Fünfzig Jahre City. Überrascht es dich, dass die Band so lange Bestand hatte?
Eigentlich nicht. Wir sind durch schwere Wetter gegangen, andere warfen das Handtuch. Wir sagten uns in solchen Momenten, wir machen weiter, nichts hält uns auf.
Aber als nach dem Mauerfall im Wendeherbst 1989 die angloamerikanischen Rockoriginale für jedermann in der DDR zugänglich wurden, ging die Begeisterung für Ostbands rapide gegen Null. Das ist ein gravierender Einschnitt gewesen.
Als die Grenzen öffneten, war unser Gedanke nicht, herrje, was soll bloß werden. Jahrelang mussten wir nach der Pfeife anderer tanzen. Jahrelang mussten wir betteln, dass wir uns selbst managen, selbst entscheiden dürfen, in welchem Studio wir aufnehmen. Plötzlich taten sich Möglichkeiten auf, und die wollten wir nutzen. Unser Sänger Toni Krahl und ich hatten bereits in Vorwendezeiten K&P Music gegründet, das erste unabhängige Schallplattenlabel der DDR. Das überhaupt einzige Schallplattenlabel der DDR bis dahin, Amiga, bot sich uns zum Kauf an nach der Wende. Dort hatten sie keinen Schimmer, was sie tun sollten. Das war der größte Witz! Bei der Gelegenheit schafften wir es sogar, Amiga die Songs abzuluchsen, die exklusiv von uns dort lagen. Niemandem sonst gelang das.
Eine Rockband am Laufen zu halten, gestaltete sich erst recht zu DDR-Zeiten schwierig. Welche Überlebensstrategien von damals halfen, die Herausforderungen der Nachwendejahre zu meistern?
Wir waren vom ersten Tag an fleißig was das Proben angeht und beschlossen nach einer Phase des Nachspielens, dass wir eigene Songs brauchen. Nachspielen angloamerikanischer Originale, das macht man, um das Alphabet des Rock zu lernen. Man geht zur Schule, keinem bleibt das erspart. Aber wenn man nachspielt und das Publikum applaudiert, ist das geborgter Applaus, der den Originalen gilt. Wir sind nur Stellvertreter. Und das Verrückteste war, weder das Publikum noch wir konnten vernünftig Englisch. Wie soll sich eine Beziehung aufbauen zwischen Band und Publikum, wenn weder auf noch vor der Bühne verstanden wird, worum es in den Songs geht. Nach zwei Jahren als Stellvertreter von Led Zeppelin, Deep Purple oder Santana, begannen wir mit eigenen Songs. Wir wollten aussprechen, was die Menschen in Dresden oder Riesa bewegt.
Eine unverstellte Alltagswahrnehmung war von Anfang an eins eurer Markenzeichen. Songs vom Debütalbum "Am Fenster" wie "King vom Prenzlauer Berg", "Traudl" oder "Meister aller Klassen" sind Milieustudien abseits der offiziellen DDR-Propaganda gewesen.
Richtig.
Später liefern "Unter der Haut" und "Casablanca", eure beiden Albumklassiker aus den Achtzigern, beredte Stimmungsbilder von der erdrückenden Schwere, die sich inzwischen über das Land gelegt hatte und nur noch Stillstand verursachte.
In den achtziger Jahren tröpfelte die Zeit buchstäblich aus der Tapete. Egal wo man hinkam, die Leute redeten nur noch über das Eine, dass es so nicht weitergehen kann. Dazu wollten wir Stellung beziehen und nicht mit irgendeinem leere Gerede.
Sind manchmal Konzertbesucher nach dem Auftritt gekommen, um eure Songs zu debattieren?
Dazu bestand keinerlei Notwendigkeit, nichts von dem, worüber wir sangen, war ausgedacht. Es war poetisch verpackt, aber die Leute verstanden sofort. Wenn es hieß "Wand an Wand" ging es nicht um eine Liebe im Hochhaus, sondern Wand an Wand an der Berliner Mauer.
Es kam nie jemand und meinte, Mensch, was ihr euch traut!?
Nein, unser Publikum und wir befanden uns auf derselben Wellenlänge. Zu DDR-Zeiten war es üblich, dass Ostbands bei der Nationalen Volksarmee auftraten, das wurde von einer eigenen Agentur organisiert. Ich erinnere mich an ein Konzert vor Offiziersschülern auf einem Marinestützpunkt in der Nähe von Rostock. 1988/89 ist das gewesen, der Saal rappelvoll, wir spielten "Berlin". Offiziell durfte der Song nicht "Berlin" heißen. Wegen der Siebenhundertfünfzigjahrfeier Ostberlins musste alles was die Hauptstadt betraf, über das Büro von Erich Honecker gehen. Deshalb nannten wir den Song "Zum Beispiel Susann", die Anfangsbuchstaben rückwärts ergaben "Sowjetische Besatzungszone". Hat keiner gemerkt, aber der Songtext beschreibt die geteilte Stadt. Und ich schwöre, diese Offiziersschüler brüllten 'Die Mauer muss weg'. Der Laden tobte. Ich schaute zu Toni rüber und dachte, was passiert jetzt. Der Kulturoffizier, der uns engagiert hatte, kam nach dem Konzert an und meinte, aber heute war ja was los!
