Geschäftstüchtige Seeleute der Handelsmarine brachten von ihren Amerikaturns Schallplatten mit. Bloß hauptsächlich eben Jazz, Bluesscheiben dienten höchstens als Verpackungsmaterial für die weitaus kostbarere Jazzfracht, weshalb Bluesschellacks von vornherein auf einer Seite zerkratzt sind. Wenn überhaupt, wurde Blues vier Jahrzehnte nach seiner ersten urkundlichen Erwähnung durch W.C. Handy höchstens als Fußnote des Jazz wahrgenommen. Bluesliebhaber galten als kuriose Minderheit.
Geboren wird John Mayall im Schicksalsjahr 1933. Kriegsversehrte des ersten verheerenden Weltenbrandes gehörten noch zum Straßenbild seiner Kindheit; Eindrücke und Gedanken zum Thema formuliert das berührende "Trenches" 1997 vom Album "Blues For The Lost Days". In Deutschland geht zu Beginn der dreißiger Jahre ein gescheiterter, österreichischer Postkartenmaler daran, die Menschheit erneut ins Verderben zu stützen. John Mayalls nordenglische Heimatstadt, das beschauliche Macclesfield, kommt ungeschoren davon. Den drei Nachbarmetropolen Liverpool, Manchester und Sheffield schlägt Nazideutschlands Luftwaffe nach wie vor im Stadtbild erkennbare Narben.
Ein anderer Kriegsschauplatz bleibt John Mayall leider nicht erspart, sein Album "Memories" von 1971 erwähnt es. Kaum achtzehn geworden, wird er für drei Jahre zum Armeedienst einberufen und vorübergehend nach Korea abkommandiert. Glücklicherweise kann er sich in der Schreibstube unentbehrlich machen und kehrt wohlbehalten zurück, jedoch ohne echte Zukunftsperspektive. Eine Ausbildung zum Grafikdesigner am Manchester College Of Art ist die Rettung, parallel findet er zur Musik zurück, autodidaktisch hatte er sich in jungen Jahren Piano, Gitarre und Banjo beigebracht.
1963 Umzug nach London und Gründung der Bluesbreakers, die ähnlich Alexis Korners Blues Incorporated, bluesbegeisterten und später erfolgreichen Rockgrößen ein Forum bieten. Mit ständig wechselnder Begleitbesetzung spielt John Mayall über die Jahre Blues in jeder denkbaren Variation. Nach den mehr oder weniger klassisch angelegten Alben "Blues Breakers With Eric Clapton", "A Hard Road" (mit Peter Green), "Crusade" (mit Mick Taylor) und "The Blues Alone" entstanden "Bare Wires" und "Blues From Laurel Canyon" unter dem Eindruck des Psychedelic Rock der sechziger Jahre. "The Turning Point" und "Empty Rooms" sind semiakustischer Skiffle, "Jazz Blues Fusion" und "Moving On" inspiriert vom Jazzrevival der siebziger Jahre mit Freddy Robinson, Larry Taylor und Blue Mitchell als kompetenten Mitstreitern. "Back To The Roots" (mit Harvey Mandel und Don Sugarcane Harris) verrät im Albumtitel, worum es geht, während daran anschließend "New Year, New Band, New Company", "Notice To Appear" und "Banquet In Blues" Poprockanleihen aufgreifen.
Oft wurde John Mayall belächelt, weil er vom Blues nicht lassen, ein Blues Brother auf Lebenszeit bleiben wollte. Tatsächlich sind Durststrecken zwischendurch unschwer zu überhören, "Blues For The Lost Days" aber gehört fraglos zum beeindruckendsten Teil seines Alterswerks. Oder "A Special Life" von 2014, das vor Ideenreichtum nur so sprüht und den Beweis erbringt, sogar im einundzwanzigsten Jahrhundert taugt Blues als Medium für sowohl Privates als auch brisante Gesellschaftskommentare. Clifton Cheniers "Why Did You Go Last Night" und Sonny Landreths "Speak Of The Devil" können neben Jimmy McCracklins "I Just Got To Know" als Kommentar auf die Scheidung von Ehefrau Maggie Mayall drei Jahre zuvor gelten. Albert Kings "Flooding In California" ermahnt im Sinne einer Vielzahl ähnlicher Songs seines Repertoires der Vergangenheit zu mehr Umweltbewusstsein. "World Gone Crazy" lässt wissen, was John Mayall als Ursache für grausame Kriegsgreul erkannt hat, nämlich verlogene Politiker und Religionen, die sich für etwas Besseres halten als die jeweils anderen.
Selbst im Ursprungsland USA bezweifelt schon längst niemand mehr, dass Blues eine eigenständige Stilkategorie darstellt. Auch dank John Mayall, dessen unbeirrte Bluesleidenschaft entscheidend zum Umdenken beitragen sollte. 2005 wurde ihm für seine Verdienste vom englischen Königshaus ein OBE-Orden verliehen. Auf seiner Website eingestellte Fotografien des Ereignisses verraten, dass sich der Mann gefreut hat wie ein Schneekönig. Am 22. Juli 2024 verstarb John Mayall im Alter von neunzig Jahren zuhause in seiner Wahlheimat Kalifornien. R.I.P. & Thank You For The Music.
Bernd Gürtler/TM
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