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Davon wird der Himmel weiter: Lizz Wright über ihr Album "Freedom & Surrender"

Nach fünfjähriger Tonträgerabstinenz, einer schmerzhaften Trennung und ihrem Umzug von New York ins Einzugsgebiet des Künstlerhotspots Asheville, North Carolina, am Fuß der Great Smokey Mountains, riskiert Lizz Wright mit Larry Klein als Produzenten ein neues Album. Es heißt „Freedom & Surrender“ (Concord/Universal), verhandelt meistenteils Beziehungsprobleme, lässt sich aber ebenso als Kommentar auf aktuelle gesellschaftliche Verwerfungen lesen und steht ansonsten unter dem Eindruck eines verhängnisvollen Autounfalls. Als Bonus gibt es ein Duett mit Gregory Porter und die Coverversion eines Nick Drake-Songs.

Warum der Umzug nach North Carolina?
Ich wollte mein hektisches Großstadtleben gegen etwas mehr Bodenständigkeit eintauschen und Wurzeln schlagen. Außerdem liebe ich die Great Smokey Mountains, und ich kann von dort, wo ich jetzt zu Hause bin, meine Familie in Georgia besuchen, ohne ein Flugzeug besteigen zu müssen. Die Strecke lässt sich bequem mit dem Auto bewältigen. Während der Fahrt bestaune ich jeden Mal, wie das Land flacher wird und sich die rötliche Färbung des Bodens verändert. Manchmal kann ich es kaum glauben, wie überwältigend die Landschaft ist.

Die Gegend scheint aber auch nicht ungefährlich, besonders für Autofahrer im Winter. Dein eigener Pressetext zum neuen Album beschreibt, wie du mit deinem Fahrzeug auf Glatteis ins Rutschen gekommen bist und nur ein junger Bellwood-Baum deinem Sturz in eine zwanzig Meter tiefe Schlucht verhindern konnte. Ein schwerwiegendes Ereignis sicher.
Zweifellos, aber ich bin dankbar dafür. Mir ist bewusst geworden, dass ich bestimmte Ängste und Sorgen ablegen kann, die typisch sind für jemanden wie mich, der kreativ tätig ist und im Rampenlicht steht. Ich begreife mich jetzt mehr als eigenständige Persönlichkeit, bin mehr bei mir selbst. Meine Nachbarn und ich sind enger zusammengerückt. Ich spüre, dass wir uns nahe sind.

Produzent Larry Klein hat unter anderem für Bob Dylan, Peter Gabriel, Shawn Colvin, Tracy Chapman oder Madeleine Peyroux gearbeitet und war mit Joni Mitchell verheiratet. Wie bist du auf ihn gekommen? Was hat er zu „Freedom & Surrender“ beigetragen?
Larry war schon länger im Gespräch. Er war es, der mich produzieren wollte. Eine Mitarbeiterin von Universal Music hat uns bekannt gemacht, seine Vorgeschichte kannte ich gar nicht. Aber ich bin froh, dass es diesmal geklappt hat. Bei seiner Art zuzuhören, fühlt man sich verstanden und ist offen, wenn er Vorschläge einbringt. Er ist sehr kommunikativ und als Bassist und Songschreiber überragend. Ich bin noch nie derart solide vorbereitet in eine Albumproduktion gegangen.

Der Song „Freedom“, die erste Hälfte zum Albumtitel, beschreibt das befreiende Gefühl, wenn eine Beziehung, die zur Belastung wurde, endlich vorbei ist. Der Songtext passt aber auch auf Ereignisse im Vorfeld der Albumveröffentlichung in Charleston und Baltimore, Stichwort Polizeigewalt gegen Amerikaner schwarzer Hautfarbe und Proteste, die wiederum auch in Gewalt umschlagen.
Kurioserweise schrieb mir Larry Klein gerade gestern eine E-Mail und meinte, hatten wir nicht ein Album mit Liebesliedern gemacht? Plötzlich bekommt das eine politische Note, was haben wir bloß angerichtet? Zufällig sind wir mit einem Album am Start, das anderen aus der Seele spricht. Songs wie „Freedom“ oder sogar „Here And Now“ haben etwas Versöhnliches in einer ungemein komplexen Situation. Manchmal scheint es, als gerieten die Vereinigten Staaten außer Kontrolle. Der Eindruck täuscht, es geht vielmehr ein Ruck durch die Gesellschaft. Es herrscht nicht immer eitel Sonnenschein, mitunter knirscht es im Getriebe und Leid kommt über die Menschen. Aber es ist ein Bemühen zu spüren, dass wir das gemeinsam überwinden wollen.

