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Oum Shatt: Gekommen, um zu widersprechen

Es hat seine Bewandtnis, weshalb ihr zweites Album "Opt Out" heißt. Die Songfiguren stehen sämtlichst im Widerspruch zu tradierten Gesellschaftsnormen und verweigern sich als Sprachrohr, Ikone oder Opfer, lassen Oum Shatt in einem Minimanifest erklären. Anleihen bei Weltmusikspielweisen sind ebenso wenig ein Zufall. Bandgründer, Sänger, Gitarrist und Hauptsongschreiber Jonas Poppe war zuvor mit Sitcom Warriors und Kissogram unterwegs, hat für Chilly Gonzales, Feist und Peaches gearbeitet oder Soundtracks komponiert. Zum Interviewtermin empfing der gebürtige Ostberliner bei sich zuhause im Prenzlauer Berg.

Beginnen wir beim Bandnamen.
Das ist eine Kombination aus dem arabischen Wort für Mutter und dem Namen eines Wüstenvolks in Tunesien. Ohne tiefere Bedeutung, die Verwendung eher lautmalerisch, Oum Shatt hört sich an, wie wenn jemand beim Schlagzeug auf Basstrommel und Snare haut.

Laut Presseinfo des Schallplattenlabels soll auch eine Referenz an die ägyptische Sangeslegende Umm Kalthoum enthalten sein?
Die Verbindung besteht ebenfalls, zum Zeitpunkt der Bandgründung 2012 hörte ich intensiv arabische Musik, Umm Kalthoum, Fairuz oder die Rahbani Brothers.

Woher dein Interesse für arabische Klänge?
Bereits im Teenageralter wurde mir bewusst, dass mir die Musik, die ich kannte, nicht mehr ausreicht. Ich entdeckte griechische Rembetika, speziell wegen der Compilation "Rembetika – Manges Passion Drugs Jail Desease Death/Songs Of The Greek Underground 1925-1947" des verdienstvollen Münchner Schallplattenlabels Trikont. Danach fing es an, dass ich mich für arabische, türkische, indische Musik, für die Musik des Balkans begeisterte, um festzustellen, dass unser mitteleuropäischer Begriff von Weltmusik ein sehr eingeschränkter ist. Es gibt unglaublich viele traditionelle Spielweisen, von denen wir kaum etwas wissen. Ich besitze eine Handvoll albanischer und mazedonischer Schellackplatten oder Musik aus Epirus in Griechenland, die in unseren Breiten schlicht unbekannt und trotzdem ungemein berührend ist. Bei Oum Shatt dachten wir, wir könnten Melodien und Rhythmen einfließen lassen, die wir spannend finden.

Wenn Mitteleuropäer griechische, arabische, türkische, indische Musik oder Musik vom Balkan spielen, ist das melodisch oder rhythmisch eine Herausforderung?
Schwierig zu beantworten. Vorwegschicken möchte ich, klar, wir sind Mitteleuropäer, aber es war uns immer wichtig, dass wir nicht so tun, als wären wir jemand anderes, als würden wir exotische Elemente einfließen lassen, weil wir uns interessant machen wollen. Uns liegt daran, unsere und die Hörgewohnheiten des Publikums zu erweitern. Es ist nicht so, dass wir bestimmte Rhythmen, bestimmte Skalen herausgreifen, sondern wir spielen damit. Auf dem Vorgängeralbum "Oum Shatt" von 2016 verwendeten wir teils die phrygische Tonleiter. Diesmal, bei "Opt Out", wurde mit verschiedenen Trommeln beziehungsweise perkussiven Elementen experimentiert. Das rhythmische und melodische Element kam zusammen. Aber wir kopieren nichts und wenn wir ins Spielen vertieft sind, denken wir nicht mehr nach. Wir bewegen uns automatisch in bestimmten Tonleitern, in bestimmten Rhythmusstrukturen. Etwas anderes würde sich falsch anfühlen.

Die Songtexte sind auf Englisch.
Ich bin mit internationaler Musik aufgewachsen, bei uns zuhause wurden Bob Dylan und Velvet Underground gehört. Zum anderen möchte ich mit meiner Musik auch außerhalb Deutschlands stattfinden und Englisch ist eine Universalsprache, die beinahe überall verstanden wird. Mehr als die Hälfte unserer Hörer kommt aus Frankreich, Großbritannien, der Türkei oder Polen.

Englisch also nicht, weil der Gesang bloß ein zusätzliches Instrument und der Inhalt zweitrangig ist? Und auch nicht, weil der Inhalt verschleiert werden soll?!
Nein, gar nicht. Ich möchte, dass der Inhalt prinzipiell überall verstanden wird. Sicher, ich bin kein Native Speaker. Deshalb dauert es bei mir länger, englische Songtexte so auf den Punkt zu bringen, wie mir das auf Deutsch möglich wäre. Ich lasse manchmal von einem Muttersprachler gegenlesen, so dass die Nuancen stimmen. Es hat zwar etwas für sich, wenn Texte auf verschiedene Weise interpretierbar sind. Aber ich möchte nicht, dass es zu ungewollten Zweideutigkeiten kommt.

