|   Rezension

The The

Ensoulment

(Ear Music)

Wenn Du diese Worte kennst, bist Du alt! Medienrubriken mit solcherlei Überschriften sind jedem schon begegnet. Wer auf Anhieb The The einzuordnen weiß, gehört sehr wahrscheinlich auch nicht mehr zu den Jüngsten. Die Projektformation um den gebürtigen Briten Matt Johnson erlebt ihre beste Zeit Anfang der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre. Dann verliert sich die Spur nach und nach. "Ensoulment" markiert ein fulminantes Comeback!

Die Alben, die den Ruf als Hervorbringer extravaganter Populärmusik begründen, sind "Soul Mining", "Infected", "Mind Bomb" beziehungsweise "Dusk". Plus "Hanky Panky" selbstredend, wegen der nach damaligen Maßstäben verblüffend modernen Coverversionen eines guten Dutzend Songs aus dem Nachlass von Countryikone Hank Williams. Mehrere Soundtracks sollten folgen, unter anderem zum Krimithriller "Hyena". Songalben entstehen zwar weiterhin, erscheinen zunächst bloß leider nicht, weil das Schallplattenlabel kaum kommerzielles Verwertungspotential erkennen kann.

Private Katastrophen bleiben nicht aus. Matt Johnsons jüngerer Bruder Eugene stirbt, dann Andrew, der ältere Bruder, der die Covergestaltung bei The The besorgt hat. Der Tod der Eltern ist zu bewältigen. Matt Johnson selbst findet sich im Frühjahr 2020 im Krankenhaus wieder, ein Abszess in seinem Rachenraum verlangte nach operativer Behandlung. Unklar damals, ob er den Eingriff überhaupt überlebt. Aus der Vollnarkose erwacht, als sich seine Heimatstadt London mitten im Coronalockdown befindet, notiert er noch unter Morphiumgaben halb weggetreten den Songtext zu "Linoleum Smooth To Stockinged Foot", das sich mit Biosicherheit, sprich den Maßnahmen beziehungsweise ihren Auswirkungen befasst, die während der Pandemie durch den Staat ergriffen wurden.

Ein Großteil der übrigen Songs handelt vom Ausverkauf humanistischer Grundwerte, verschärfter sozialer Ungleichheit, grassierender Einsamkeit trotz zahlloser, digitaler Anbahnungsplattformen, von durchgeknallten Präsidentschaftsanwärtern, der Furcht vor dem Verlust der Privatsphäre, dem Unheil, das Fake News in einer sowieso überkomplexen Wirklichkeit anrichten. "Ensoulment" wäre kaum zu ertragen, bildete nicht die Musik als solche ein Gegengewicht. Entsprechend dem Albumtitel, wirkt das Gesamterscheinungsbild buchstäblich beseelt. Auf obligatorische Pausen zwischen den Songs verzichtet das Album und bildet stattdessen einen einzigen, weiten Spannungsbogen, so dass die geneigte Hörerschaft eintauchen und sich bestens aufgehoben fühlen kann. Zeitgenössische Populärmusik, wie sie die Welt braucht und zwar genau jetzt!
Bernd Gürtler/TM


The The
"Ensoulment"
(Ear Music; 6.9.24)


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Foto: Gerald Jenkins

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