|   Rezension

Roedelius

Drauf & Dran

(Grönland)

Dem Großteil seiner weltweiten Sympathisantenschar dürfte Hans-Joachim Roedelius als westdeutscher Elektronikpionier der Krautrockära gelten. Keineswegs zu Unrecht, immerhin hat der Sechsundachtzigjährige die Geschichte der elektronischen Populärmusik entscheidend geprägt, mit Formationen wie Cluster oder Harmonia und dann in diversen Solozusammenhängen unter anderem in Begleitung von Brian Eno. Über die Jahre ist ihm aber auch das Piano sehr ans Herz gewachsen. Oder genauer der Konzertflügel, und "Drauf & Dran" ist ein reines, ganz und gar unelektronisches Konzertflügelalbum.

Während Mitbewerber wie die deutschschweizerischen Grandbrothers nach dem Vorbild von John Cage und seinem präparierten Klavier den Konzertflügelsound durch raffinierte Hilfsmittel und Apparaturen zu verfremden versuchen, verlässt sich Hans-Joachim Roedelius sozusagen ganz auf die Werkseinstellung, sprich den unbearbeiteten, reinen Naturklang. Höchstens dass er die Instrumentenmarke wechselt, von Bösendorfer zu Steinway oder Yahama Grand Piano und von dort zurück. Aber auch das darf der geneigte Hörer getrost als nebensächliche Fußnote verbuchen. Wesentlich entscheidender ist, wie gespielt wird.

Dass die streng limitierte, handsignierte Buchedition des ansonsten lediglich digital veröffentlichten Albums zu den insgesamt neun Stücken Notenblätter enthält, geht auf eine Initiative des Schallplattenlabels zurück, das nachträgliche Transkriptionen anfertigen ließ. Der Künstler selbst komponiert nicht wie gewöhnliche Komponisten, schon gar nicht auf Notenpapier. Er spielt, was ihm der Moment an Eingebung schenkt und lauscht gespannt auf das was sich an Klangmodulationen zwischen den Tönen ergibt, wenn der eine Ton verklingt und der nächste beginnt. Im Videomitschnitt seines Konzertauftritts anlässlich seines sechsundachtzigsten Geburtstags im Oktober 2020 lässt sich seine intuitive Auseinandersetzung mit dem Konzertflügel sehr schön beobachten. Aus der Erinnerung heraus, sagt er, könnte er kein einziges seiner Stücke reproduzieren. Daher kommt es, dass es einem nie langweilig wird, egal welche Scheibe man sich aus seinem unfassbar umfangreichen, vorläufigen Gesamtwerk auflegt. Niemals dieselbe Straße ein zweites Mal hinunter, lautet sein Künstlercredo seit Anbeginn.
BG/TM


Roedelius
"Drauf Und Dran"
(Grönland; 24.9.2021)


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Foto: Stefan Roederath

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