Das Eröffnungsstück heißt "Hikikomori" und beschreibt selbigen als von Selbstverachtung geplagten Nachbarn, der sich von sich aus in den eigenen vier Wänden wegschließt, jeden Kontakt zur Außenwelt auf ein Minimum reduzierend. Recht naheliegend die Thematik, aus den Coronalockdowns gingen reihenweise Hikikomoris hervor. Der Brigade Futur III hätte ein ähnliches Schicksal widerfahren können. Pandemiebedingt aussetzen musste auch das Kernquartett aus Michael Haves und Benjamin Weidekamp sowie Jérôme Bugnon und Elia Rediger, zwei Westfalen und zwei Schweizern. Ebenso betroffen ihre Mitstreiter von der Leipziger Spielvereinigung Sued, so dass der Nachfolger zum Vorgängeralbum "Alles wird gut gegangen sein werden" deutlich länger brauchte.
Der Substanz schaden konnte die Zwangspause nicht. "Ein bisschen Zeit haben wir ja noch" liefert prononcierte Gesellschaftskommentare zu Fremdenfeindlichkeit, der fatalen Privatisierung von Gemeinschaftseigentum, dem möglicherweise drohenden Klimakollaps. Musikstilistisch kann sich, wer möchte, an Duke Ellington, John Coltrane, Sun Ra oder Frank Zappas "Roxy & Elsewhere" erinnert fühlen und Einflüsse aus dem Elektropop entdecken. Mit seinen etwas mehr als fünfunddreißig Minuten Laufzeit, ist das Album nicht besonders lang, bietet aber inhaltsschwere Kurzweil ohne Ende. Der Veröffentlichungstermin könnte kaum passender sein.
Bernd Gürtler/TM
Brigade Futur III:
"Ein bisschen Zeit haben wir ja noch"
(WhyPlayJazz; 2.2.24)
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