Tim Gane war Mitbegründer von McCarthy, benannt nach dem amerikanischen Politiker und fanatischen Kommunistenjäger der fünfziger Jahre. Keineswegs aus Verehrung, die britische Formation verkörpert eher das, was der Namensgeber am meisten fürchtete. Selbst orientiert an den Sex Pistols, The Clash und Buzzcocks, werden sie unter anderem zum Vorbild der Manic Street Preachers, deren Songtextschreiber, Bassist und Sänger Nicky Wire über McCarthys Debütalbum "I Am A Wallet" festgehalten wissen wollte, es sei "the most perfect record, a Communist manifesto with tunes".
Noch rechtzeitig fürs dritte und finale Album "Banking, Violence And The Inner Life Today", stößt Lætitia Sadier als neue Sängerin dazu. Tim Gane und sie gründen Stereolab direkt im Anschluss an McCarthy und werden umgehend gefeiert. The Trouser Press Guide To 90s Rock fühlte sich erinnert an "Astrud Gilberto fronting a particularly zoned version of Neu! and a parallel universe lounge pop Arkestra conducted by LaMonte Young". Lateinamerikanischer Bossa Nova, Disco, Krautrock, avantgardistischer Jazz, Neue Musik und Elektronik lagen sich wie nirgendwo sonst in den Armen.
Ein Leichtes, angesichts der musikalischen Finesse zu übersehen, dass Lætitia Sadier den inhaltlichen Faden von McCarthy weiterspinnt. Ihr ist das buchstäblich in die Wiege gelegt, geboren wird sie Anfang Mai 1968 während der Studentenunruhen in Paris, als die Barrikaden brennen und Staatspräsident Charles de Gaulle aus der Hauptstadt flieht.
Nachdem Keyboarderin, Gitarristin und Backgroundsängerin Mary Hansen bei einem Verkehrsunfall zu Tode kommt, legen Stereolab eine Pause ein und widmen sich Soloprojekten. "Instant Holograms On Metal Film" ist das erste neue Studioalbum seit fünfzehn Jahren. Wieder werden die Verhältnisse thematisiert. "The numbing is not working anymore", heißt es im Eröffnungssong "Aerial Troubles" und dass, wenn jeglicher Einlullungsversuch, egal durch wen nicht länger Wirkung zeigt, jedem auffallen müsste, dass Geiz und Gier eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit sind; "Greed is an unfillable hole", lautet eine spätere Textstelle.
Das britische Mojo Magazine zitiert Lætitia Sadier mit den Worten, sie denke "it is becoming more and more apparent to more and more people as the absurdity of the political situation intensifies that at some point we will have to organise how society is run in radically different ways, based on radically different values, such as cooperation, as opposed to the current capitalist ideology of competition." Stereolabs "Aerial Troubles" wolle ermuntern, darüber nachzudenken, wie sich radikal neue Gesellschaftsformen durch mehr Gemeinschaftssinn und Kreativität organisieren lassen. Großartig, gute Musik, die eine Bedeutung hat!
Bernd Gürtler/TM
Stereolab
"Instant Holograms On Metal Film"
(Warp; 23.5.25)
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