampf um den Südpol" mit Motown-Soul. Eine unbedingt eigenständige kreative Leistung, einzigartig im angloamerikanischen Vergleich!
"Papa Was A Rolling Stone" von den Temptations ist der Geburtshelfer gewesen, richtig. Geschuldet das Stück aber auch unserer Besetzung damals ohne Gitarre.

Die Rhythmusgruppe aus dir selbst und Bernd Fiedler an Schlagzeug beziehungsweise Bass, spielt den pulsierenden Endlosbeat sicherlich von Anfang bis Ende in einem Stück durch oder? Das sind keine Loops, wie das heutzutage der Fall wäre?!
Nein! Selbst bei höchsten handwerklichen Anforderungen wurde live gespielt, im Studio und auf der Konzertbühne sowieso. Der Freund meiner jüngsten Tochter ist Pianist und kann manchmal kaum fassen, wie raffiniert ostdeutsche Rockmusik aus Vorwendezeiten teils gewesen ist.

"Der Kampf um den Südpol" war eins eurer ersten selbstverfassten Stücke und fehlt auf nahezu keiner der späteren Best-Of-Kopplungen, neben "Der Alte auf der Müllkippe". Auf den ersten Blick grundverschiedene Themen, besteht dennoch ein gemeinsamer Nenner, der sich wie ein roter Faden mehr oder weniger durch das vorläufige Gesamtschaffen der Stern-Como Meißen zieht. Ihr seid auf tiefsinnige philosophische Lebensbetrachtungen aus gewesen. Eure eigene Entscheidung? Oder kam das durch die zumeist externen Songtextautoren?
Ich wollte, dass wir keinerlei Belanglosigkeiten absondern. Das war ein Grundanliegen von Anfang an und wurde mit verschiedenen Songtextautoren umgesetzt. Kurt Demmler schrieb in den Anfangsjahren viele Texte für uns und sofern die Komposition von mir kam, ging das mit inhaltlichen Vorgaben einher. Das betrifft "Der Kampf um den Südpol", "Der weite Weg", "Die Sage", das gesamte zweite Album "Weißes Gold". Mitunter entstanden Texte auch auf Eigeninitiative. Aber jeder, der für Stern-Combo Meißen schrieb, wusste, wir wollten tiefgründig sein.

Der DDR-Kulturpolitik sind Themensetzungen wie bei euch stets willkommen gewesen, konnten aber auch als gesellschaftskritische Ermahnung an den Staat verstanden werden, am offensichtlichsten 1980 bei "Also was soll aus mir werden".
Das war als Gesellschaftskritik gemeint, versteckt zwischen den Zeilen oder eingebettet in historische Themen. Wir wussten natürlich, dass uns offene Kritik schlecht bekommen würde. In den letzten Jahren entspannte sich das etwas, bis dahin unterlagen wir einer strengen Textzensur.

Nicht nur, dass die Besetzung der Stern-Combo Meißen ab Mitte der siebziger Jahre auf Gitarre verzichtete, die Band war überreichlich mit Keyboards ausgestattet. Der originale Covertext zum nach der Band benannten Debütalbum erwähnt ein Mellotron, Hammond Orgel, Clavinet, E-Piano sowie verschiedene Synthesizer, was sich unter anderem auf zwei Mini Moogs bezog.
Zehn Keyboards standen bei uns auf der Bühne, gespielt von Thomas Kurzhals und Lothar Kramer. Dem Publikum bot sich ein beeindruckendes Bild, auch wegen des Schlagwerks. Norbert Jägers Perkussionsapparat war gigantisch! Was das Bühnenequipment angeht, gab es keine vergleichbare Band in der DDR. Das ist eine Marotte von mir gewesen, ich wollte technisch riesig sein!

Bloß ließ sich das meiste eures Equipments nicht im Instrumentengeschäft an der Ecke erwerben!
Ja und nein. Gitarren, Keyboards und Schlagzeug sind Westinstrumente gewesen, auf dunklen Kanälen ins Land gebracht. Sonst wären wir gar nicht spielfähig gewesen.

Die Beschaffung lief über eine Bulgarien-Connection, wie es in verschiedenen Quellen heißt. Was sind das für Leute gewesen?
Bulgarische Musiker, die in Westdeutschland auftreten durften. Aber die Hammond Orgel zum Beispiel konnte ich in Magdeburg auftreiben, bei einem Alleinunterhalter, der das Glück hatte, eins der Instrumente zu ergattern, die als Ausstellungsstücke zur Leipziger Messe gelangten. Nachdem der Mann gestorben war, verkaufte mir seine Witwe die Orgel für 30.000 Ostmark. Das Mellotron, ein Schleifenmellotron, ausgestattet mit Originalchören und Originalinstrumenten, verkaufte mir Günther Fischer.

