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Die britischen Fink: Reise mit Cliffhanger

Hinter Fink steht im Wesentlichen Fin Greenall. Der gebürtige Brite startet beim Londoner Schallplattenlabel Ninja Tune als DJ mit Dance Music für den Clubtanzboden, wechselt dann aber in einen introspektiven Folkrock und schreibt Songs. Das Interview anlässlich seines elften Studioalbums "Beauty In Your Wake" vom Sommer 2024, brachte kaum weniger Überraschendes zum Vorschein.

Gerade heutzutage, wo viele glauben, laut und schrill sein zu müssen, favorisierst du mit deinem Folkrock das Unaufdringliche, das Nachdenkliche. Wie kommt das?
Bevor ich "Beauty In Your Wake" in Angriff nahm, überlegte ich, welche Musik ich mir anhören sollte. Ich entschied mich für nachdenklichen Folk. Das Laute, vermute ich, wird über kurz oder lang verdrängt. Wobei mein Album auch lauter geworden ist als geplant. Wir wollten aber nicht allzu viel nachdenken, sondern mehr unserer Eingebung folgen.

Deine Songs entsprechen selten der konventionellen Form aus Strophe, Refrain, Bridge. Schreibst du Songs als Songschreiber? Oder nach wie vor mit der Dance Music des Club-DJs im Hinterkopf?
Bei meinen ersten Songs wollte ich schnellstmöglich Ergebnisse erzielen und hielt mich an konventionelle Formen. Meine Songs sollten als Songs erkennbar sein. Inzwischen ist ein Punkt erreicht, wo ich Songs anstrebe, die ich als interessant empfinde. Die meisten Songschreiber, die ich schätze, folgen keiner strikten Regel. Bin ich in Stimmung und bekomme Willie Nelson oder Johnny Cash zu Gehör gebracht, gefällt mir das. Aber Experimente sind etwas Fabelhaftes! Als DJ konnte ich lernen, wie sich Atmosphäre schaffen, ein hypnotischer Spannungsbogen aufbauen lässt. Gelingt es, das auf Songs zu übertragen, ohne, dass es die Songs ruiniert, bin ich zufrieden. "Beauty In Your Wake" enthält mit "The Only Thing That Matters" bewusst eine konventionelle Machart. Die meiste Zeit aber halte ich dagegen. Der Songwriter will maskulin und stark wirken, der kreative Musiker frei und unkonventionell. Die Verbindung aus beidem bringt Abweichungen von der Norm hervor.

Weshalb wolltest du anfangs DJ sein und nicht Songschreiber?
Ich war jung und glaubte, der Clubdancefloor sei spannender. Die Mitglieder meiner Band verbrachten die neunziger Jahre mit Indierock und Britpop, ich auf Raves und eingebunden in Drum & Bass, die britische Garage-Szene, bin unterwegs gewesen als Turntablejünger im Dunstkreis von Ninja Tune. Ich dachte, DJ, das sei das Genialste der Welt. Konventionelle Musik hielt ich für schlafmützig und von gestern. Wie falsch ich lag! Hätte mir 1993 jemand gesagt, dass ich mal Songs schreiben werde, ich hätte vehement widersprochen. Ich hätte meine gesamte Habe verwettet, dass ich niemals etwas anderes als DJ sein werde. Aber Dinge ändern sich, Menschen ändern sich.

"Beauty In Your Wake" eröffnet mit Akustikgitarre, den allerletzten Schluss bilden Elektroklänge. Erzählt das Album die Geschichte deiner Wandlung vom DJ zum Folkmusikanten und Songschreiber, bloß rückwärts?
Interessante Beobachtung, das war mir noch gar nicht aufgefallen.

Enthält das Album eventuell sogar einen zweiten Erzählstrang? Der erste Song heißt "What Would You Call Yourself" und ist unschwer als Selbstbetrachtung erkennbar.
Die großen Lebensfragen, wer bin ich, was soll aus mir werden, richtig.

Wiederum beschreibt "When I Turn This Corner", der letzte Song, die Örtlichkeit, wo das Album entstanden ist, nämlich im Zennor Sounds Studio, einer ehemaligen Kirche der Methodisten in Cornwall.
Auch richtig.

Mit anderen Worten, aus einer Situation des Zweifelns heraus wird eine gewisse Wegstrecke absolviert, die mit einem Ankommen endet?!
Ich mache mich jetzt vollkommen nackig, wenn ich sage, das Album beginnt mit der Frage, wer bist du, was ist deine wahre Identität. Zum Ende sage ich, du bist der schönste Song, den ich jemals singen werde. Aber wirklich interessant deine Interpretation, vielleicht beschreibt das Album tatsächlich eine intensive, universelle Reise. Was kommt, wenn ich um die nächste Ecke biege, weiß ich wirklich nicht. Ich kann höchstens das Gefühl vermitteln, irgendwie wird es weitergehen. Die Geschichte hat einen Cliffhanger, will mir scheinen.