Sowas konnte schiefgehen, wenn die Staatssicherheit Wind von der Sache bekam.
Zuträger waren immer im Publikum, aber unsere Devise lautete, souverän auf dem Drahtseil. Wir versuchen etwas, wenn wir eins auf die Mütze kriegen, auch gut. Wir sind sowieso keine Vorzeigemusikanten gewesen. Toni hatte wegen staatsfeindlicher Hetze eine dreijährige Haftstrafe verbüßt. Aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, verteilte er vor der Sowjetischen Botschaft in Ostberlin Flugblätter. Und ich war nie in der FDJ, nie in der Partei. Ich kam aus einem bürgerlichen Elternhaus, ohne jede Chance, studieren zu dürfen. Durch "Am Fenster", das auch im Westen hervorragend lief, waren wir zu Devisenbeschaffern geworden. Also dachten die sich, lasst sie machen. Wir durften sogar in Westberlin, in Westdeutschland und Griechenland auftreten, Leute, die unter normalen Umständen niemals hätten dort auftreten dürfen.
Weil ihr der DDR Devisen einbrachtet, deshalb wart ihr geschützt?
Sicher, und wegen unserer Popularität. Über uns wurde in den Achtzigern häufig in "Kennzeichen D" berichtet. Wie Toni immer sagte, wenn sie uns einbuchten, wird das eine Meldung in der Tagesschau.
Euer erstes Nachwendealbum hieß "Keine Angst" und enthielt die Coverversion eines Songs von Jimi Hendrix. Sein "Hey Joe" bekam bei euch einen deutschen Text und wurde zu "Der alte Klempner". Der Song porträtiert einen Neonazi.
Erstaunlich, dass wir den deutschen Text machen durften, der nebenbei bemerkt oft missverstanden wurde.
Inwiefern?
Angeblich war es eine fiese Unterstellung von uns, dass braunes Gedankengut auch in der DDR überlebt hatte. Laut offizieller Lesart lebten Neonazis bloß in Westdeutschland. Dabei gab es solche Leute auch im Osten, die wurden bloß todgeschwiegen. Aber gerichtet war der Song an Westdeutschland wie Ostdeutschland gleichermaßen.
Die nächsten drei Studioalben "Rauchzeichen", "Silberstreif am Horizont" und "Yeah! Yeah" Yeah!" enthalten Kommentare zu den Problemfeldern der Nachwendezeit mit deutlicher Sympathie für Ostdeutschland. Musstet ihr euch danach den Vorwurf gefallen lassen, Jammerossis zu sein?
Es hat dazu geführt, dass wir lebenslanges Verbot bei Radio Eins haben. Der Song "Schwestern & Brüder" zum Beispiel. Beim Sender hieß es, ach nee, wir verstehen uns in der Redaktion so gut, wir wollen lieber nichts riskieren. Eigentlich geht es darum, Brüder und Schwestern, bringt uns Ossis und unserer Lebensleistung mehr Respekt entgegen, sonst kommt jemand und nutzt den Frust für andere Zwecke. Genau das ist passiert, siehe Pegida, siehe AfD. Obwohl klar war, dass wir keinen zurücklassen dürfen, wenn die Wiedervereinigung gelingen soll, sind sie bei Radio Eins eingeknickt.
Wenn du an euren verstorbenen Schlagzeuger Klaus Selmke denkst, was kommt dir in den Sinn?
Wir kannten uns aus dem Ostberliner Rockunderground von Aushilfsjobs für andere Bands. Wir nannten das unser Telefonorchester. Irgendwann wollte ich eine eigene Band. Der Erste, den ich fragte, war Klaus Selmke. Er brauchte keine Nanosekunde, um zuzusagen. Ohne Klaus und seinem unerschütterlichen Glauben, dass es immer weitergeht, hätte die Band nicht überlebt. Ohne Klaus werden wir kein neues Kapitel aufschlagen, es geht einfach nicht.
Nach den beiden Konzerten Ende Dezember in Berlin ist Schluss?
Wir verschwenden im Augenblick keinen Gedanken an die Zeit danach. Unsere gesamte Energie fließt in die letzten Konzerttermine, es gibt ein Doppelalbum, eine Bandbiographie. Und ganz ehrlich, was soll nach fünfzig Jahren noch kommen?
Das Doppelalbum, "Die letzte Runde" betitelt, enthält eine weitere Version von "Am Fenster". Nach wie vor rätselt die Welt, was das Gedicht von Hildegard Maria Rauchfuß, das dem Song zugrunde liegt, mitteilen wollte.
Hildegard Maria Rauchfuß war Heimatvertriebene, geboren 1918 in Breslau. Sie erzählte, ihr Gedicht sei eine Sehnsuchtsphantasie. Für uns war es ein Geschenk des Himmels.
Und die Bandbiographie, die nicht zufällig mit "Einmal wissen, dieses bleibt für immer" nach einer Schlüsselzeile aus "Am Fenster" benannt ist, bist du zufrieden?
Es ist das bislang beste Buch über City, und wer es nicht so mit den Buchstaben hat, der ist froh über so und so viele bunte Bilder.
Bernd Gürtler SAX 9/22
City
"Letzte Runde"
(Electrola; 1.4.2022)
Christian Hentschel: "Einmal wissen, dieses bleibt für immer" (Rotbuch; 2022)
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