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Crime & The City Solution: Im Schatten des anderen

"I Have The Gun" hieß der Eröffnungssong 1990 zum Album "Paradise Discotheque" und war zweifelsfrei von Country Music beeinflusst. Außerordentlich populär die Stilform in Australien, Nick Cave schöpft aus derselben Quelle, mit deutlich breiterer Publikumsresonanz. Dass Crime & The City Solution immer etwas im Schatten des anderen standen, verantwortet Bandgründer Simon Bonney selbst. Seine Prioritäten sind andere, so dass er es sich aber eben leisten kann, sich fürs nächste Album die Zeit zu nehmen, die es braucht. Zehn Jahre sollten bis zu "The Killer" vom Herbst 2023 verstreichen.

Die Erstbesetzung von Crime & The City Solution entsteht unter dem Eindruck des Punkrock 1977 im australischen Sydney, eine zweite zwei Jahre später in Melbourne. Danach Umzug nach London, wo sich die dritte Version formiert, unter anderem mit Mick Harvey und Rowland S. Howard von Nick Caves The Birthday Party. Ohnehin ausgestattet mit derselben, an Johnny Cash erinnernden Baritonstimmlage, von beiden eingesetzt mit ähnlicher Dringlichkeit wie für Erweckungsprediger der amerikanischen Südstaaten charakteristisch, übernimmt Simon Bonney ehemalige Mitstreiter seines Mitbewerbers! Unter kreativen Gesichtspunkten sicherlich gewieft, karrieretechnisch eher nicht.

Die für die nächsten zwanzig Jahre vorerst letzte, vierte Inkarnation von Crime & The City Solution, geht von Westberlin aus an den Start. Mit Alexander Hacke, hauptamtlich Gitarrist der Einstürzenden Neubauten, gelingen neben "Paradise Discotheque" mit "Shine" sowie "The Bride Ship" zwei weitere Albumklassiker. Wim Wenders verschafft der Band einen Auftritt in seinem Kultstreifen "Der Himmel über Berlin", der Soundtrack zu "Until The End Of The World" enthält ebenfalls einen ihrer Songs.

Was dann folgt, sind die Soloalben "Forever" sowie "Everyman", hauptsächlich aber weitere Wohnsitzwechsel. Simon Bonney und Ehefrau Bronwyn Adams, Geigerin bei Crime & The City Solution, ziehen samt den Kindern nach Papua-Neuguinea, Bangladesch, den Marshall-Inseln, von dort nach Thailand, bevor sie sich in der amerikanischen Automobilmetropole Detroit niederlassen und die mit David Eugene Edwards und Jim White von Woven Hand beziehungsweise Dirty Three reaktivierten Crime & City The Solution 2013 das Album "American Twilight" veröffentlichen. Zwischendurch hatte es die Familie wieder nach Australien verschlagen, wo Simon Bonney ein Hochschulstudium aufnahm, so dass er einen Doktortitel anstreben konnte, als er mit den Seinen wegen coronabedingter Lockdowns erneut Down Under gestrandet war.

Angedacht als Schwerpunkt seiner Doktorarbeit das "decision making in Afghanistan in the late 80s". Entstehen sollte das Album "The Killer", das Gewaltereignisse aufarbeitet, deren unfreiwilliger Zeuge Simon Bonney wurde, als er über die Jahre als Entwicklungshelfer in weniger gemütlichen Regionen der Welt unterwegs war, um den Familienunterhalt zu bestreiten und sich seine künstlerische Freiheit zu bewahren. Gegenwärtiger Lebensmittelpunkt ist das inzwischen wiedervereinte Berlin. Jüngere Promotionfotos zeigen Simon Bonney vor der Oberbaumbrücke, die Friedrichshein mit Kreuzberg verbindet und zu Vorwendezeiten eine brisante Schnittstelle zwischen Ost und West bildete. Die Kulisse mehr als passend, den Musiker und Songschreiber Simon Bonney interessieren "power dynamics" und das Spannungsfeld zwischen "the personal versus the geopolitical", lässt er im Presseinfo des Schallplattenlabels ausrichten.
Bernd Gürtler SAX 12/23


Crime & The City Solution
"The Killer"
(Mute 20.10.23)


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Foto: Elvira Akzigitova

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