|   Rezension

Jaimie Branch

Fly Or Die Live

(International Anthem)

Es beginnt verhalten mit einer afrikanischen Mbira, dazu Kontrabass und Cello gezupft. Bis der Kontrabass das kraftvolle Eröffnungsriff zu "Prayer For Amerikkka Pt. 1&2" anstimmt, Jaimie Branch ihre Trompete absetzt und erklärt, dass das jetzt nicht nur ein Song über die Vereinigten Staaten ist, sondern "about a whole lotta places 'cause it's not just America where shit's fucked up. And it's not always time to be neutral, do you know what I mean?" Das Publikum versteht sofort. Die Zeiten sind nicht danach sich rauszuhalten, jeder ist gefragt. Und dann geht es zur Sache, alles oder nichts, fly or die.

Sollten die insgesamt knapp siebzig Minuten an jenem Abend im Züricher Jazzclub Moods tatsächlich so wie auf dem Tonträger festgehalten in einem Stück gespielt worden sein, ohne dass nachträgliche Overdubs notwendig wurden, dann Hut ab! Jaimie Branch und ihre Trioformation Fly Or Die sind konzentriert bei der Sache, wechseln elegant zwischen frei improvisierten und strukturierten, solistischen und kollektiven Passagen.

Virtuosität wird selten angestrebt, eher dem DIY-Gedanken des Punkrock Raum gegeben. Ein faszinierendes Livedokument, von ähnlicher Qualität wie Frank Zappas "Roxy & Elsewhere", "Stop Making Sense" von den Talking Heads" oder dem "At Fillmore East" der Allman Brothers, die bekanntermaßen für Miles Davis schwärmten und auf Konzertbühnen zu ausufernden Improvisationen neigten. Eingespielt wurde "Fly Or Die Live" am 23. Januar 2020, wenige Tage, bevor die Coronabeschränkungen den Konzertbetrieb weltweit zum Erliegen brachten. Wer sich inzwischen kaum noch erinnern kann, was das eigentlich ist, ein Livekonzert, sollte unbedingt diese Scheibe auflegen!
BG/TM


Jaimie Branch
"Fly Or Die Live"
(International Anthem; 5.11.2021)


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