Wenn die Songinhalte nicht unwichtig sind, sollten wir ins Detail gehen. Wovon handelt "The Artist Arrives"?
Von einem Künstler, der sich mit der Erwartung konfrontiert sieht, dass er sich mit seinen Songs in den Dienst einer bestimmten Sache stellt. Dem verweigert er sich. Das Publikum will ihn als Vordenker feiern, er aber möchte sich nicht vereinnahmen lassen und betrachtet es als seine Pflicht, seinem Publikum zu sagen, ich werde euch nicht folgen. Ihr sagt mir nicht, was ich zu tun habe, höchstens beobachte ich euch. Das ist das generelle Thema des Albums.

Inwiefern?
Auf "Opt Out" geht es um verschiedene Charaktere, die sich weigern, bestimmten Rollenzuschreibungen nachzukommen. Das soll keine Ermunterung sein, sich von gesellschaftlichen Aktivitäten, von Politik beispielsweise fernzuhalten. Im Gegenteil, Engagement ist immer gut und wichtig. Aber Künstler sollten sich nicht vereinnahmen lassen. Gerade in Zeiten wie jetzt, die wahnsinnig komplex sind, während gleichzeitig eine extreme Polarisierung stattfindet. Das passt überhaupt nicht zusammen. Je komplexer die Welt, desto mehr versammeln sich die Leute entweder auf der einen oder anderen Seite und es bilden sich scharfe Konfliktlinien. Von daher ist Vorsicht angeraten, nicht auf fahrende Züge aufzuspringen, sondern jedem Trend erst einmal skeptisch zu begegnen.

Wer ist es, der sich in "Kid Went Awry" verweigert?
Ein kryptischer Song mit einem Musiker als Protagonisten, der auf einer VIP-Party landet, dort alte Weggefährten aus der Musikindustrie trifft, die ihm sagen, wie talentiert er sei und wie sehr er von seinem Weg abgekommen ist. Ihm hätten alle Möglichkeiten offen gestanden, er aber wollte seinen eigenen komischen Weg gehen. Teilweise meine eigene Geschichte, die ich besinge.

Das bezieht sich sicherlich auf deine Formation Kissogram?
Genau, nachdem wir zur Love Parade 2000 mit "If I Had Known This Before" einen Hit hatten, wurden wir über Nacht bekannt, sind bei MTV und Viva präsent gewesen. Dann sollte es eine Nachfolgesingle geben, die ebenfalls den Nerv der Techno-Community trifft. Darauf hatten wir keine Lust. Vielleicht war das ein Fehler, vielleicht auch nicht. Wir wollten jedenfalls eine andere Richtung einschlagen.

Im Song "Over The World And Out" entlarvt sich ein Politiker beiläufig selbst als Scharlatan, in "Love The Way She Stands" begehrt eine von ihrem Psychiater missbrauchte Patientin gegen ihre Opferrolle auf und in "Play!" verweigert sich Gott persönlich.
Das ist der wildeste Song auf "Opt Out", auch musikalisch. Ich höre den nach wie vor gern. Normalerweise höre ich keine eigenen Songs, der macht eine Ausnahme. Hinter "Play!" steht die Idee, dass Gott sich aus seiner Rolle als Sinnstifter, als allmächtige, allwissende Überfigur verabschiedet. Ein absurdes Gedankenexperiment, aber ich fand die Vorstellung reizvoll, dass Gott sagt, Moment! Erspart mir eure Zuschreibungen. Ich bin ganz anders als ihr denkt. Das sind eure Chimären, mit mir hat das nichts zu tun.

Bist du religiös erzogen?
Ich war in der Christenlehre, noch zu DDR-Zeiten, weil die Kirche als Ort der Opposition galt in der DDR. Ich bin getauft und konfirmiert, aber nicht religiös.

Wie bist du durch dein Elternhaus geprägt? Deine Eltern sind Gerd und Ulrike Poppe, zwei prominente DDR-Bürgerrechtler!?
Das hat mich insofern geprägt, als dass ich früh mit Politik in Berührung kam, wegen solcher Fragen wie anpassen oder verweigern. In der Schule entschied ich mich meistens fürs Verweigern und hatte Glück. Andere Schüler sind für weniger von der Schule geflogen. Ich hatte keine Probleme, weil bei mir die Strategie eine andere war. Die Staatssicherheit wollte einen Keil zwischen mich und meine Eltern treiben. Ich wurde überhäuft mit Lob und Auszeichnungen, als leuchtendes Beispiel hingestellt. Nachteile, weil meine Eltern Oppositionelle waren, hatte ich keine.

Worin bestand deine Verweigerung in der Schule?
Wenn Feiertage anstanden, zum Beispiel der Tag der Nationalen Volksarmee, versuchte ich die Klasse ein bisschen aufzuwiegeln. Ich bin zu Mitschülern gegangen und sagte, übrigens wird die Lehrerin gleich den Tag der NVA erwähnen und ihr müsst sagen, dass euch das nicht interessiert, ihr wollt lieber über etwas anderes sprechen. Einmal, zum Geburtstag von Ernst Thälmann, dem Vorbild der Jungen Pioniere, schlug ich vor, dass wir besser den Geburtstag von Charlie Chaplin feiern; die beiden haben am gleichen Tag Geburtstag, bloß drei Jahre versetzt. Solche Sachen habe ich gemacht. Aber ich war noch ein Kind, besonders krasse Aktionen sind das nicht gewesen. Wirklich auf die Füße fallen konnte mir das nicht. Wäre ich älter gewesen, hätte das sicher Konsequenzen gehabt. So wurde das als kindlicher Übermut abgetan.
Bernd Gürtler SAX 2/24


Oum Shatt
"Opt Out"
(Wanda Y; 26.1.24)


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Foto: Galya Feierman
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