Genauso ist es, in beiderlei Hinsicht. Seinen Geburtsjahrgang 1940 teilt Thomas John Woodward, wie er bürgerlich heißt, mit John Winston Lennon, dem Sohn eines Schiffsstewards aus der nordenglischen Hafenmetropole Liverpool, der bei seiner Tante aufwächst, weil sein alter Herr ihn sitzen lässt und die Mutter bei einem Autounfall ums Leben kommt.
Beide stammen sie aus proletarischen Verhältnissen. Beide begeistern sie sich für den Rock'n'Roll der fünfziger Jahre und schwarzen Rhythm & Blues, nennen Chuck Berry, Little Richards oder Fats Domino beziehungsweise Bill Haley, Jerry Lee Lewis und Clyde McPhatter als Vorbilder. Und Elvis selbstverständlich, mit dem sie später getrennt voneinander zusammentreffen sollten.
Jedoch ist John Lennon Absolvent einer britischen Art School und durchläuft mit den Beatles Anfang der sechziger Jahre mehrere längere Engagements in Hamburg. Nicht von Ungefähr bezeichnet Buchautor Alan Clayson die Hansestadt an der Elbmündung im Titel einer seiner Publikationen als "The Cradle Of Britisch Rock". Neu geschaffene Musikklubs im Rotlichtmilieu der Reeperbahn bieten jungen britischen Bands genau den Freiraum, den es braucht, um Ansätze für einen eigenen Sound zu entwickeln.
Oder einfach ordentlich die Sau rauszulassen, denn das wachsame Auge der Autoritäten zu Hause reicht längst nicht bis Hamburg.
Verheiratet und Vater geworden, ist John Lennon das erste Mal 1962/63. Währenddessen Tom Jones damals bereits fünf, sechs Ehejahre hinter sich und einen ebenso alten Sohn hatte. Ihm blieb gar keine Wahl, er musste seine junge Familie ernähren, schuftet als Handlanger auf dem Bau, arbeitet in einer Lederfabrik, als Anlagenfahrer in der Papierherstellung und wird Staubsaugervertreter. An den Wochenenden tingelt er als Frontmann der Lokalhelden Tommy Scott & The Senators durch die Arbeiterklubs und Pubs der Region. Erst als das Singen mehr abwirft als andere Jobs, macht er sein Hobby zum Beruf.
1964 entstehen in London unter Aufsicht keines Geringeren als Joe Meek erste Demoeinspielungen. Etwa um dieselbe Zeit tritt Gordon Mills in sein Leben. Der Mann ist gebürtiger Waliser wie Tom Jones, brachte es als praktizierender Musiker mit seinen The Viscounts zu bescheidenem Ruhm und hat sich als Songschreiber versucht. Jetzt will er ins Management einsteigen, was eine weitsichtige Entscheidung sein wird. Als Geschäftsmann hat Gordon Mills den richtigen Riecher, und erzielen lassen sich die besten Deals eben mit einer Unterhaltungsmugge, weniger gerichtet an rebellische Teenager und junge Twens, die den Umsturz planen, als an ein schon etwas älteres, etabliertes Publikum, das auf gediegenes Entertainment aus ist.
Es bestand immer noch ein gravierender Unterschied beispielsweise zu Engelbert Humperdinck, eher war Tom Jones vom Kaliber einer Dusty Springfield oder Petula Clark. Aber die Richtung ist sonnenklar und zahlt sich aus. Voller Stolz berichtet er in seiner Autobiographie von den eins ums andere Mal komfortableren Wohndomizilen, die er für sich und seine Familie, seine Eltern und die Schwiegereltern erwerben kann.
Doch irgendwann ist die Kuh gemolken. Selbst in Las Vegas werden die Spielstätten wieder kleiner und teils zwielichtiger, die Gagen schmaler. Eine Handvoll Achtungserfolge lassen sich noch einfahren, die ihm einen gewissen Coolnessfaktor verschaffen. Ende der achtziger Jahre mit "Kiss", einer vom britischen Elektroquartett The Art Of Noise aufgepeppten Prince-Nummer. Zehn Jahre drauf gefolgt von "Burning Down The House" aus dem Repertoire der Talking Heads, eingespielt mit den Cardigans. Das geschwind nachgelegte "Sex Bomb" versteht sich als ironischer Kommentar auf sein Image als dauerpotentes, allzeit kopulationswilliges Sexsymbol, dem weibliche Konzertbesucher ihre soeben noch getragenen Schlüpfer auf die Bühne werfen.
Aber eine Musik, die gemacht werden muss, weil es dem Künstler um Leben und Tod geht, ist das nach wie vor nicht. Etwas in der Art entsteht erst 2010 beziehungsweise 2015 mit den beiden von Ethan Johns produzierten und teils in Peter Gabriels Real World Studios entstandenen Alben "Praise & Blame" sowie "Long Lost Suitcase". Hätten die Rolling Stones sich angehört, wie dort uralter Gospel und Blues von Sister Rosetta Tharpe, Jessie Mae Hemphill, John Lee Hooker, Willie Dixon oder Billy Boy Arnold hingerotzt wird, sie hätten sich ihr stinklangweiliges "Blue & Lonesome" verkniffen. Respekt alter Mann, die Kurve doch noch gekriegt. "Praise & Blame", das von Kritikern mit Elvis Presleys Comebackalbum "From Elvis In Memphis" und Johnny Cashs "American Recordings"-Serie verglichen wurde, ist dann auch zusammen mit "Long Lost Suitcase" die Scheibe, die man, sofern man überhaupt noch physische Tonträger erwirbt, gut haben kann. Neben der Werkschau "Greatest Hits Rediscoverd" vielleicht. Der Künstler selbst empfiehlt darüber hinaus "Tom Jones Live! At The Talk Of Town" aus dem Jahr 1967, da entstanden unter Mitwirkung ehemaliger The Senators-Mitglieder. Das allermeiste vom Rest lenkt tatsächlich ab von dem, was Tom Jones gern gewesen wäre oder hätte sein können, wenn sich für ihn die Weichen nicht anders gestellt hätten.
Bernd Gürtler SAX 7/17
Tom Jones: "Over The Top And Back" (Heyne; 2016)
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