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Wo die Liebe hinfällt: Götz Alsmann widmet sich einem Thema, das so uralt ist wie die Menschheit

Der italienische Schauspieler Gino Cervi, neben Fernandel zweite Hauptfigur in der fünfteiligen Filmsaga "Don Camillo", wollte zu der Erkenntnis gelangt sein, dass Liebe auf den ersten Blick die am weitesten verbreitete Augenkrankheit ist! Solcherlei Geistesblitze finden sich zuhauf überliefert, neben Myriaden von Liedern über die Liebe. Eine Auswahl aus dem deutschsprachigen Schlagerfundus hat Götz Alsmann für sein Album "L.I.E.B.E" (Blue Note) neu interpretiert. Mit dem gewohnten Kennerblick, der studierte Germanist, Publizist und Musikwissenschaftler, im Hörfunk auch als Moderator von Spezialsendungen unterwegs, weiß, was er tut.

Das weltweite Populärmusikaufkommen der Vergangenheit und Gegenwart betrifft überproportional die Liebe. Irgendeine Idee weshalb?
Ich glaube, dass die Liebe etwas ist, das jeder schon erfahren hat. Selbst diejenigen, die sie nicht erfahren durften, träumen von der Liebe. Und diejenigen, die unschöne Erlebnisse mit der Liebe verbinden, haben wenigstens ein Thema, über das sie singen können. Es gibt nur wenige Musikkulturen, wo die Liebe nicht zentraler Gegenstand von Liedern ist. Vielleicht in Kulturen, die keine Unterhaltungsmusik sondern nur Ritualmusik kennen. Alle anderen Kulturräume widmen sich der Liebe, ob das arabische Liebesgesänge sind oder europäische Volkslieder. Die Liebe, das Zwischenmenschliche, das hormonell gesteuerte, ist eine starke Triebfeder für alles Mögliche, auch für die Musik.

Ist nicht aber zum Beispiel das Essen mindestens ebenso wesentlich für die menschliche Existenz, von jeher?
Über das Essen gibt es eine Menge schöner Lieder, die haben dann aber doch eher etwas Humorvolles. Es sind die Lieder mit der kabarettistischen Note, die sich mit etwas anderem als der Liebe beschäftigen.

Die Liebe scheint also von noch fundamentalerer Bedeutung?
Ich denke schon, wenn man sich als Pubertätsbengel daran macht und erste Lieder schreibt, imitiert man die Liebesgefühle, die man aus älteren Liedern kennt. Auf diese Art und Weise setzt sich das fort, von Generation zu Generation.

Dein Album enthält ausschließlich deutschsprachigen Schlager älteren Jahrgangs, was das Repertoire von vornherein reduziert. Nichtsdestotrotz steht noch reichlich Auswahl zur Verfügung. Stellt sich die Frage nach deinen Auswahlkriterien.
Erstmal muss mir das Lied als solches gefallen. Ist das ein Text, den ich schmerzfrei singen kann? Die Liedtexte sollten nicht nur ein hübsches Sentiment transportieren können, sie sollten auch Humor haben, ein gewisses Augenzwinkern, einen verblüffenden Reim, eine hübsche Schlusspoente. Das ist bei den ganz alten Schlagern eher der Fall, weil die von erfahrenen Textdichtern verfasst wurden. Die haben ganze Revueprogramme und Operettentextbücher geschrieben. Früher hat man ja nicht gesagt, ich schreib' jetzt mal einen Schlager, sondern man bekam einen Auftrag für eine Bühnenproduktion mit zehn, zwölf Songs. Daraus resultieren ganz andere Ansprüche an die Liedtexte. Das ist der eine Aspekt, ein anderer die rein musikalische Ebene. Lohnt es, ein Stück mit einem neuen Arrangement zu versehen? Wie würde das klingen, wenn meine Band das spielt? Wie wirkt das, wenn ich es singe? Passt das zu meiner Art? Zu meiner Stimme? Nach und nach ergeben sich verschiedene Ausschlusskriterien, und dann bleiben nur noch ein paar tausend Lieder übrig.

Mit "Du darfst mir nie mehr rote Rosen schenken", "Amigo" und "Unter den tausend Laternen" stammen drei Kompositionen auf "L.I.E.B.E" aus der Feder von Michael Jary. Nicht das erste Mal, dass du dich seiner annimmst. Wie kommt's?
Er versteht es, den Hörer am Beginn eines Stücks mit einer fast volksliedhaften, positiv gemeinten Einfachheit in Sicherheit zu wiegen, um dann mit einem ganz besonderen Dreh die Sache anzuheizen. Zudem hatte er geniale Textdichter an seiner Seite, die dem Ganzen mit einer gut gemachten Textpoente eine verblüffende Wendung gaben. Michael Jary war nicht von Ungefähr der erfolgreichste Komponist seiner Generation, mit hunderten von Hits. An seinem Katalog kommt keiner vorbei.

Wie entstehen deine Arrangements? Oder anders gefragt, in "Du darfst mir nie mehr rote Rosen schenken", das ist ein Bo-Diddley-Beat oder?
Richtig.

Der durch das Original nicht andeutungsweise vorweggenommen wird!
Nein, überhaupt nicht. Meine Arrangements haben mit dem Original in der Regel nichts zu tun. Das Lied stammt aus den Dreißigern und ist ursprünglich als langsamer Foxtrott angelegt. Das ist das Schöne an Michael Jarys Kompositionen, dass sie sich auf nahezu jede Art spielen lassen. Als Tango, als Bebop, als Mambo, alles kein Problem. Und dieser Bo-Diddley-Beat, den habe ich das letzte Mal 1982 verwendet. Sehr lange her, von daher fand ich, dass es mal wieder an der Zeit war.

