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Besonnen durch die Krise: Wie der Beatpol die Auswirkungen der Corona-Pandemie bewältigt

Konzertabsagen und Verlegungen, seit Monaten verschickt der Beatpol Pressemitteilungen hauptsächlich deswegen. Eine unhaltbare Situation für den Dresdner Musikklub mit tadellosem Ruf auch international. Begründet liegt die Misere im weltweit grassierenden Coronavirus beziehungsweise den von Bund und Ländern angeordneten Corona-Schutzbestimmungen zur Eindämmung der Pandemie. Beim Interviewtermin mit den beiden Geschäftsführern Luisa Mühl und Carsten Becker, dennoch keine Spur von Groll wegen schwieriger Abstandsregeln und sonstiger Hygienemaßnahmen. Stattdessen ein besonnenes Krisenmanagement.

Auch für September 2020 sind inzwischen sämtliche Konzertveranstaltungen im Beatpol abgesagt oder wurden ins kommende Jahr verlegt. Bleibt es dabei?
Carsten Becker: Dabei bleibt es.

Weil die Corona-Schutzbestimmungen nichts anderes zulassen?
Carsten Becker: Open-Air-Veranstaltungen, die im Sommer mit ausreichend Platz an der frischen Luft stattfinden konnten, zeigen, dass ein Spielbetrieb möglich ist. Der Beatpol aber ist ein Musikklub, ein geschlossener Raum und muss von anderen Voraussetzungen ausgehen. Wir könnten zwar auch ein Hygienekonzept erarbeiten, haben uns aber bewusst dagegen entschieden. Viele Bands sind gar nicht gewillt, unter den gegenwärtigen Hygienebestimmungen Klubshows zu geben.
Luisa Mühl: Hinzu kommt, dass bei uns meist internationale Bands auftreten, die momentan weder aus ihren Heimatländern ausreisen noch in Deutschland einreisen dürften.
Carsten Becker: Aber auch einheimische Bands sind für Klubshows schwer zu begeistern. Open Airs werden gern genommen, Klubshows eher selten. Und wir denken natürlich weiter. Die Infektionszahlen steigen wieder, so dass die Gefahr besteht, dass aktuelle Lockerungen im Herbst zurückgenommen werden. Wir wollen nicht Wochen darauf verwenden, Rahmenbedingungen herzustellen, dass Veranstaltungen stattfinden können, und dann bekommen wir unser Konzept nicht genehmigt, weil sich die Gesamtlage erneut zuspitzt.

Gesetzt den Fall, die Corona-Schutzbestimmungen würden vollständig aufgehoben, das Virus wäre aber noch nicht überwunden. Würdet ihr trotzdem in den Regelbetrieb zurückkehren?
Luisa Mühl: Ich denke nicht, nein. Wir tragen eine Verantwortung für unser Publikum.
Carsten Becker: Das ist eingeschrieben in die DNA des Beatpols, dass wir auch vom Publikum, von den Künstlern her denken. Niemals würden wir uns anmaßen, die Verantwortung für die Gesundheit der Beteiligten zu übernehmen. Das müssen andere tun, tun sie ja auch. Das Virus ist in der Welt, und es wurde festgelegt, dass die Institutionen sich darum kümmern. Bei der gewöhnlichen Influenza, der Schweigegrippe, der Vogelgrippe ließ sich noch ausblenden, dass es dort ebenfalls Todesopfer zu beklagen gab und das nicht zu knapp. Corona wird als gefährlicher eingestuft, zudem sind die Menschen umfassender informiert.

Bei Klubshows ist sicherlich auch die finanzielle Seite zu bedenken. Abstandsregeln und weitere Hygieneauflagen bedeuten, dass der Beatpol von vornherein mit weniger Publikum kalkulieren müsste, bei gleichzeitig steigenden Kosten.
Carsten Becker: Wir könnten die Mehrausgaben auf die Eintrittspreise umlegen, was mancherorts schon geschieht. Klubtickets im Preissegment zwischen 20€ und 30€ liegen jetzt teilweise bei 50€. Ähnlich bei Open Airs, Ticketpreise von sonst 18-22€ sind auf 30-35€ gestiegen, 30€-Tickets auf 50€. Aber auch das findet ohne uns statt. Wenn es irgendwann wieder richtig losgehen kann, wollen wir dort einsteigen, wo wir aufhören mussten.

Ein weiterer Aspekt ist, dass pandemiebedingte Hygienekonzepte den Grundgedanken einer Klubshow komplett aushebeln.
Luisa Mühl: Das sowieso, wenn niemand tanzen darf, weil schwitzen verboten ist.
Carsten Becker: Oder sich keiner bei lauter Musik gegenseitig seine Begeisterung ins Ohr schreien darf. Das ist es ja, was eine Klubshow ausmacht!

Scheint so, dass mit Klubshows derzeit keinem gedient wäre, weder Künstlern noch Publikum oder Veranstaltern.
Carsten Becker: Richtig, wobei ich nochmals betonen möchte, dass wir als Beatpol auch unternehmerisch denken. Obwohl wir uns anders verstehen, uns geht es nicht vorrangig um Gewinnmaximierung. Trotzdem müssen wir rechnen, vielleicht sogar noch genauer, weil wir bewusst Geld verlieren, um neue Künstler aufzubauen. Wir könnten nicht überleben, wenn wir normalerweise ausverkaufte Konzerte unter Hygieneauflagen mit lediglich einhundert Besuchern veranstalten. Nach fünf, sechs solcher Konzerte wären unsere in besseren Zeiten erwirtschafteten Überschüsse verbraucht. Wir könnten dann keine neuen Künstler mehr aufbauen.

