Zuhause sei nie ernsthaft über die Wende gesprochen worden und dass es davor etwas anderes gab, erzählt Katharina Kollmann. "Aber ich merkte, dass da etwas ist, das mich beschäftigt. Ich denke, dass ich die Konflikte, die meine Eltern wegen der Wende bewältigen mussten, vor allem aber ihre Melancholie, auch mit mir herumtrage. Es heißt immer, dass das keine Rolle spielt, erst recht bei jemandem wie mir, geboren 1985. Doch es spielt eine Rolle, ich beobachte es auch bei meinen Freunden."
Ihre Songs beschreiben das Empfinden eines Großteils der Ostdeutschen, aus einem Land zu kommen, das nicht mehr existiert, aber nicht angekommen zu sein in Gesamtdeutschland, obwohl die meisten unbedingt ankommen wollten. Verlorengegangen im Irgendwo, der beim gleichnamigen Song der Hamburger Formation Tocotronic ausgeborgte Bandname fügt sich perfekt ins Gesamtbild.
Trotzdem, die Lage ist nicht hoffnungslos. Dass Nichtseattles zweites Album vom Frühjahr 2022 "Kommunistenlibido" (Staatsakt) heißt, dass Katharina Kollmann im Videoclip zur Songauskopplung "Ein Freund" um den monumentalen Chemnitzer Karl-Marx-Kopf tanzt, ein anderer Song "Hochhauslied" betitelt ist und es dort heißt "Hier kommt kaum was rein, zu wenig, um philosophisch zu sein. Doch was alle wollen, daran erinnern wir uns noch. Ja, wir sind hier wirklich nicht hochgebildet, doch null Mal nichts, das wissen wir noch! Bitte keine Rügen, Schuld oder Sanktionen, so komm' wir nie wieder raus. Ja, wir sind hier wirklich nicht gut in Mathe, doch wann niemals ist, das wissen wir noch" – all das sind keine Referenzen an ihre Ostherkunft sondern Ausdruck einer Sehnsucht nach Utopien, dass ein Leben ohne Selbstoptimierung möglich ist, man "nicht immer noch mehr Erfolg haben muss, sondern einfach sein kann". Kommunismus, sagt Katharina Kollmann, ist keine Idee, die in Ostdeutschland oder Osteuropa ruiniert wurde, sondern etwas, das es noch gar nicht gab.
Bernd Gürtler SAX 11/22
Nichtseattle
"Kommunistenlibido"
(Staatsakt; 29.4.2022)
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