Wenn du deine Auswahl für ein Albumprojekt triffst, stützt du dich dann auf deine eigene Schallplattensammlung?
Meine Schallplattensammlung und Notenblätter. Ich habe auch sehr viele Notenblätter aus alter Zeit zusammengetragen, dort finden sich immer wieder erstaunliche Anregungen. Ich tauche sehr tief ein in ein Thema.

Du bist nicht nur Musiker, sondern eben auch als leidenschaftlicher Schallplattensammler bekannt. Lohnt Schallplattensammeln überhaupt noch? Wird doch inzwischen alles auf einschlägigen Musikplattformen im Internet angeboten.
Nein, das ist so eine einfache Wahrheit, die schlicht nicht zutrifft. Das Internet bietet wahnsinnig viel, aber nicht alles!

Was sind deine aufregendsten Entdeckungen der letzten Zeit gewesen?
Ich habe mir einiges an frühen Jazz-LPs zugelegt, von winzigen Labels, die es manchmal nur auf eine Veröffentlichung brachten. Ungeheuer interessante Scheiben, die nie wiederveröffentlicht wurden und schon seinerzeit völlig an der Wahrnehmung von Publikum und Musikkritik vorbeigegangen sind.

Zum Beispiel?
Das John Plonsky Quintet, die Combo eines Trompeters, der in der New Yorker Studioszene über Jahrzehnte der erste war, der angerufen wurde. Ein einziges Mal bekam er die Chance, unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen. Dieses eine Album, "Cool Man Cool" von 1957, an dem ein Jazzakkordeonspieler beteiligt war, das ist seine Duftmarke gewesen, und niemand hat's zur Kenntnis genommen. Trotz einer eigentlich sehr erfolgreichen Musikerkarriere.

Im Hörfunk verknüpfst du deine Moderatorenrolle erfolgreich mit dem Schallplattensammler, knapp zehn Jahre lang als Professor Bop. Eine Figur, die inzwischen beerdigt scheint.
Nicht beerdigt, das war einfach ein Pseudonym, das ich für einige Zeit benutzt habe. Ich bin nach wie vor auf Sendung, jeden Montag bei WDR4 mit "Go Götz Go", samstags auf WDR3 mit einem jazzorientierten Zweistundenspecial. Die Themen sind zugegeben nicht immer rundum exotisch, werden aber zu einhundert Prozent aus meiner Sammlung bestritten.

Deine eigenen Albumveröffentlichungen sind zumeist unter einen Themenschwerpunkt gestellt, siehe die populärmusikhistorischen Städteporträts "In Paris", "Am Broadway" und "In Rom". Oder deine Hommage ans Vorstadtkino mit "Filmreif", der Ausflug ins Exotische und Skandalumwitterte bei "Tabu!". Lässt sich deine Musik thematisch sortiert besser dem Publikum vermitteln?
Das ist in der Tat so, die Vermittlung ans Publikum ist der entscheidende Punkt. Es macht keinen Sinn, zu sagen, das sind neue, schöne Lieder, gesungen und gespielt von Götz Alsmann und seiner Band. Und dann kommt das nächste Album und es heißt, das sind noch schönere Lieder, noch schöner gesungen und gespielt von Götz Alsmann und seiner Band. Das ist kaum greifbar, deshalb finde ich ein Generalthema fast unerlässlich, um noch ein bisschen auf sich aufmerksam zu machen in der Branche. 

Dein Album "L.I.E.B.E" erscheint als gewöhnliche CD mit siebzehn Songs, als Deluxe-Doppel-CD sowie vinyles Doppelalbum mit jeweils zwanzig Songs. Sind diverse Formate die einzige Möglichkeit, heutzutage mit physischen Tonträgern noch Geld zu verdienen?
Da musst du die Schallplattenfirma fragen. Ich denke aber, dass die CD demnächst vom Markt verschwindet. Gelegenheitshörer werden Streamingangebote nutzen und Liebhaber sich die Vinylversion zulegen, ähnlich Büchernarren, die eine gebundene Ausgabe bevorzugen.

Der Titelsong zu "L.I.E.B.E" stammt von Bert Kaempfert, der parallel zu deinem Album mit "Today & Yesterday: The Bert Kaempfert Anthology" bedacht wurde, einer weiteren Werkschaukollektion. Was ist das Besondere an seiner Musik?
Es ist kein Zufall, dass Bert Kaempfert Anfang der sechziger Jahre populär wurde. Er verstand es, den großorchestralen Unterhaltungssound der fünfziger Jahre, der später als Easy Listening bezeichnet wurde, gekonnt zu reduzieren. Das war ein Konzept bei ihm, das er sehr lange durchhielt. Er warf die Opulenz eines Nelson Riddle oder Henry Mancini über Bord und ersetzte sie durch eine verblüffende Einfachheit. Zwar gab es bei ihm nach wie vor Streicher, aber Summchöre kamen hinzu, außerdem kaprizierte sich das Ganze meist auf ein, zwei Solisten, gewöhnlich die Trompeter, so dass die Arrangements zugänglicher wirken. Es führt eine direkte Traditionslinie von Nelson Riddle und Henry Mancini über Bert Kaempfert zu James Last und Herb Alpert!
Bernd Gürtler SAX 2/21 


Götz Alsmann
"L.I.E.B.E"
(Blue Note; 27.11.2020)


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Foto: Jens Koch
Foto: Jens Koch

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