Du wurdest 1980 als Tochter eines Predigers in Georgia geboren, siebzehn Jahre nach Martin Luther Kings „I Have A Dream“-Rede beim March On Washington. Fühlst du dich der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre noch verbunden?
Es ist erstaunlich, wie sehr wir von unseren eigenen Vorfahren, aber auch von einflussreichen Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte geprägt sind. Neulich bei einer Unterhaltung mit einer Freundin, machte ich Martin Luther King nach. Eher unbewusst, aber sie meinte, schau an, der Reverend scheint dir ins Erbgut geschrieben. Möglich wäre es, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich liebe mein Volk, mein Land und bete für eine baldige Genesung.

Martin Luther King erwähnt in seiner „I Have A Dream“-Ansprache einen „state sweltering with the heat of oppression“, der sich in naher Zukunft hoffentlich in eine „oasis of freedom and justice“ verwandeln wird. Nun hat sich in den USA manches geändert, aber ist das Land ein Hort der Freiheit und Gerechtigkeit geworden?
Es ist noch einiges zu tun und bedarf des Engagements vieler. Ich denke, voranbringen lässt sich der Wandel am ehesten in überschaubaren Gruppierungen, wo die Verständigung untereinander funktioniert und man sich austauscht, was Sinn macht und was nicht. Ich kann von Begegnungen erzählen, wo mir Freundlichkeit wiederfahren ist, ohne Ansehen der Person, der Hautfarbe, der verwandtschaftlichen Verhältnisse. Ich geriet mal in einen Schneesturm. Eine Frau nahm mich bei sich auf. Mitten in der Nacht klopfte ich an ihre Tür, sie gab mir zu essen und ließ mich bis zum nächsten Morgen bleiben. Ich dachte damals, keine Ahnung, was ihre Beweggründe sind, aber ich will von ihr lernen. Die Frau wurde meine gute Fee. Kranke, dumme Vorurteile gelten bei ihr nicht. Hautfarbe, Religion, Herkunft, nichts von dem ist für sie von Belang. Die Welt für deine Ängste verantwortlich zu machen, geht gar nicht, das ist kompletter Unsinn. Ich erkenne Angst und Ignoranz auf beiden Seiten. Aber diejenigen, die Rassismus predigen, sind mittlerweile eine Minderheit gegenüber denen, die sich nicht scheuen offen zu bekennen, da nicht länger mitmachen zu wollen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass Menschen verschieden sind. Und ich hoffe, ich darf es noch erleben, dass Unterschiede überhaupt nicht mehr als Nährboden für Rassismus herhalten müssen. Wir brauchen Unterschiede, davon wird der Himmel weiter.

Wie bist du auf Nick Drake gestoßen, dessen „Riverman“ du für „Freedom & Surrender“ coverst?
Er wurde mir von Jazzmusikern ans Herz gelegt. Nick Drake war einzigartig, sein Gesang, seine Songtexte, wie seine Songs arrangiert sind. Sehr bedauerlich, dass er schon so früh gestorben ist. Ich erinnere mich, in einem kleinen New Yorker Kino eine Dokumentation über ihn gesehen zu haben. Sein sanftes, düsteres Wesen fasziniert mich. „Riverman“ gehört auf ein Album, das „Freedom & Surrender“ heißt. Der Song handelt von Freiheit, ein wenig zumindest. Mir war jede Ausrede recht, um einen Nick Drake-Song dabei zu haben.

Und das Duett mit Gregory Porter?
Gregory ist eine überaus angenehme Person. Leider sind wir nicht gemeinsam im Studio gewesen, er hat seinen Part in Paris eingesungen. Aber man höre sich an, was er aus dem Song macht!
Bernd Gürtler Cybersax 11/16 


Lizz Wright
"Freedom & Surrender"
(Universal; 9.9.2015)


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Foto: Jesse Kitt
Foto: Jesse Kitt

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