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Alice Cooper: Rocky Horror Show vom Feinsten

Als sich der Generationskonflikt längst nicht mehr an Elvis Presleys Hüftschwung entzündet, die Pilzkopffrisuren der Beatles ausgedient hatten und mit ihnen das Vulgäre der Rolling Stones, als selbst die Love & Peace-Botschaften der Hippies nicht mehr genug Konfrontationspotential hergaben, da betraten fünf langhaarige Kunstschulabsolventen aus Phoenix, Arizona, die Bildfläche. Nach einem gängigen Frauennamen tauften sie ihre Band Alice Cooper, traten in abgelegten Frauenkleidern auf und konnten einen Sänger vorweisen, der etwas ganz Besonderes war.

Der Bursche malte sich nach dem Vorbild von Schauspielerin Bette Davis in "What Ever Happened To Baby Jane?" einen verschmierten schwarzen Lidschatten ins Gesicht, massakrierte auf der Bühne Babypuppen, ließ sich am Galgen scheinexekutieren, hantierte mit Messern, Schwertern, einer Riesenschlange und sang zu knackigen Hardrockriffs Textzeilen über spätpubertäre Verstörtheit an der Schwelle zum Erwachsensein wie "I'm a boy and I'm a man/I'm eighteen/And I don't know what I want". Mit "School's Out", über den befreienden Moment des endlich letzten Schultags, wurde zwei Jahre später ein erlösender Kontrapunkt gesetzt. Das Cover des gleichnamigen Albums war einem aus amerikanischen Klassenzimmern bekannten Schülerpult nachempfunden und steckte zusätzlich in einem arg durchsichtigen Mädchenschlüpfer. Hinter wem versammelten sich damals, Anfang der siebziger Jahre, wohl Heerscharen junger Menschen, weil ihre Eltern in Anbetracht solch skandalösen Treibens Schnappatmung bekamen?

Wobei es um weitaus mehr als bloß den nächsten großen Aufreger ging. Das Babypuppengemetzel wurde gewöhnlich von "Dead Babies" begleitet, das von vernachlässigten und zu Tode misshandelten Kleinkindern berichtet. Stellvertretend für deren verabscheuenswürdige Erzeuger, ließ sich der Sänger zu "Killer" zum Galgen führen. "Elected" verstand sich als Kommentar auf die Machtgier von Politikern, wie sie sich zu jeder Zeit beobachten lässt. Ähnlich dem netten Typen aus "No More Mr. Nice Guy", der alten Omas gern über die Straße hilft, aber es satt hat, von älteren Mitschülern Prügel einzustecken, sollte eine Rocky Horror Show vom Feinsten der Gesellschaft ihre eigene Verderbtheit um die Ohren hauen.

Geboren wurde das Spektakel eher aus der Kenntnis dadaistischer Kunstkonzepte eines Marcel Duchamp, als dass es innerfamiliären Konflikten bei den Bandmitgliedern entsprungen wäre. Schon gar nicht, soweit es den Sänger betrifft; Vincent Damon Furnier, wie er bürgerlich heißt, Jahrgang 1948 und aufgewachsen in Detroit, Michigan. Er wird es sein, der den Bandnamen Alice Cooper gegen eine kleine Lizenzgebühr bis heute weiterführt. Und es stimmt, was sich vielfach kolportiert findet, sein Elternhaus war religiös geprägt. Der Vater, ursprünglich Elektronikingenieur von Beruf, sattelt auf Prediger um, schwärmt allerdings auch für die Bands der British Invasion. Sohnemann seinerseits unterstützt seinen alten Herrn beim Bibelstudium und schreibt bereits früh in seiner Musikerkarriere mit "The Secound Coming" und "Hallowed Be My Name" von christlicher Weltanschauung angeregte Songs. Der Senior hält selbst dann noch dem Junior den Rücken frei, als dessen Bühnenshow Stürme der Entrüstung entfesseln. Erst als die Bühnenfigur von der Privatperson Besitz ergreift und in eine exzessive Alkoholabhängigkeit stürzt, häufen sich die Einwände. Auf den rechten Pfad zurückfinden sollte Alice Cooper dank eines jungen Kirchenhirten, der ebenfalls Rockmusik mag und mehrere Alben seines neuen Schützlings sein Eigen nennt. Seine Wiedererweckung feiert das Album "The Last Temptation". Zuvor richtete der Titelsong zu "Hey Stoopid" mahnende Worte an sein Publikum in Sachen Drogenmissbrauch.

Wohl wissend, einer aussterbenden Art anzugehören, schnürt das Album "Road" vom Sommer 2023 Alice Coopers Erfahrungsschatz aus Jahrzehnten als umtriebiger Schockrocker zu einem handlichen Gesamtpaket, bereit zur Weitergabe an die nächste Generation, für den Fall, es besteht Bedarf. "I Am Alice" zeichnet das Selbstporträt eines "master of madness", eines "sultan of surprise" und Mythos "wrapped in glory that they don't understand". "Welcome To The Show" verrät, was das Publikum bei seinen Konzertauftritten erwartet, nämlich "I've come to let you out of your cage". "Dead Don’t Dance" lässt sich autobiographisch deuten, wenn es heißt "If I wasn't in a band I'd probably be a criminal/I estimate my options would be absolutely minimal". "All Over The World", "The Big Goodbye", "Road Rats Forever", "White Line Frankenstein" und "100 More Miles" thematisieren verschiedene Facetten des Tourneelebens. "Go Away" und "Big Boots" erzählen von übertrieben anhänglichen und zu jeder Gefälligkeit bereiten, weiblichen Tourbekanntschaften. Die Zeile "So if you wanna be like me/Here's the rules, one, two, three/You gotta find a killer band/Then bust your ass, you understand?" aus "Rules Of The Road" hat schon etwas Altväterliches. "Baby Please Don’t Go" ist keine Coverversion (des Bluesklassikers von Big Joe Williams), "Magic Bus" aber schon, der Song stammt ursprünglich von The Who. Eine runde Sache dieses neunundzwanzigste Studioalbum.
Bernd Gürtler/TM


Alice Cooper
"Road"
(Ear Music; 25.08.23)


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Foto: Jenny Risher
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