Wie wird es weitergehen?
Carsten Becker: Wir nutzen die Zeit und erledigen Dinge, die im Regelbetrieb zwangsläufig liegenbleiben. Daneben ist die Sicherstellung unseres Fortbestands eine zeitintensive Beschäftigung, Anträge auf Hilfsgelder wollen ausgearbeitet und eingereicht sein. Was Veranstaltungen angeht, warten wir, bis der Schalter wieder umgelegt wird. Wir gehen davon aus, dass wir weitermachen können, sobald ein Impfstoff verfügbar ist. Der Staat wird nicht dauerhaft in seiner Vormundschaftsrolle bleiben wollen und können. Parallel dazu werden wir im Herbst wahrscheinlich unsere Livestreams fortsetzen und nicht nur reine Streamingkonzerte anbieten, sondern wie im Fall Florian Christl bereits geschehen, eine Art Musikfilm. Da ist noch einiges zu verbessern, wir sind mit dem Start aber sehr zufrieden. 7000 Klicks bei Florian Christl und das zu einer Zeit, als die Nachfrage nach Konzertstreams gerade wieder in den Keller ging!

Die Anträge auf Hilfsgelder, bei wem stellt ihr die?
Luisa Mühl: Beim Kulturamt der Stadt Dresden, wo man uns weiterhin mit institutioneller Förderung unter die Arme greift. Wir erhalten zudem Unterstützung vom Bund, vom Freistaat. Damit kommen wir bis ins nächste Jahr, dann ist der Veranstaltungskalender schon wieder knackevoll.

Die Stadt Dresden zeigt echtes Interesse, dass der Beatpol die Coronakrise übersteht?
Luisa Mühl: Definitiv!
Carsten Becker: Es wurde ganz klar kommuniziert, die Stadt will den Beatpol unbedingt erhalten.
Luisa Mühl: Und es gab die klare Ansage, dass die Finanzmittel, die wir bekommen, in Zeiten von Corona dazu da sind, dem Klub das Überleben zu sichern, nicht um trotzdem Kultur zu veranstalten.
Carsten Becker: In Zahlen ausgedrückt, ist das seit Jahren so, dass wir unseren Eigenanteil auf 85% steigern konnten. Das heißt, der Anteil der institutionellen Förderung beträgt noch 15% vom Gesamtaufkommen. Wenn wir nichts veranstalten können, brechen uns die 85% weg. Es reichen uns aber die 15% vom Kulturamt, um den Klub zu erhalten. Falls eine zweite Haushaltssperre kommt und die Kulturamtsgelder wegfallen, müssen wir neu überlegen.
Luisa Mühl: Sehr schön war auch die Unterstützung im Kleinen, dass bereits gekaufte Tickets gespendet wurden. Unsere Restbestände an Getränken sind uns von Spätshops in der Neustadt abgenommen worden.
Carsten Becker: Und wir reizen das noch nicht mal aus. Wir halten uns bei Spendenaktionen zurück, wie es sie kurz nach Coronaausbruch in Dresden gegeben hat. Wir sahen unsere Aufgabe zunächst darin, zu schauen, wie wir uns aus eigener Kraft retten können.

Stichwort Spendenaktionen. Das Klubnetz Dresden hatte sich sehr dafür engagiert. Der Beatpol gehörte zu den Klubnetz-Mitbegründern, ist dann aber ausgestiegen. Warum?
Carsten Becker: Wir sind Mitglied der LiveKomm, pflegen enge Kontakte zum Verband Soziokultur, stehen in Verbindung mit der Initiative Musik in Berlin. Dort fühlen wir uns bestens aufgehoben, und für mehr reichen unsere Kapazitäten nicht.

Seit seiner Gründung 1990 erlebt der Beatpol nicht das erste Mal schwierige Zeiten. Was ist der Unterschied jetzt zu früheren Krisensituationen?
Carsten Becker: Dass wir von verschiedenster Seite Hilfe bekommen. Lange galten wir per Definition als Randkultur. Nicht nur, weil wir mit unserem Standort Altbriesnitz am Stadtrand liegen. Heute ist das anders, heute sind wir stärker in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt.

Wie das?
Carsten Becker: Eigentlich waren wir das schon immer, bloß besteht anders als in den Neunzigern kaum noch ein Unterschied zwischen Mainstream und Underground. Inzwischen kommen Fünfzigjährige, die den Beatpol bestimmt nicht aus Teenagertagen kennen, zu Alison Moyet, Kraftklub oder Revolverheld. Das fand ich noch nie negativ, weil ich der Auffassung bin, dass man einerseits nicht beliebig sein darf, andererseits aber so viele Besucher wie möglich ansprechen sollte.
Luisa Mühl: Randständige Künstler bleiben uns trotzdem wichtig.

Irgendwelche entdeckenswerten Empfehlungen eurerseits?
Carsten Becker: Die britische Soulsängerin Hannah Williams. Eine phantastische Künstlerin, aber selbst Samstagabend kommen höchstens hundert Leute, an einem Dienstag vielleicht nur die Hälfte. Sie ist gern bei uns. Nach jedem Konzert fragt sie, wann sie das nächste Mal kommen darf.
Bernd Gürtler SAX 9/20


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Foto: Bernd Gürtler
Sind im Februar 2020 da gewesen: Algiers
Leider ausgefallen: Sebadoh
Leider ausgefallen: Maria Taylor
Verlegt auf 2021: Sophia

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