|   Rezension

John Cale

POPtical Illusion

(Domino)

Computerprogramme zur digitalen Aufbereitung und Erschaffung von Musik, sprich das, was sich hinter gängigen Markennamen wie Pro Tools, Cubase oder Ableton verbirgt, mitunter scheint es als sei die Erfindung eigens für John Cale gemacht. Der gebürtige Waliser, Mitbegründer von The Velvet Underground und Produzent von Iggy Pops The Stooges sowie Patti Smith, kommt beim Einsatz der nützlichen Tonstudiosoftware jedes Mal um einiges raffinierter um die Ecke, siehe "POPtical Illusion".

Down the memory lane, lautete das Motto des Vorgängeralbums "Mercy". Streifzüge durch das nächtliche New York gemeinsam mit David Bowie finden sich rekapituliert. Weyes Blood, eine 2023 megaangesagte amerikanische Sängerin und Songschreiberin, durfte die Wiedergängerin von Nico geben, der einstigen Sängerin von Velvet Underground, der John Cale bei mehreren und jeweils außergewöhnlichen Soloalben ebenfalls als Produzent zur Seite stand. "POPtical Illusion" kommt auch nicht ohne Rückblenden aus. John Cales Solosong "Fear Is A Man's Best Friend" zeigt seine hässliche Fratze in "Edge Of Reason", Anleihen bei Velvet Undergrounds "Sister Ray" nimmt "Shark-Shark".

Aber wie heißt es in "Davis And Wales", das eine Begeisterung für Brian Wilsons Beach Boys unschwer verbergen kann? "Make it happen for you in the future/It's a better life than in your past"! Genau, inzwischen zweiundachtzig Lebenslenze zählend, mag der Veteran keineswegs den alten weißen Mann geben und vom Spielfeldrand aus kommentieren, früher sei alles besser gewesen. Er denkt nach vorn, weiß um den Zeitgeist, den er sich nicht nur einverleibt sondern ihm eine eigene, höchst individuelle Facette hinzufügt. Am ehesten nachzuvollziehen, wenn ein surreales elektronisches Geräusch zum Shufflerhythmus wird, ein mechanischen, maschinelles Klopfen, ein Knacken, ein Knistern den Song vorantreibt. Sogar der Gesang wirkt wie softwaregeneriert als sei der Sänger selbst ein Computerprogramm.

Ist das die Stimme einer KI, der jemand beibringen konnte, wer ihr Herr und Meister ist? "POPtical Illusion" weist unbedingt in die Zukunft, auch wenn selbige wenig vielversprechend sein könnte. John Cale sind die unguten Wandlungen der Welt nach Corona und Donald Trumps vorläufig erster Amtszeit nicht entgangen. "The right wingers burning their libraries down/Giving us the benefits and the doubt/Where did we lose of control of things/Was it Sunday when the circus came to town?" resümiert sein "Company Commander". Altersmüdigkeit? Oder gar Altersmilde? Keine Spur!
Bernd Gürtler/TM


John Cale
"POPtical Illusion"
(Domino; 14.6.24)


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Foto: Madeline McManus

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