|   Rezension

Damon Albarn

The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows

(PIAS)

Gedacht ursprünglich als Orchesterwerk, das unter dem Eindruck des überwältigenden Naturschauspiels vor Damon Albarns Haustür an seinem Zweitwohnsitz in Island entstehen sollte. Doch Pustekuchen, wegen Corona blieb das ambitionierte Projekt im Ansatz stecken. Vollendet wurde "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows" beim Künstler daheim im südenglischen Devon, in reduzierter Besetzung und auch zur Bewältigung einer massiven Coronadepression; das Social Distancing der pandemiebedingten Einschränkungen schlug arg aufs Gemüt.

"The idea was that we'd make music by focusing on maybe a flock of birds on the water and then the cloud coming over Esja", beschreibt Damon Albarn im Presseinfo des Schallplattenlabels die Anfangsidee zu "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows". Geblieben davon, dass ein Song nach dem Berg Esja vor den Toren Reykjavíks benannt ist. Das Vogeltier aus "The Cormorant" und ein gelegentliches Meeresrauschen, Impressionen eingefangen ebenfalls an den Gestaden Islands.

Vom Orchester herübergerettet die dissonante Einstimmsequenz zu Beginn des Instrumentalstücks "Combustion", das sich zu einer stampfenden Rummelplatzkakophonie auftürmt. Vereinzelt sind Violinen, ein Cello, French Horn oder Posaune im Einsatz, allerdings gleichberechtigt neben Elektrogitarre, Monochord und Elka Space Organ sowie Keyboardinstrumenten der Marke Farfisa und Hammond. Das synthetische Klappern einer Uraltrhythmusmaschine gibt über weite Strecken den Takt vor.

Die Titelsongüberschrift geht zurück auf das Gedicht "Love And Memory" des englischen Naturlyrikers John Clare. Angelehnt an dieselbe literarische Quelle Textpassagen aus dem Titelsong wie "But who can help mourning/To think of life that did laugh on your face/In the beautiful past/Left so desolate now". Voller Entsetzen beschrieb John Clare, Sohn eines Tagelöhners, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts den Transformationsprozess der englischen Ackerbaugesellschaft zur Industrienation.

Ganz abgesehen davon, dass der literarische Nachlass des altvorderen Poetenkollegen sowieso gerade von zeitgenössischen Leserkreisen wiederentdeckt wird, gelingt Damon Albarn der perfekte Gegenwartskommentar. Parallel zur Entstehung und Veröffentlichung von "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows" steuert die Menschheit erneut einem dramatischen Wendepunkt entgegen. Corona ist die Revanche für unseren skrupellosen Raubbau an Mutter Natur und schlicht eine Katastrophe für den gesamten Planeten. Was die ewig Unbelehrbaren nicht daran hindert, weiterhin neunmalklug daher zu polemisieren anstatt sich solidarisch mit der Gemeinschaft zu zeigen. Damon Albarns beklemmendes wie ausnehmend schönes Album wird die Nachwelt dereinst womöglich daran erinnern.
BG/TM


Damon Albarn
"The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows"
(PIAS; 12.11.2021)


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