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Michael Rother & Vittoria Maccabruni: Gefährten im Geiste

Er könnte es sich gemütlich machen auf seinem Lorbeer als Krautrocker der ersten Stunde, keiner fände etwas dabei. Stattdessen veröffentlicht Michael Rother "As Long As The Light" (Grönland), ein Duoalbum, das erste seiner Karriere, eingespielt eben nicht mit Wegbegleitern aus guten, alten Zeiten oder jemandem aus den Reihen seiner weltweiten Bewunderer. Mitstreiterin Vittoria Maccabruni ist eine in Künstlerkreisen gänzlich unbekannte Italienerin aus Pisa und doch die perfekte Gefährtin im Geiste. Den Interviewtermin per Videoschalte absolvieren die beiden gemeinsam. Die Fragen sollten vorrangig an Vittoria gerichtet sein, Michael Rother wollte es so und assistiert nur ab und zu.

Miteinander bekannt seid ihr seit 2005. Michael absolvierte damals eine gemeinsame Italientour mit Dieter Moebius und du, Vittoria, hast eins der Konzerte besucht. Das jedenfalls steht im Presseinfo des Schallplattenlabels zu "As Long As The Light".
Vittoria: Stimmt, und ich war so beeindruckt, dass ich Michael eine E-Mail schrieb, ihm zu dem Auftritt gratulierte und mich für den wunderbare Abend bedankte. Von da an korrespondierten wir regelmäßig. Als Michael 2015 in Bologna auftrat, sind wir uns das erste Mal persönlich begegnet.

Bist du vertraut gewesen mit Michaels Vorgeschichte bei Kraftwerk, Neu!, Cluster, Harmonia oder seinem Soloschaffen danach?
Vittoria: Zu dem Konzert mit Dieter Moebius ließ ich mich überreden, weil es hieß, jemand, der früher bei Kraftwerk war, spielt mit. Kraftwerk sind ein Begriff, weil mehr oder weniger Mainstream inzwischen. Die anderen Bandnamen sagten mir auch etwas, aber ich verband nichts weiter damit.

War die Musik von Michael und Dieter Moebius vollkommen anderes als das, was du bislang kanntest?
Vittoria: Absolut! Normalerweise besuchte ich Auftritte italienischer Indierockbands, aufgewachsen bin ich mit der Beatles-Begeisterung meiner Eltern und den Country-Schallplatten meines Vaters, meine Schwester machte mich mit den Doors und Bob Marley vertraut. Das Konzert von Michael und Dieter Moebius war elektronische Musik, wie es sie in Italien kaum gibt. Und es ist ein sehr emotionales Erlebnis gewesen, trotz der Elektronik. Deshalb wohl auch meine Begeisterung.

Wie kam es, dass du selbst Musikerin geworden bist?
Vittoria
: Ich begann vor einigen Jahren mit Computerprogrammen und geliehenen Musikinstrumenten zu experimentieren, ohne feste Absicht, Konzerte zu geben oder irgendetwas zu veröffentlichen. Durch Michael ergab sich die Möglichkeit zu einem richtigen Album.
Michael: Musikerin bist du schon sehr viel länger, nicht erst seit einigen Jahren.
Vittoria: Sicher, aber ich war in der Hauptsache damit beschäftigt, den Lebensunterhalt zu verdienen und ein Kind großzuziehen. Musik begleitete mich schon als kleines Mädchen. Mit Elektronik befasse ich mich noch nicht so lange.

Hast du Musik oder Kunst studiert?
Vittoria: Ich habe Sozialwissenschaften studiert, an der High School sind Fremdsprachen mein Schwerpunkt gewesen, und die High School war eine, die auf ein Studium der Mathematik vorbereiten sollte. Mir liegt Mathematik gar nicht. Ein eher durchwachsener Bildungsweg.
Michael: Aber obwohl Vittoria keinerlei Kunstabschluss hat, hat sie eine ausgeprägte künstlerische Ader, eine visuelle Vorstellungskraft, die ich sehr motivierend finde. Ich war jedes Mal überrascht, welche Ideen sie zur Covergestaltung oder zum Booklet beisteuerte. Die Manipulationen der Fotografien von uns beiden zum Beispiel. Wir mögen beide Fotografie und visuelle Kunst.