Kuriose Fußnote der Geschichte, das Album "Weißes Gold" ist eine Referenz an die Porzellantradition eurer Herkunftsstadt. Gleichzeitig diente Meißner Porzellan als beliebtes Tauschgut, um an die Westmark zu gelangen, die es brauchte, um Westinstrumente einkaufen zu können.
Das gehörte zum Repertoire des Instrumentenschmuggels. Wir hatten kein Westgeld und mussten etwas anbieten, das von den Leuten akzeptiert wurde, die uns die Instrumente besorgten. Meißner Porzellan war unter anderem eine beliebte Währung. Aber Lautsprecherboxen, Verstärker und Mischpulte sind auch selbstgebaut gewesen. Ab 1975 war unsere Saalbeschallung quadrophon, eine Sensation damals! Das Mischpult baute Peter Grunwald, ein Dresdner Freund von mir.

Das lässt sofort an Pink Floyd denken, die ebenfalls für quadrophone Saalbeschallung bekannt sind.
Ich durfte Pink Floyd in den achtziger Jahren live erleben, sie nutzten die Quadrophonie für Soundeffekte, mehr nicht. Bei uns war das ein Gestaltungselement der Musik. Unser quadrophones Mischpult hatte vierundsechzig Kanäle und war ausgestattet mit acht Joysticks, so dass sich acht verschiedene Instrumentengruppen oder Einzelinstrumente im Saal platzieren ließen beziehungsweise im Saal bewegt werden konnten. Wir wussten Mitte der siebziger Jahre gar nicht, dass Pink Floyd ähnliches machten. Woher auch, es bestand keine Möglichkeit sich zu informieren. Unsere Quadrophonie war unsere ureigene Idee, genauer die Idee unseres Baritonsaxophonisten und Flötisten Axel Gothe!

Das quadrophone Mischpult von Pink Floyd ist im Londoner British Museum ausgestellt, wo kann man eures bestaunen?
Im Ostrockmuseum Kröpelin an der Ostseeküste. Nach der Wende kam jemand zu mir und fragte nach dem Mischpult, das damals schon in den Keller verfrachtet war. Ich sagte, nimm's mit.

Zu Beginn der achtziger Jahre kamen die Großformen des Progressive Rock aus der Mode. Bedingt auch durch den Erfolg der Neuen Deutschen Welle, wurden wieder kompakte, eingängige Songs verlangt. Bei euch ging das mit der Namensverkürzung auf Stern Meißen einher und einer Umbesetzung, die Staub aufwirbelte. Für Reinhard Fißler kam Ralf Schmidt als neuer Sänger in die Band.
Wir sind Profimusiker gewesen und wenn wir das bleiben wollten, mussten wir uns entsprechend der Publikumsbedürfnisse verändern. Was uns mit dem Album "Stundenschlag" passabel gelungen war, noch mit Reinhard Fißler als Sänger. Aber dann hat er sich unvernünftigerweise seine Stimme ruiniert, ist nebenher mit einem Trio aufgetreten, erkältete sich, fing sich einen Infekt ein, den er nicht auskurierte. Grauenhaft mit ansehen zu müssen, was mit ihm passierte. Wirklich schlimm, aber das war der Hauptgrund, weshalb wir ihn durch einen anderen Sänger ersetzen mussten.

Reinhard Fißler ist nach der Wende zur reformierten Stern-Combo Meißen zurückgekehrt und 2016 an den Folgen einer ALS-Erkrankung verstorben. Wie seid ihr mit ihm auseinandergegangen?
Als er wieder zu uns stieß, passten wir uns seinen stimmlichen Möglichkeiten an, die Stücke wurden nach unten transponiert. Wir hatten ein gutes Verhältnis, keiner war nachtragend. Seine gesamte Krankheit über begleiteten wir ihn, nahmen Anteil bis zum Schluss. Insofern könnte man sagen, wir haben die Kurve gekriegt.

Euer gegenwärtiger Sänger heißt Manuel Schmid. Mit ihm entstand ein neues Album, das ein Stück zur Himmelsscheibe von Nebra enthält, nach einem Songtext von Joachim Krause.
Es ist kein Konzeptalbum wie "Weißes Gold" oder "Reise zum Mittelpunkt des Menschen", enthält aber eine längere Komposition, die ich sehr gelungen finde. Auch der Text von Joachim Krause gefällt mir. Erstaunlich, wie ein junger Mann wie Manuel Schmidt unsere Art von Rockmusik verinnerlicht hat. Sogar das alte Stammpublikum ist begeistert. Hätten wir ihn nicht gefunden, würden wir gar nicht mehr auftreten.
Bernd Gürtler/TM


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Foto: Marc Opre

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