|   Rezension

The Divine Comedy

Rainy Sunday Afternoon

(Divine Comedy Records ltd/PIAS)

Großbritanniens Tradition der Music Hall gehört zu Land und Leuten wie Schwarztee mit Milch oder Fish & Chips. Hin und wieder zeigt das Phänomen eine Präsenz, dass es auffällt. "Rainy Sunday Afternoon" von Neil Hannons The Divine Comedy darf als solch ein Moment gelten.

Neil Hannon selbst hält jeglichen Vergleich seiner Band mit der britischen Music Hall eher für unangebracht und verweist auf Scott Walker als wichtigstes Vorbild. Aber war er nicht an "Twentieth-Century Blues: The Songs Of Noël Coward" beteiligt, einem prominent besetzten Tributealbum für den Übervater der zeitgenössischen Music Hall? Von Noël Coward reichen die Verbindungen bis hin zu den Beatles, den Kinks, den Small Faces, Pink Floyds Syd Barrett, XTC oder Blur. Was ihnen mit Noël Coward gemeinsam ist, sind die zumeist sehr genau gezeichneten, jeweils in konkrete Situationen gestellten Songfiguren, orchestriert im Stil der Rummelplatzmusik oder des Kabaretts. Eigenschaften sämtlichst, die auf The Divine Comedy zutreffen.

Siehe "Achilles", der Eröffnungssong zu "Rainy Sunday Afternoon", mit Anleihen bei "Achilles In The Trench", einem Gedicht des Briten Patrick Shaw-Stewart, verfasst in Erwartung seiner Verschiffung als Angehöriger der Royal Naval Division nach Gallipoli, um hineingeworfen zu werden in das, was im englischen Sprachgebrauch unter dem Euphemismus Dardanelles Campaign in die Geschichte einging und zu den grausamsten Schlachten des Ersten Weltkriegs zählt. Seinen Urahn der griechischen Antike fragt der Autor, "Was it so hard, Achilles/So very hard to die?" Neil Hannon übernimmt die Zeile leicht abgewandelt in seinen Song.

Das Titelstück zu "Rainy Sunday Afternoon" erörtert die verstörende Weltlage der Gegenwart. "Mar-a-Lago By The Sea" zeichnet ein bissiges Porträt des amtierenden US-Präsidenten, wenn es heißt "Cheating losers on the greens/Swapping wives for beauty queens/Making turgid wedding speeches/Entertaining fascist leeches". Es gibt Kurioses wie "The Man Who Turned Into A Chair", oder das anheimelnde "All The Pretty Lights", das sich rühmen darf, der erste Weihnachtssong des Jahrgangs 2025 zu sein. Zu Ende geht "Rainy Sunday Afternoon" versöhnlich. Das finale "Invisible Thread" erfreut mit Textzeilen wie "Now go, spread your little wings and fly/Smile, you don’t need a reason why", gerichtet eigentlich an Neil Hannons Tochter, die bei dem Song seine Gesangspartnerin ist, aber universell anwendbar auf jede Altersgruppe und Lebenslage. Eine nachdenkliche, opulent arrangierte Songkollektion nicht nur für verregnete Sonntagnachmittage.
Bernd Gürtler/TM


The Divine Comedy
"Rainy Sunday Afternoon"
(Divine Comedy Records Ltd/PIAS 19.9.25)


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Foto: Westenberg

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