Wie wurde eure Kooperation konkret?
Vittoria: Ich schickte Michael ab und zu Musikskizzen und fragte irgendwann, ob er sich vorstellen könnte, an der einen oder anderen Stelle eine Gitarre beizusteuern.

Eure gemeinsame Musik erreicht eine Klarheit, wie sie auch für Harmonias "Deluxe" charakteristisch ist. Das Album entstand seinerzeit im niedersächsischen Forst; Forst liegt an der Weser, das Foto auf der Coverrückseite zeigt die Band am Weserstrand. Und Pisa, deine italienische Heimatstadt, liegt auch am Fluss, am Arno. War die Nähe zum Wasser prägend für "As Long As The Light"?
Vittoria: Schwierige Frage, ich weiß nicht, ob Pisa die Musik geprägt hat.
Michael: Ein interessanter Vergleich, vielleicht ergibt sich die Klarheit da wie dort, weil ich sowohl an Harmonias "Deluxe" als auch "As Long As The Light" als Gitarrist beteiligt bin.
Vittoria: Klarheit ist auf jeden Fall etwas, das von dir kommt. Ich bin diejenige, die für Konfusion sorgt.
Michael: Das erzeugt eine gewisse Magie, stimmt.
Vittoria: Du bist es, der mir geholfen hat, meine Konfusion zu bändigen. Die Klarheit ist dein Beitrag.
Michael: Vielleicht hast du Recht.
Vittoria: Wir haben auch einen sehr schönen Blick von unserem Wohnzimmer in Pisa, wo die Aufnahmen zu "As Long As The Light" entstanden sind. Ich kann nicht sagen, ob das ein ähnlicher Blick wie in Forst ist. Aber eine Sache, von der wir immer wieder überwältigt gewesen sind, das war der Blick auf den Himmel, die Farbveränderungen, die sich den Tag über am Himmel vollziehen. Wir konnten wunderschöne Sonnenuntergänge beobachten, haben oft Pausen eingelegt und uns dem Moment hingegeben. Entstanden ist das Album während der Lockdowns. Wie die meisten saßen wir zuhause fest, konnten aber den Himmel betrachten.

Michaels Musik erreicht auf "As Long As The Light" eine neue Qualität, nicht zuletzt sicherlich dank deiner Mitwirkung Vittoria. Ihr scheint Gefährten im Geiste zu sein, die sich hervorragend ergänzen, ähnlich Paul McCartney und John Lennon. Wer von euch ist Paul McCartney, wer John Lennon.
Vittoria: Wenn, dann bin ich John Lennon.
Michael: Ich wäre dann Paul McCartney?
Vittoria: Genau.
Michael: Ich würde mich ungern mit diesem Genie vergleichen lassen. Wir sahen uns gemeinsam Peter Jacksons Dokumentarfilm "Get Back" an. Ich bin seit meiner Jugend Fan der Beatles, aber sich heute noch einmal Paul McCartneys Bassspiel zu vergegenwärtigen, die vier ungeheuer elektrisierenden Persönlichkeiten zu erleben, das war faszinierend! Ein großartiger Film!
Vittoria: Ich kann nur zustimmen. Als Kind fand ich die Beatles uncool, wie gesagt, meine Eltern hörten Beatles. Aber nach dem Film bin auch ich Fan geworden. Man kam sich als Zuschauer fast vor als befände man sich mit der Band im selben Raum, wurde Zeuge der kreativen Prozesse, der Interaktionen. Sehr interessant!
Michael: Und du bist jetzt also mein John Lennon?
Vittoria: Ich weiß nicht, als Michael sagte, okay, lass uns ein Album machen, war ich zuerst in Sorge wegen ihm. Ich dachte, ich ruiniere ihm bestimmt seine Reputation und fragte, ob er das wirklich will. Die Leute könnten skeptisch sein, weil ich vollkommen unbekannt bin. Einiges von meinem Material war anders als sein persönlicher Stil. Aber am Ende funktioniert die Kombination, wir gaben dem Ganzen eine Chance.
Michael: Ich hatte nie einen Zweifel.
Bernd Gürtler/TM


Michael Rother & Vittoria Maccabruni
"As Long As The Light"
(Grönland; 21.1.2022)


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Foto: Marco Lanza
Foto: Marco Lanza
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