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James Yorkston: Sein Moment der Selbstvergewisserung

Eine beängstigende Häufung von Selbstmorden im engeren Bekanntenkreis, mehrere Todesfälle anderer Art, obendrein die Welt im Dauerkrisenmodus. Verständlich, dass James Yorkston sich seiner selbst vergewissern und sein jüngstes Album The Route To The Harmonium (Domino) im Alleingang einspielen wollte.

Vor seinem Berliner Auftritt Anfang April 2019 im Heimathafen Neukölln ist ein Interview verabredet. Im Hotel Estrel, dieser imposanten Stahlbetonfantasie von einem Schneepflug an der Sonnenallee mit über eintausend Gästezimmern, Kongresscenter und Livemusik-Entertainment. Sogar ihre eigene Presseabteilung hat die Superherberge, und eine Kollegin dort stellt uns freundlicherweise einen freien Konferenzraum zur Verfügung. Mit Blick über die Dächer der Hauptstadtmetropole, sodass sich an jenem unverhältnismäßig heißen Frühlingsnachmittag sehr schön beobachten lässt, wie sich der Umweltdreck der Vormittagsstunden in den oberen Luftschichten absetzt.

James Yorkston gefällt gar nicht, was er sieht. Er weiß, weshalb London niemals sein Lebensmittelpunkt sein wird, obwohl sich die Musikindustrie dort konzentriert. Selbst in Edinburgh wollte es ihn nach zwanzig Jahren nicht länger halten. Er zog nach Cellardyke, ein Fischerdorf im East Neuk of Fife, am Ostzipfel der gleichnamigen schottischen Council Area; keine halbe Autostunde entfernt Richtung Nordosten, in Kingsbarns, ist er aufgewachsen. „Niemand muss in London leben, ich jedenfalls nicht“, sagt der Singer/Songwriter und schwärmt von seinem aktuellen Wohnort. „Wenn ich aus meiner Haustür trete, habe ich Sandstrand unter den Füßen. Hundert Meter die Straße runter bin ich bei mir im Studio, lausche dem Meeresrauschen und schreibe Songs. Früher brauchte ich dreißig Minuten vom Flughafen in Edinburgh zu meiner Stadtwohnung, heute zwei Stunden bis nach Hause. Aber das ist es mir wert.“

Genau da in der schottischen Abgeschiedenheit ist sein Album The Route To The Harmonium entstanden. Das Studio war wie 2014 bei The Cellardyke Recording And Wassailing Society sein eigenes, die Schwerpunktsetzung jedoch eine andere. „Ich denke, jeder Musiker ist am besten darin, er selbst zu sein. Ich bin kein guter David Bowie, aber ein guter James Yorkston. Deshalb die Idee, sämtliche Instrumente selbst einzuspielen. Die Songs als solche kamen zu mir, ohne dass der Vorsatz bestanden hätte, über traurige Dinge zu schreiben. Die traurigen Dinge beherrschten meine Gedanken. Vier meiner Freunde begingen Selbstmord, andere starben an Krebs. Das Album handelt von psychischer und physischer Krankheit und meinem Streben nach Einigkeit mit mir selbst. Der Albumtitel The Route To The Harmonium spiegelt das. Und möglichst schön sollte das Album klingen.“

Der Moment seiner Selbstvergewisserung also kein Großaufgebot an Gastmusikern wie beim Vorgängeralbum, keine frei improvisierende Triobesetzung wie 2016/17 bei Everything Sacred und Neuk Wight Delhi All-Stars mit Jon Thorne und Suhail Yusuf Khan. Von wenigen unverzichtbaren Trompeten oder Violinen abgesehen, spielt James Yorkston nahezu jedes Instrument, und schön klingt das Album wirklich. So schön, dass man kopfüber reinspringen möchte in diesen herrlichen Folksound. Doch Vorsicht, überall lauern Referenzen an die verstorbenen Freunde. Dass organisierte Religion Menschen oft gegeneinander aufhetzt, anstatt sie zu vereinen, auch das ein Thema, über das sich James Yorkston herzhaft ereifern kann. Wie bei „The Irish Wars Of Independence“, das wie eine angenehme Jugenderinnerung beginnt, dann aber mit der Zeile aufwartet „If your God is asking you to hate, then dear old friends, we’ve made a big mistake“. Überflüssig zu erwähnen, dass der bekennende Schotte kein Befürworter des Brexit ist.
Bernd Gürtler/TM


James Yorkston
"The Route To The Harmonium"
(Domino; 22.2.2019)


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Foto: Ren Rox
Foto: Ren Rox

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