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Jan Hagenkötter: Saigon Supersound/Saigon Soul Revival

Die Beatles erobern 1964 Amerika, danach geht Rockmusik um die Welt, im Schlepptau Folk, Blues und Soul. Tragischerweise vollzieht sich die Entwicklung in Vietnam vor dem Hintergrund eines massiv durch die USA befeuerten Bürgerkriegs. Weshalb mit Kriegsende, nach dem Sieg des sozialistischen Nordens 1975 über den imperialistischen Süden, südvietnamesische Populärmusik jener Epoche unter ideologischen Generalverdacht gerät und von der offiziellen Kulturpolitik seither mit Argwohn betrachtet wird. Umso besser, dass Jan Hagenkötter, Musikproduzent aus Frankfurt/Main, sich der Thematik annehmen wollte.

Seine beiden Compilations "Saigon Supersound Volume One & Two" archivieren historische Schallplatteneinspielungen für die Nachwelt. Die von ihm betreute Formation Saigon Soul Revival aus Ho Chi Minh City, wie Südvietnams einstige Kapitale inzwischen heißt, spielt den Sound von damals wie man ihn heute spielen müsste. Das Debütalbum "Hoa Âm Xua" enthält Coversongs und eigene Stücke. Ein Interview mit Jan Hagenkötter ergab sich im Herbst 2019.

Zuerst deine beiden Compilations "Saigon Supersound Volume One & Two", jetzt das Albumdebüt von Saigon Soul Revival. Könnte es sein, dass sich doch eine Rückbesinnung auf Südvietnams angloamerikanisch geprägte Populärmusikepoche der sechziger und siebziger Jahre abzeichnet?
Nein, davon kann keine Rede sein. Um das zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass diese Musik nach 1975 komplett verboten war. Die Künstler, die Produzenten, die Tonstudiobetreiber kehrten ihrem Land zu neunzig Prozent den Rücken, gingen in die USA, nach Frankreich, nach Australien, einige nach Westdeutschland. Von offizieller Seite deutet nach wie vor nichts darauf hin, dass an einer Aufarbeitung überhaupt etwas gelegen ist. Vielleicht später irgendwann, derzeit besteht keinerlei Interesse, so dass die Menschen in Teilbereichen abgeschnitten bleiben von ihrer Kultur. Natürlich ist die Musik im Krieg auch propagandistisch missbraucht worden. Von daher verständlich, dass der Norden sich schwer tut. Beziehungsweise sagt, wie mich jemand, der für die Verwertungsgesellschaft in Vietnam arbeitet, wissen ließ, it could bringt back feelings to the people. Davor fürchtet man sich.

Als Rockmusik ins Land kam, verband Vietnam seine Musikkultur nicht das erste Mal mit Einflüssen von außen.
Richtig, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stand das Land unter dem Einfluss der Kolonialmacht Frankreich. Deswegen sind Tango und eine Variante des Bolero, die nicht identisch ist mit dem südamerikanischen Bolero, prägend gewesen was den Gesang angeht beziehungsweise wie Lyrics geschrieben, wie Lieder gebildet werden.

Besonders im Ostblock, aber auch anderswo auf der Welt, wurde der rebellische Geist, der dem Rock innewohnt, von Publikum und Musikern geschätzt und von den Mächtigen gefürchtet. Wie ist der angloamerikanische Musikimport in Südvietnam wahrgenommen worden?
Anders, wir müssen bedenken, dass in Vietnam ein grausamer Bürgerkrieg tobte, mit tausenden von Todesopfern. Eine Orientierung nach dem Westen ist unüberhörbar, nicht aber um rebellisch zu sein.

Wurde angloamerikanische Musikkultur ähnlich Tango und Bolero eher als stilistisches Gestaltungselement aufgegriffen?
Würde ich sagen, denn von manchen Liedern existieren Einspielungen aus den Dreißigern, den Vierzigern, den Fünfzigern, als Volkslied, Tango, Bolero oder dann als Rocksong. Inhaltlich bleibt es dasselbe Lied über ein Reisfeld oder so.

Historische Schallplatteneinspielungen wie auf "Saigon Supersound Volume One & Two" versammelt, sollten nicht etwa dem Vergnügen der US-Soldaten dienen, die von ihrer Regierung skrupellos in einem sinnlosen Krieg verheizt wurden. Sie brachten sich ihre Musik selbst mit, Spielfilmklassiker wie "Apocalypse Now" oder "Good Morning Vietnam" illustrieren das. Einheimische Populärmusikproduktionen sind für den Binnenmarkt bestimmt gewesen, den es sehr wohl gab.
So ist es, allein zwischen 1970 und 1975 sind über eintausend Alben erschienen, üblicherweise auf Magnettonband, selten als Vinylscheiben. In Saigon existierten sechs oder sieben Labels, die Singles veröffentlichten, manchmal drei, vier die Woche. Daneben gab es eine vietnamesische Filmindustrie und Künstler, die sowohl Musiker als auch Schauspieler gewesen sind. Zu nennen wäre da Mai Lê Huyên, sie war die erfolgreichste Sängerin, beziehungsweise zusammen mit ihrem Partner Hùng Cuòng das erfolgreichste Gesangsduo. Die beiden sind in zahllosen Filmen aufgetreten und zudem Recordings Artists gewesen.