"So We Find Ourselves" an vorletzter Stelle sei ein Dad-Song, verrät das Presseinfo des Schallplattenlabels. Du selbst bist kürzlich Vater geworden. Wie hat die Vaterschaft dein Leben verändert?
Es hat mein gesamtes Denken und Handeln verändert, meinen Schlafrhythmus sowieso. Es macht meine Entscheidungsprozesse effizienter, Zeit ist ein wertvolles Gut geworden. Bekomme ich die Gelegenheit, muss ich meine Zeit mit Bedacht einsetzen. Das macht mich produktiverer, es befreit mich, spornt mich an zu kreativeren Höchstleistungen. Wenn jemand meine Songs in zwanzig Jahren noch hört, sollen die immer noch gut sein.

Du bist in der englischen Grafschaft Cornwall geboren, lebst heute in Berlin, aufgewachsen bist du in den achtziger Jahren im britischen Bristol. Wie war das?
Es war phantastisch, gerade für mich als Teenager. Meine Schule lag mitten in der Stadt, in der Mittagspause ging ich Schallplatten einkaufen, konnten den Skateboardern zuschauen. Skatebording ist damals eine große Sache gewesen und wurde später abgelöst durch Clubbesuche. Die Clubszene der achtziger Jahre in Bristol war toll! Ein unglaublicher Melting Pot, Bands wie Massive Attack, Tricky oder Portishead sind daraus hervorgegangen. Keiner war scharf auf das aggressive London, das Bristol meiner Jugend war entspannt und cool. Ich durfte die Stadt in einem faszinierenden Moment der Populärmusikgeschichte erleben, es fühlte sich einfach großartig an.

Welches sind deine Lieblingsplätze in Berlin?
Ich mag das flippige Friedrichshein, den Stadtteil, wo ich lebe. Mein Studio befindet sich im Kulturquartier Silent Green im Wedding, dort ist es richtig hübsch, sehr grün, sehr gepflegt. In Friedrichshain liegt jede Menge Energie in der Luft, ich mag es, auf dem Wochenmarkt am Boxhagener Platz Lebensmittel einzukaufen, verbringe Ewigkeiten in den wunderbaren Schallplattenläden. Aber wie in jeder anderen Stadt, bleibe ich mehr oder weniger in meiner Nachbarschaft.

Wie bist du auf den Bandnamen Fink gekommen?
Als ich 1996 einen Bandnamen brauchte, musste ich mich von jetzt auf gleich entscheiden. Damals sind Bandnamen aus einem Wort üblich gewesen und bei mir drehte sich alles um das Sampeln von Musik, um gewissermaßen gestohlene Musik, die weiterverarbeitet wurde. Das Wort Fink steht im Englischen für jemanden, der nicht vertrauenswürdig ist. Meine Schallplatten verwendeten massenhaft Samples also gestohlene Musik. Als ich mich als Songwriter neu erfand, konnte ich nicht so tun, als hätte es das bei mir nicht gegeben. Ich blieb beim selben Label, bei Ninja Tune. Kann sein, dass ich meinen Namen hätte ändern sollen, als die Möglichkeit bestand. Aber der Name spielt keine Rolle, die Musik ist entscheidend. Einige Bands, deren Musik ich verehre, haben bekloppte Namen. Das ist okay, wen kümmert es.

Von Hamburg aus operierte parallel zu dir eine Band um Nils Koppruch, die sich ebenfalls Fink nannte. Wusstet ihr voneinander?
Wir konkurrierten eine Weile um das Recht, den Namen nutzen zu dürfen. Ich musste mich in Deutschland am Ende Fink UK nennen, die Hamburger Fink in Großbritannien und im Rest der Welt Fink DE. Das hat regelmäßig für Verwirrung gesorgt. Es sind später weitere Bands auf den Plan getreten, die sich Fink nannten. Mit den Hamburger Mitbewerbern kreuzten sich die Wege häufiger, eine großartige Band war das!

Und es wird kolportiert, du hättest mit Amy Winehouse gearbeitet?
Die Frage bekomme ich öfter gestellt, aber es betraf nur einen kurzen Moment. Ich hatte damals noch nie mit einem Sänger, einer Sängerin, einem Produzenten gearbeitet. Wahrscheinlich sind wir allesamt völlig verunsichert gewesen, was wir tun sollten. Ich arbeitete einen Sommer lang mit ihr, bevor sie ihren Schallplattenvertrag bekam und zu der Amy Winehouse wurde, die wir kennen. Es war absolut beflügelnd, jemanden zu haben, der mehr oder weniger alles singen konnte. Selbst wenn die Songtexte nicht besonders gewesen sind, schaffte sie es, dass es sensationell klingt. Ein Naturtalent, sie war phantastisch! Jeder, der mit ihr zu tun hatte, freute sich, als "Back To Black" erschien und wie das Album einschlug. Das war völlig verdient, sie war echt. Ich empfand Amy als unglaublich inspirierend. Der Rest war eine einzige Tragödie. Dass daraus ein Biopic gestrickt wurde, finde ich falsch. Ihr musikalisches Vermächtnis sollte für sich stehen.
Bernd Gürtler/TM


Fink
"Beauty In Your Wake"
(R'Coup'D; 5.7.24)


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Foto: Koszki Koszki
Foto: Tom Young
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