|   Rezension

Wet Leg

Wet Leg

(Domino)

Die Isle Of Wight, Austragungsort eines 1970 erstmals nennenswert veranstalteten Rockfestivals mit unter anderem Jimi Hendrix als Hauptattraktion. Das Inselrefugium vor der Südküste Großbritanniens, beliebt als Urlaubsreiseziel und Altersresidenz, verfügt auch über eine eigene Populärmusikgemeinde und kann auf das Isle Of Wight College in Newport verweisen. Erwähnenswert die Bildungseinrichtung, weil ebendort die beiden Gründerinnen von Wet Leg, Rhian Teasdale und Hester Chambers, dem Studium der Musikwirtschaft nachgehen und einen Abschluss in Performing Art erwerben konnten. Das erklärt einiges.

Es heißt, Rhian Teasdale und Hester Chambers hätten sich 2019 während einer beschwipsten Riesenradrunde am Rande des End-Of-The-Road-Festivals zur Gründung von Wet Leg entschlossen. Durchaus denkbar, dass sich das haargenau so zugetragen hat. Wenn doch nicht, wussten die beiden sicherlich dank ihres Musikwirtschaftsstudiums, dass eine originelle Gründungsgeschichte oft die halbe Miete ist, wenn eine neue Band sich etablieren möchte.

"Chaise Longue", der erste Vorabsong zum Debütalbum "Wet Leg", feiert das Collegediplom in der ersten Strophe euphorisch, um anschließend thematisch in völlig andere Bereiche abzuschwenken. Was vielleicht als Umschreibung der Erkenntnis gelten soll, dass der Lebensweg Mitte bis Ende zwanzig heutzutage eher von Verwerfungen anstatt Kontinuität gekennzeichnet ist.

Immerhin heißt es in "I Don't Wanna Go Out" wenig später "It used to be so fun/Now every-thing just feels dumb/I wish I could care/And now I'm almost twenty-eight" und angelehnt die Gitarre an David Bowies "The Man Who Soled The World", das laut Songverfasser davon handelt, "how you feel when you’re young, when you know there’s a piece of yourself that you haven’t really put together yet."

Das finale "Too Late Now" beschreibt unbedingt und erklärtermaßen seitens der Band ihr "sleepwalking into adulthood", wenn es stellenweise ziemlich süffisant heißt "Everything is going wrong/I think I changed my mind again/I'm not sure if this is the kinda life that I saw myself living/I don't need no dating app to tell me if I look like crap/To tell me if I'm thin or fat, to tell me should I shave my rat/I don't need no radio, no MTV, no BBC/I just need a bubble bath to set me on a higher path". Ebenfalls nicht ganz jugendfrei "Wet Dream" und "Loving You" über Beziehungskram das andere Geschlecht sprich Jungs betreffend.

Nicht nur, dass sich Rhian Teasdale und Hester Chambers mit "Wet Leg" als emanzipierte junge Frauen zu erkennen geben, sie tun das in einem schwierigen Gesellschaftsumfeld, wo sexuelle Gewalt gegen Frauen bis hin zu Mord und Todschlag mehr oder weniger Alltag zu sein scheinen. Man muss bloß regelmäßig die Website der britischen Tageszeitung The Guardian überfliegen. Entsprechende Meldungen schaffen es selbst dann in die Schlagzeilen, wenn eine Coronapandemie wütet oder Wladimir Putins Heiminsreichholung der Ukraine den Lesern das Fürchten lehrt.
BG/TM


Wet Leg
"Wet Leg"
(Domino; 8.4.2022)


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Foto: Hollie Fernando

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