Mit einer Lobeshymne auf die "Operation Passage To Freedom", die nach der Teilung Vietnams 1954 Nordvietnamesen zur Flucht in den Süden verhalf, enthält "Saigon Supersound" einen Song, der nach dem Sieg des Nordens über den Süden logischerweise unter die Zensur fiel. Geradezu absurd wirken die ideologischen Vorbehalte gegen Khánh Ly und Songschreiber Trinh Công Son. Sie galt als Joan Baez, er als Bob Dylan Südvietnams. Er schrieb, sie sang seine Songs für den Frieden?!
Die Zensur der Stücke erfolgt nicht unbedingt auf Grund einer konkreten inhaltlichen Aussage, eher wegen der Grundstimmung. Oft ist das sehr traurige Musik, deren Schwermut sich in den Songtexten wiederspiegelt. Das sozialistische Vietnam wollte aber keine traurigen Lieder. Der bloße Umstand, dass es die Menschen traurig macht, kann dazu führen, dass ein Lied verboten wird. Und auch, weil es eben gewisse Gefühle auslösen könnte. Es muss gar nicht wortwörtlich ausgesprochen sein, dass die Regierung im Norden blöd ist, der Süden den Krieg gewinnen muss, also solche offensichtlichen Aussagen, wo man sofort denkt, das geht gar nicht, das würde unsereiner auch verbieten, wäre es gegen ihn gerichtet. Nein, es geht um die emotionale Färbung.

Du meinst Songs wie Trinh Công Sons "Diêm Xua", gesungen von Khánh Ly, das einen Dauerregentag als Metapher nutzt für die Düsternis der Seelenqual angesichts der Kriegsgreul?
Ja, es gibt ungeheuer dramatische, traurige Liebeslieder, wo die Sängerin erzählt, dass ihr Liebster am nächsten Morgen fort muss. Das wird nicht ausgesprochen, aber jeder weiß, er muss an die Front. Uns, die wir der Sprache nicht mächtig sind, erschließt sich das nicht direkt.

Saigon Soul Revival schreibt eine Fortsetzung deiner Compilation "Saigon Supersound" mit den Möglichkeiten einer Band. Um ins Bewusstsein zu rufen, dass die Geschichte Größeres beinhaltet als die ideologischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit?
Man denkt, wenn man sowas macht, nur halb so weit wie es nachher aufgefasst wird. Obenan steht für uns der Spaß an der Musik. Und dann hat es mit der Band zu tun.

Die Band besteht aus ihrem Gründer, dem gebürtigen Zyprioten Gabriel Kaouros sowie vier Vietnamesen aus Nord- und Südvietnam, teilweise mit eigenen Auslandserfahrungen, als Gastsängerin bei einem Song Veteranin Mai Lê Huyên. Das hat doch aber etwas zu bedeuten oder nicht?
Was im Rahmen der Band passiert, passiert rein auf musikalischer Ebene, unabhängig vom politischen Hintergrund. Wenn, dann erleben die vietnamesischen Bandmitglieder einen Selbstfindungsprozess. Als Keyboarder Nam Ký Trân das erste Mal südvietnamesische Populärmusik der 60er/70er Jahre hörte, war das etwas, von dem er sagte, dass er sich damit identifizieren könne. Weil, es gab über weite Strecken gar nichts in Vietnam. Die achtziger Jahre bis zur Öffnung, und dann kam MTV. Heute steht Winner House hoch im Kurs. Ufz, ufz, ufz, ganz schlimm und ohne Bezug zur handgemachten eigenen Kultur. Eigentlich hat man eine eigene Kultur, aber die wurde ausgeblendet.

Könnte es nicht doch sein, dass die Band zur Aussöhnung zwischen der Gegenwart und einer schwierigen Vergangenheit beitragen kann? Einfach zu schön der Gedanke!
Music is the healing force of the universe, hat ein amerikanischer Jazzmusiker gesagt. Ich glaube, es war Lonnie Listen Smith. Oder Lonnie Smith? Ich bin mir nicht sicher. Selbstverständlich kann Musik eine Kraft sein, die etwas bewirkt. Ich kann aber nicht genau sagen, was. Das kann man nicht sagen. Es wird Menschen geben, die das am liebsten verbieten würden, weil sie finden, dass es irgendwelche Gefühle zurückbringt. Es sind auch tolle Sachen passiert. Als ich mit meinen "Saigon Supersound"-Compilations in Vietnam unterwegs war, kamen zu den Veranstaltungen Leute mit ihren Kindern und Enkeln und freuten sich, dass sie das noch erleben dürfen, diese Musik zu hören und junge Leute dazu tanzen. Das ist ja der Wunsch, etwas weiterzugeben, was nicht möglich war, nicht möglich ist. Und dann zu sehen, wie nachfolgende Generationen an die Kultur anknüpfen. Für die alten Leute war das super. In wie weit das etwas bewirkt, weiß ich nicht. Beeinflussen kann ich es kaum.
Bernd Gürtler/TM 


Various: "Saigon Supersound Volume One" (Saigon Supersound; 5.5.2017)
Various: "Saigon Supersound Volume Two" (Saigon Supersound; 5.10.2018)


Saigon Soul Revival: "H​oa Am X​uua" (Saigon Supersound; 8.11.2019)


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Foto: Duke Dien
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